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Verlorene Liebesmüh. Daniel Arnaldos und Yuri Mizobuchi.

© Matthias Heyde

„Die Fleisch“ an der Neuköllner Oper: So lange die Hände kneten

Das Martyrium einer Frau und die Rolle der Oper: Regisseur Fabian Gerhardt inszeniert das japanische Stück „Ayamé“ als „Die Fleisch“.

Aufgeteilt in zwei Gruppen geht es hinein in die Neuköllner Oper, durch das Bühnenbild eines anderen Stückes mitsamt Modelleisenbahn hindurch zu einem Kämmerlein, in dem das Publikum von „Die Fleisch“ seine Plätze findet. Direkt vor einem Glaskasten, der die Darsteller Yuri Mizobuchi, Daniel Arnaldos und Remo Tobiaz den Blicken preisgibt. Hinter der gegenüberliegenden Glaswand ist schemenhaft das übrige Publikum zu erkennen. Dazwischen: eine Eislandschaft, die im Wechsel der Lichtverhältnisse zuweilen nach überdimensionalen Vulven aussieht (Bühnenbild: Sabrina Rossetto).

Die organische Assoziation ist nicht weit hergeholt, schließlich spielt „Die Fleisch“ im Bordell. Dorthin ist die junge Ayamé (Mizobuchi) verkauft worden, nachdem ihr verschuldeter Vater starb. Ihr Bräutigam Tokaido (Arnaldos) versucht, sie zu befreien – vergebens. Auch, weil Ayamé sich in der Pflicht sieht, das Martyrium auszuhalten, um die Ehre ihrer Familie wiederherzustellen.

Deutungsschwere bei reduzierter Form

Die Vorlage „Ayamé“ stammt von Kosaku Yamada, der die Oper 1931 komponiert hat. Nachdem Pläne für eine Uraufführung in Paris platzten, wandelte er sie zur Konzertsuite um. Nun wird die Oper erstmals in Europa szenisch gespielt, unter der Regie von Fabian Gerhardt. Er versteht die Weigerung der Braut, mit Tokaido zu fliehen, als Moment der Selbstermächtigung. Sie entscheidet darüber, wie lange sie ihren Körper im Bordell anbietet. Überdeutlich erscheint ein Stück Frischfleisch als Projektion auf den Glaswänden, vier Hände kneten an ihm herum. Ayamé zieht der Flucht letztlich sogar den gemeinsamen Selbstmord vor.

Doch als wäre die Frage des Bestimmens über den weiblichen Körper nicht schon genug für eine zeitgemäße Lesart, soll es in „Die Fleisch“ auch um die Oper an sich gehen. Ein Zitat von Alexander Kluge, das besagt, in jeder Oper, die von Erlösung handelt, werde am Ende eine Frau geopfert, wird eingeblendet, kurz bevor die drei Akteure (Tobiaz als Erzählerfigur) im blutigen Finale wechselseitig den innigen Abschied durchspielen und allem noch eine queere Note verleihen.

Der Deutungsschwere steht eine Reduktion der Form gegenüber. Die drei somnambul agierenden Darsteller füllen den überschaubaren Bühnenraum mühelos mit ihren Stimmen, während Markus Syperek die Partitur Yamadas auf ein zartes Format zurechtstutzt. Cello, Saxophon und Tasteninstrumente spielen mal spätromantisch, mal japanisch angehauchte Melodien. So rauschen die 70 Minuten Spieldauer vorbei – und hinterlassen ein Übermaß an Fragen, die aktueller kaum sein könnten.

Weitere Aufführungen bis 7. April

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