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Deutsche Übersetzung von „Die Frauen von Birkenau“

© Schöffling & Co.

„Die Frauen von Birkenau“ von Seweryna Szmaglewska: Leben und Leiden weiblicher Häftlinge

Jetzt endlich in einer deutschen Übersetzung: Seweryna Szmaglewskas Klassiker „Die Frauen von Birkenau“.

Als die angehende polnische Schriftstellerin Seweryna Szmaglewska an einem Tag im Juli 1942 auf einer Warschauer Straße stehenbleibt und ihre Brille zurechtrückt, vermutet ein SS-Mann, der sie zufällig beobachtet, dass sie jemandem auf diese Weise ein konspiratives Zeichen gebe. Szmaglewska wird verhaftet, kommt für drei Monate ins Gefängnis und wird dann nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie dreißig Monate in Arbeitskommandos schuften und in der Abteilung „Kanada“ den Besitz der eingelieferten Häftlinge sortieren muss. Sie ist sechsundzwanzig Jahre alt, robust und hat einen starken Überlebenswillen. Im Januar 1945 gelingt ihr bei der „Evakuierung“ des Lagers die Flucht.

Dass sich das Grauen von Auschwitz der Beschreibbarkeit entziehe – solche subtilen philosophischen Bedenken waren Seweryna Szmaglewska völlig fremd. Sofort begann sie mit dem Beschreiben ihrer Lager-Erlebnisse, weil sie es unerträglich fand, dass die Menschen in Polen fast nichts von Auschwitz wussten.

Im Gedanken an ihre Leidensgenossen, die immer noch auf Todesmärschen unterwegs waren oder unter entsetzlichen Umständen in überfüllten Lagern vegetierten, erlegte sie sich selbst eine schonungslose Arbeitsdisziplin auf und schrieb täglich von fünf Uhr früh bis zur Abenddämmerung.

Imponierende Zeugnisse des Völkermords

Ende 1945 war „Rauch über Birkenau“ bereits in den Buchhandlungen – eines der imponierendsten Zeugnisse des Völkermords, das bald darauf in den Nürnberger Prozessen als Beweismittel verwendet wurde. Allein in Polen gab es seither zweiundzwanzig Ausgaben dieses Klassikers; in zehn Sprachen wurde er übersetzt.

Dass es fünfundsiebzig Jahre gedauert hat, bis nun endlich auch eine deutsche Übersetzung erscheint, ist ein merkwürdiges Versäumnis. Vielleicht liegt es daran, dass sich dieses Buch nur schwer kategorisieren lässt und der Ton nicht so aschfahl und abgemagert ist, wie es manche hierzulande für die Literatur über Auschwitz einzig angemessen finden.

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Seweryna Szmaglewskas Stil ist nicht von Verzweiflung oder Melancholie geprägt, sondern eher von einer vitalen Empörung, die die grässlichsten Details fest ins Auge fasst und keine Scheu kennt, das Abscheulichste zu benennen. Es mischen sich dabei die Gattungen: Literatur, Sachbuch, Reportage.

Sachlichkeit besteht vor allem im Verzicht auf ein erzählendes Ich. Eine Freundin, nicht zufällig eine künftige Soziologieprofessorin, riet Szmaglewska, die Ich-Perspektive zu vermeiden, damit ihr Buch nicht ungewollt wie ein heldenhafter Überlebensbericht wirken würde.

„Also änderte ich meinen Erzählstil: Ohne aufzuhören, subjektiv zu sein, versuchte ich, mich hinter den Fakten zu verstecken.“ So verbindet ihr Stil die lagersoziologische Genauigkeit eines Primo Levi mit starker Bildhaftigkeit und literarischer Einfühlung.

Abgestumpftes, betrunkenes Wachpersonal

Wer die Auschwitz-Literatur kennt, liest hier nicht zum ersten Mal von den stickigen, überfüllten Baracken, der endlosen Läuseplage, den verheerenden Typhus-Epidemien, dem Schlamm und den Ratten (fett geworden „wie lebende Nudelrollen“), die die Sterbenden anfressen.

Aber selten zuvor hat man es in so unerbittlich dichter, hautnaher Beschreibung gelesen. Szmaglewska liefert zudem eindrucksvolle Charakterskizzen von Gefangenen und SS-Männern, letztere meist betrunken. Es war auch der Alkohol, der Auschwitz möglich machte, weil er das Wachpersonal in einen abgestumpften Zustand versetzte, in dem es das „Gespür für den Unterschied zwischen einer Leiche und einem lebenden Menschen“ verlor.

Immer wieder wird der Sadismus geschildert, etwa wenn ein SS-Mann einer Gefangenen befiehlt, eine andere Frau wegen einer vermeintlichen Fluchtabsicht mit der Schaufel zu erschlagen, ansonsten werde sie selbst getötet. So wurden unter der erbarmungslosen Macht der SS auch viele Häftlinge erbarmungslos. „Die Funktionshäftlinge tun den Gefangenen von Auschwitz mindestens genauso viel Böses an wie die SS-Mannschaft“, schreibt Szmaglewska.

Es gibt im Lager keine solidarische Gemeinschaft der Opfer. Jede Schwäche rächt sich; die starken und listigen Individuen setzen sich noch ungehemmter durch als im ethisch gedämpften Zivilleben. Und wie jede Mangelwirtschaft führt auch die des Lagers zu Formen des Tauschhandels und des „Organisierens“.

Jeder Knopf, jeder Löffel stellt einen Wert dar

Weil jeder Lumpen, jedes Stück Draht, jeder Knopf oder Löffel einen Wert darstellt, der durch geschickten Schwarzmarkt-Handel zu einer zusätzlichen, überlebenswichtigen Brotration verhelfen kann, muss man damit rechnen, im ersten unaufmerksamen Moment von Mithäftlingen bestohlen zu werden. Ergreifend beschreibt Szmaglewska, wie die Frauen, die sich für eine weitere stundenlange „Entlausung“ draußen nackt und zitternd vor Kälte aufreihen, vorher verzweifelt versuchen, ihre paar Habseligkeiten irgendwo zu verstecken.

Deutlich macht sie auch, dass Auschwitz keine hermetische Welt war. Die Gefangenen haben die Kriegslage „draußen“ genau verfolgt. Die Gier nach Neuigkeiten wuchs, als sich die deutschen Niederlagen häuften. Im September 1944 weckte der Warschauer Aufstand Hoffnungen, aber sie zerschlugen sich, als die Deportationszüge mit den Menschen aus der gefallenen Stadt in Birkenau eintrafen.

Die Dämpfe über dem Lager

Angesichts des hohen Schreibtempos verwundert es nicht, dass hier und da Formulierungen zu finden sind, die ein wenig kolportagehaft wirken: „Ein Hauch von Herbst strömt über die Felder hinter dem Stacheldraht, ein Hauch von Vernichtung weht aus den Dämpfen der Krematorien.“

Aber das fällt kaum ins Gewicht. Jahrelang hat Seweryna Szmaglewska miterlebt, wie diese „Dämpfe“ sich über das Lager legten, wie die Menschenkolonnen aus den Zügen kamen, um bald darauf durch die Krematorien als dicker, übelriechender Rauch in die Luft geblasen zu werden. Dass dieser Rauch nun nicht mehr im Titel auftaucht, ist urheberrechtlichen Gründen geschuldet.

Der neue deutsche Titel „Die Frauen von Birkenau“ ist jedoch ebenfalls stimmig, denn es wird vor allem das Leben und Leiden der weiblichen Häftlinge geschildert. Auch diese ungewöhnliche Perspektive trägt zur Bedeutung des Buches bei.

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