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Kultur: Die Exilantin

Zum Tod der Dichterin Agota Kristof

Von Gregor Dotzauer

Das Französische war, wie sie in ihrer autobiografischen Erzählung „Die Analphabetin“ schrieb, ihre „Feindessprache“. Es widersetzte sich ihr mit allen Mitteln, und es zerstörte ihre ungarische Muttersprache. Mit 21 Jahren – Agota Kristof war mit ihrem Mann und ihrer vier Monate alten Tochter gerade vor den Wirren des ungarischen Volksaufstandes aus ihrem Heimatort Köszeg über Österreich in die Schweiz, nach Valangin bei Neuchâtel, geflohen – fühlte sie sich in einem linguistischen Irgendwo und Nirgendwo gefangen. Erst in den letzten Jahren fand sie einen Ausweg, indem sie allem Literarischen im engeren Sinne abschwor. Sie hatte aufgehört zu schreiben und als Lektüre genügten ihr Krimis und das Satireblatt „Le Canard Enchaîné“.

Dem französischsprachigen Werk, das sie bis dahin geschaffen hatte, ließ sich da aber schon nichts mehr hinzufügen. Gleich mit ihrem ersten, sofort zum Welterfolg avancierten Roman „Das große Heft“ (1986) hatte sie jenen karstigen, aufs Äußerste verknappten Stakkatoton gefunden, der wohl eher zu ihr gefunden hatte: ein Konzentrat sprachlicher und stofflicher Kämpfe, die sie in den Folgebänden „Der Beweis“ und „Die dritte Lüge“ unvermindert suggestiv fortsetzte, am anderen Ende der Satzgirlanden des von ihr bewunderten Thomas Bernhard.

Mit brutaler Klarheit schrieb sie darüber, wie die Weltläufe zwischen Kriegsgeschehen und kommunistischer Diktatur die Menschen zu innerer Heimatlosigkeit und Hass abrichten – und auch die Familie kein Rückzugsgebiet ist. Immer wieder erzählte sie von Inzest und sich Bahn brechender Gewalt. Die Möglichkeit eines kleinen Glücks verband sich für sie mit der Spekulation, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie nicht ins Exil gegangen wäre. Vielleicht ist sie nun in eine Art Heimat zurückgekehrt. Am Mittwoch ist sie mit 75 Jahren in Neuchâtel gestorben. Gregor Dotzauer

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