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Das Smartphone ist heute für viele unverzichtbar - wer es zuhause vergisst, empfindet einen Phantomschmerz.

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Die Dinge im digitalen Zeitalter: Heute schon gewischt?

Telefon und Smartphone, Schreibmaschine und Computer: Funktion und Form unserer Kommunikationsgeräte haben sich gewandelt. Auch der Umgang mit den Dingen. Aber wieso behandeln wir Geräte wie das Smartphone, als hätten sie eine Seele?

Das Spielzeug, mit dem man als Kind spielte, das Fahrrad, mit dem man fuhr, die Tasse, aus der man trinkt, das Telefon, mit dem wir telefonieren – bestimmte Dinge gehören einfach zu unserer Realität. Wir entwickeln ein Verhältnis zu ihnen, sie begleiten uns, wir erinnern uns oft ein Leben lang an sie. Die Dinge, die uns umgeben, prägen auch unser Verständnis der Welt, unsere Wahrnehmung. Doch unser Verhältnis zu ihnen ändert sich grundlegend.

Denn wir verstehen die Dinge zunehmend nicht mehr – weil sie sich ändern. Vor allem jene, die uns am nächsten sind, das Smartphone, das immer in der Tasche steckt, der Computer, vor dem man acht Stunden am Tag sitzt, der Fernseher samt „Sportschau“ und „Tagesthemen“.

Während sie lange „als Träger von Eigenschaften identifiziert wurden, drohen die Dinge heute ihr Eigengewicht einzubüßen“, schreibt der Philosoph Bernhard Waldenfels. Wir und die Dinge haben sich voneinander entfernt. Allen voran gilt das für die Produkte der digitalen Revolution. Das Telefon war einst zum Telefonieren da. Und das Smartphone?

Die Menschen suchen wieder nach handfester Präsenz, sagt der Philosoph Waldenfels

Im industriellen Zeitalter war die Mechanik der Dinge für die meisten verständlich, ob bei primitiven Werkzeugen oder feinsten Apparaturen. Im Zweifel konnte man ihr Verständnis erlernen. Was mitunter mühsam und langwierig war, aber kleine Reparaturen am eigenen Pkw ließen sich schon machen. Der Sinn der meisten Dinge besteht in ihrer Funktion, die man gewöhnlich an ihrer Form ablesen kann. Bei den „neuen“ Dingen – Smartphones oder Computern – ist das nicht mehr der Fall; die Form hat sich vom Inhalt entfernt. Wenn jetzt beim Auto die Elektronik verrückt spielt – keine Chance. Die Folge: Menschen suchen wieder nach „handfester, fühlbarer Präsenz“, sagt Waldenfels.

Abgehängt. Die alten Gerät verstand der Benutzer noch halbwegs.
Abgehängt. Die alten Gerät verstand der Benutzer noch halbwegs.

© imago/Westend61

Man kann den Beginn dieser Entfremdung genau datieren. 1973 wurde am Xerox Palo Alto Research Center das erste Grafische User-Interface (GUI) entwickelt. Das IT-Magazin „Wired“ nannte die grafische Benutzeroberfläche „die größte Idee aller Zeiten im Interaktionsdesign“. Zuvor konnten Computer nur von wenigen Menschen benutzt werden, von denen, die sie verstanden und wussten, welche Funktion mit welcher Interaktion wie in Verbindung steht. Das GUI änderte das. Es interpretierte elektronische Impulse mit Bewegungen, die man aus der analogen Welt kannte. Plötzlich gab es „Adressbücher“ für virtuelle Kontakte, „Ordner“ oder „Fenster“, die man öffnet. Seit ihrem ersten kommerziellen Einsatz 1981 ist es einer breiten Masse möglich, Computer zu bedienen, ohne sie zu verstehen.

Sleek, simpel und sexy soll die Mechanik sein

„Die Welt der Dinge wird zunehmend intransparent“, sagt der Frankfurter Ethnologieprofessor Karl-Heinz Kohl. „Deshalb ist die Antropomorphisierung abstrakter Vorgänge wichtig.“ Wenn wir die Funktionszusammenhänge aller Dinge nachvollziehen müssten, könnten wir nicht mehr handeln. „Es gehört zu unseren ursprünglichen Denkstrukturen, Neues innerhalb unseres Verhaltenskosmos zu interpretieren. Je intransparenter die Welt der Dinge, desto stärker der Effekt.“

GUIs werden intuitiver, Wischbewegungen imitieren den Umgang mit Papier, die Haptik eines Blätterstapels. Wir scrollen auf dem Bildschirm parallel zur Augenbewegung – so, wie wir eine Zeitung falten, um den Teil der Seite im Blick zu haben, den wir gerade lesen. Aber das, was nach der Eingabe auf dem Interface auf funktionaler Ebene passiert, bleibt unverständlich.

Mit zunehmender Intransparenz konzentriert sich das IT-Design auf optimale Übersetzung. Es geht um einfachen Zugang (accessibility), einfache Nutzung (usability), um Form um der Form willen – sleek, simple und sexy soll es sein, die Mechanik versteckt sich hinter klaren Oberflächen. Der Berliner Philosoph Byung-Chul Han zieht Parallelen zwischen der glatten Smartphone-Oberfläche und der menschlichen Haut. In beiden Fällen verhindert die Undurchsichtigkeit der Oberfläche den Blick ins Innere.

Experten beobachten eine Rückkehr des Animismus

Ihre minimale Mechanik macht das Innenleben der Smartphones unbegreiflich – für Laien, aber inzwischen auch für jene, die sie konzipieren, designen, zusammenbauen, programmieren und vertreiben. Sicher: Eine Berührung auf der glatten Oberfläche triggert einen elektronischen Impuls. Doch zwischen diesem Impuls und dem Aufploppen der gewünschten Funktion geschieht etwas jenseits unseres Verständnishorizonts, mit nicht mehr nachzuvollziehendem Abstraktionsgrad.

Null-Eins-Sequenzen sind für niemanden lesbar. Programmiersprachen übersetzen sie in weitere Programmiersprachen, diese wiederum in andere, so lange, bis der Nutzer die Funktionen entziffern kann. Der moderne Zeitgenosse besitzt immer mehr dieser eigentlich unlesbaren Dinge; er hält sie oft für unersetzlich. Das Smartphone ist nicht Erbe des Telefons, die Apple Watch nicht Erbe der Uhr und der Laptop nicht Erbe der Schreibmaschine – auch wenn es so wirken mag. Die Geräte nehmen vielmehr die Rolle eines elektronischen Gehirns ein, das für Kommunikation, Orientierung und Organisation sorgt. „Unser Handeln wird zwar freier dadurch, es öffnet aber auch dem magischen Denken Tor und Tür“, sagt Ethnologe Kohl. Er beobachtet eine Rückkehr des archaischen Denkens, des Animismus. Also des Glaubens daran, dass die Dinge beseelt sind, einen Geist haben.

Wenn der Akku leer ist, sagen wir: Mein Smartphone gibt den Geist auf

Das Archaische wird im Kleinen offensichtlich: Als wüssten wir es nicht besser, schütteln wir das Smartphone, wenn es hängt, und behandeln es wie den Hobel, in dem feuchte Späne klemmen. Handys „spinnen“, sie „wollen nicht“ wie aufsässige Kinder, bis sie „den Geist aufgeben“ – der dann in den Himmel aufsteigt?

Menschen greifen immer dann auf archaische Denkmuster zurück, wenn eine kognitive Revolution stattfindet. Die erste große Welle des Animismus gab es in der westlichen Welt Mitte des 19. Jahrhunderts, zur Zeit der ersten Industriellen Revolution. Vor allem die Elektrizität, die Glühbirne, verunsicherte viele, die sich daraufhin in Spiritismus flüchteten. In London wurde die „Society for Psychical Research“ gegründet, sie veranstaltete Séancen, suchte nach Alternativen zum naturwissenschaftlichen Ursache-Wirkung-Konzept. Spiritismus, Okkultismus, Geistersehen und Tischrücken hatten in bürgerlichen Kreisen Konjunktur, die Psychologie begann sich mit dem Unterbewusstem und dem Unbewussten auseinanderzusetzen, in der Kunst reüsssierte der Symbolismus. Das spirituelle Denken beeinflusste auch die Ökonomie: Karl Marx sprach im „Kapital“ vom „Warenfetisch“; von vermenschlichten Ideen in der „Nebelregion der religiösen Welt“.

Die Aura des neuesten Modells: Der Zauberglaube an die Dinge verwandelt sie in Fetische

Mit der Digitalisierung hat sich ein neuer Spiritismus entwickelt. Die magischen Gegenstände von heute sind vor allem die Kommunikationsmittel: Sie sind substanziell für unsere Identität, unser Selbstbild, unser Fremdbild. Mitunter führt der Zauberglaube in die Dinge dazu, dass wir sie als Fetische betrachten, sie sind, so der Philosoph Waldenfels, mehr als die Träger ihrer Eigenschaften. Wir fühlen uns mit der Eigenschaft selbst verbunden, der anima.

Es ist eine Seele, die wandern kann. Wer sich ein neues Smartphone kauft, legt das alte in die Schublade – 80 Millionen ausrangierte Handys soll es in deutschen Haushalten geben. Einstellungen, Kontakte, Nachrichten werden per Cloud ins neue Gerät übertragen. „Der Geist des Handys entwickelt ein Eigenleben gegenüber seiner Verkörperung“, sagt der Ethnologe Kohl: „Wir projizieren unseren eigenen Geist in das Gerät, die Distanz zwischen Objekt und Subjekt verschwimmt.“ Wer das Handy zu Hause vergisst oder versehentlich wichtige Daten löscht, empfindet einen Phantomschmerz.

Das Smartphone ist heute für viele unverzichtbar - wer es zuhause vergisst, empfindet einen Phantomschmerz.
Das Smartphone ist heute für viele unverzichtbar - wer es zuhause vergisst, empfindet einen Phantomschmerz.

© picture alliance / dpa

Mit jedem neuen Modell erweitern sich die Möglichkeiten, dank neuer Gadgets, neuer Apps, neuer Technologien. Das Verständnis für die Erneuerungen entwickelt sich aber nicht parallel dazu. Und die Neigung, uns verzaubert zu fühlen? „Wenn das Neue im Neuen weg ist, ebben solche Bewegungen ab“, sagt Kohl.Dennoch waren die Folgen der Animismus-Welle noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spürbar, in der Hippie-Bewegung der 60er Jahre oder der New-Age-Welle der 90er. Das Berliner Haus der Kulturen der Welt zeigte 2012 in der Ausstellung „Animismus“, wie wir bestimmte Dinge bis heute als beseelt wahrnehmen.

Die Wiederkehr des Archaischen entlastet die Menschen. Sie brauchen sich nicht mit Funktionsweisen auseinanderzusetzen und können so freier handeln. Das birgt aber auch die Gefahr des Unbedachten, der Rückkehr des Irrationalen. Der unbeholfene Umgang mit Technologien macht ihre Nutzer anfällig für das, was Technologiekonzerne zur unausweichlichen Zukunft erklären. Wer kann schon sagen, ob das, was die IT–Experten behaupten, plausibel ist? Sie versprechen, dass sie uns das Leben einfacher machen – eine vermeintliche Optimierung, die wir oft mit der Weitergabe von Daten bezahlen. Daten, deren Wert viele unterschätzen.

Wir kaufen Dinge, die wir nicht verstehen, mit einer Währung, die wir nicht begreifen, und das Ausmaß der Transaktionen überblickt sowieso keiner mehr. Wenn das keine Magie ist.

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