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Walter Höllerer mit Sohn Florian, Max Frisch, Berzona (Tessin), September 1968

© Renate von Mangoldt/ Steidl Verlag

Die Fotos der LCB-Fotografin Renate von Mangoldt: Fische aus dem Strom der Zeit

Fotografie ist meine Rettung: Ein prächtiger Band versammelt Autorenporträts der LCB-Fotografin Renate von Mangoldt aus einem halben Jahrhundert.

Als 1963 das LCB gegründet wurde, begegnete sein spiritus rector Walter Höllerer auf einem Erlanger Studententheaterfestival einer blutjungen Fotografin. Sie hatte Fotos von dem dramatischen Treiben gemacht und ein bestechend schönes von ihm, das sie ihm sandte. Das schicksalhafte Echo war die Einladung zu einem Treffen in München. Wenig später hatte das Haus am Sandwerder eine fest angestellte Fotografin – und sein Direktor eine Ehefrau. Renate von Mangoldt geriet zum Glücksfall einer unaufdringlichen Ausdauer bei der fotografischen Begleitung der Gäste – auch durch ihre nie erlahmende Leselust. Was immer sich am Wannsee ereignete, sie war zur Stelle.

Die gut 500 Aufnahmen von über 300 Schriftstellern, die jetzt der Prachtband „Autoren“ sammelt, werden ergänzt von einem vorangestellten Interview, das die Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe per Mail führte. Fragen und Antworten finden sich organisch verschmolzen, so dass diese Seiten wie ein geschlossener Text anmuten. Ihren an den Schluss gestellten Erinnerungen steht er in nichts nach. Wir erfahren, dass Renate von Mangoldt die meisten Autoren vorfand. So auch bei den Tagungen der Gruppe 47 und den Großveranstaltungen in der Akademie der Künste am Hanseatenweg. Erst Jahre später, bei Wolfgang Koeppen, Karl Krolow oder Elfriede Jelinek, wurde sie selbst aktiv: um Schriftsteller, die nicht ins LCB kamen, aufzunehmen. Trotzdem sieht sie sich nicht als Jägerin, sondern eher als Sammlerin. Die Fotografie, sagt sie „war die Rettung, sie war der Kompromiss, der mich in die Nähe der Kunst platzierte, ohne die Künstlerin sein zu müssen, zu der ich mich nicht berufen fühlte.“ Gleichwohl war sie „glücklich und manchmal auch stolz, Bilder herzustellen, die es ohne mich nicht gäbe.“

Sie freute sich, wenn Autoren mit eigenen Einfällen kamen. Lähmend hingegen erlebte sie das Fotografieren bewunderter Autoren. Ihnen wollte sie nicht lästig fallen. Bei Witold Gombrowicz, W.H. Auden und Samuel Beckett traute sie sich erst gar nicht, um einen Termin zu bitten. Anders in den achtziger Jahren, bei den Ostberlinern Günter de Bruyn und Heiner Müller, Christa Wolf und Stephan Hermlin, Karl Mickel und Christoph Hein, Uwe Kolbe und Bert Papenfuß, die sie als Grenzgängerin aufsuchte wie später Thomas Bernhard im oberösterreichischen Gaspoltshofen oder Peter Handke vor den Toren von Paris: „Was bin ich froh, dass ich bei ihnen gelandet bin, in der Welt der Literatur, die die meine ist nach nun fast fünfzig Jahren. Und es bleiben soll, am allerliebsten aber als Leserin!“

Der Band vermittelt das Lebensgefühl eines halben Jahrhunderts

Wie sich ein Bild machen von dieser Bilderscheuer, wie umgehen mit diesem Arbeitsweg? Es empfehlen sich mehrere mögliche Blättergänge. Der beglückende nach den Gelesenen und Erlebten, der wehmütige nach den verpassten und, weil die Autoren nicht mehr unter den Lebenden sind, unwiederbringlichen Gelegenheiten, die man durch ein gutes Foto leichter verschmerzt: Max Frisch als wie Mao Tse-tung in Strudeln schwimmendes Haupt, Walter Höllerer als Springinsfeld, Ingeborg Bachmann im kohlschwarzem Lackleder, Giuseppe Ungaretti mit geballter Greisenfaust. Ernst Jandl, dem Ottos Mops entschlüpft, Peter Rühmkorf, der in seiner Mansarde einsitzt. Heinrich Böll, im Mundwinkel den Kummer der Welt, Friedrich Dürrenmatt, von einem Glas Wasser verstellt. Lew Kopelew mit dem Tolstoibart, Allen Ginsberg mit den Gebetsriemen seiner Tasche verhakt, Wolfgang Hilbig in seinem düsteren Verzicht, Michael Hamburger mit verschrumpeltem Apfelgesicht.

Unterstützt von dem Dichter Dieter M. Gräf hat sich die Fotografin für Kapitel nach Jahrzehnten entschieden. Das verbaut ihr zwar die Möglichkeit, Altersstufen und Charakterfaltenschüben von Einzelnen zu folgen, schenkt ihr aber Querschnitte durch das Lebensgefühl eines halben Jahrhunderts. Großartig die leider nicht komplett enthaltene Serie, die 1966/67 anlässlich der internationalen Lesereihe „Ein Gedicht und sein Autor“ entstand. Da bat die Scheue zehn Duette beziehungsweise Terzette zum Termin, und alle kamen: die Franzosen Yves Bonnefoy und Francis Ponge, die Polen Zbigniew Herbert und Tadeusz Rózewicz, die Amerikaner Robert Creeley und Lawrence Ferlinghetti, der Italiener Eduardo Sanguineti und der Russe Andrei Wosnessenskij, H.C. Artmann, Ernst Jandl und Friederike Mayröcker. Weiteren Weltgewinn brachten Filmprojekte zum literarischen Profil von Rom und London mit Fotos von Alberto Moravia , Pier Paolo Pasolini und Ted Hughes. Bleibt die Riege der Nobelpreisträger: Elias Canetti und Imre Kertész, Heinrich Böll und Günter Grass, Czeslaw Milosz und Joseph Brodsky, Elfriede Jelinek und Herta Müller, Seamus Heaney und Tomas Tranströmer.

Wenn Renate von Mangoldt auch die letzte ist, die es darauf angelegt hätte, so ist diese lockere Versammlung doch ein Gütesiegel für den literarischen Ort, dessen vorbildliche Bildzeugin sie ein Halbjahrhundert war. Nach ihrem (West-)Berlinbuch „Übern Damm und durch die Dörfer“ und „Berlin literarisch – 120 Autoren aus Ost und West“ (1988), ist dies nun ihr Opus magnum, in dem wir uns als Leser und Vorleser, Besichtiger und Besichtigte begegnen und wiederfinden.

Renate von Mangoldt:Autoren. Fotografien 1963-2012. Steidl, Göttingen 2013. 544 S., 38 €.

Richard Pietraß lebt als Lyriker in Berlin. In der Jenaer Edition Ornament erschienen von ihm zuletzt die Naturgedichte „Wandelster

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