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Francesca, die den Tod nicht scheut, (Sarah Jakubiak) mit den Malatesta-Brüdern (Ivan Inverardi, Jonathan Tetelman, Charles Workman, v. li).

© Monika Rittershaus

Die Deutsche Oper digital wiedereröffnet: Überbordende Dekadenz mit einem vergessenen Klassiker

Christof Loy inszeniert Zandonais „Francesca da Rimini“ als Streaming-Premiere an der Deutschen Oper. Ein tröstliches Vorspiel für eine Zeit voller Entbehrungen.

Dietmar Schwarz gehört nicht gerade zu den Menschen, die für ihr emotionales Auftreten in der Öffentlichkeit bekannt sind. Doch bei den Begrüßungsworten, die der Intendant der Deutschen Oper vor der live gestreamten Premiere von „Francesca da Rimini“ in die Wohnungen der online gegangenen Opernfans sendet, wirkt er fast aufgewühlt. Seit Anfang November geht der Vorhang in seinem Haus zum ersten Mal wieder hoch.

Tägliche Tests aller Beteiligten ließen eine Probenarbeit ohne Abstand zu, der Chor wird sicherheitshalber aus dem Probensaal zugeschaltet. Die Botschaft ist klar: Man will ein Zeichen dafür setzen, dass Kultur wieder sichtbar sein muss – auch, wenn eine Rückkehr zum Regelbetrieb noch nicht in greifbarer Nähe ist. Das ist schwer auszuhalten, zumal, wenn sich zeitgleich Baumärkte ungehindert zu Tummelplätzen von Maskenmuffeln ohne jede Registrierung entwickeln. Dazu sagt Schwarz aber nichts, es hätte ihn vielleicht seine mühsam gewahrte Contenance gekostet.

Der glückliche Umstand, dass Riccardo Zandonais selten gespielte „Francesca da Rimini“ in der Regie von Christof Loy ohnehin für eine DVD-Edition produziert werden sollte, beschert den darbenden Freunden und Freundinnen der italienischen Oper zumindest eine Premiere im Netz. Vom Intendanten schaltet die Bildregie in den Orchestergraben, wer seinen Fernseher sehr laut gestellt oder sich Kopfhörer aufgesetzt hat, kann das Tuscheln der Musikerinnen und Musiker hören und spüren, wie sie sich ein letztes Mal versichern, dass mit ihren Instrumenten auch wirklich alles stimmt.

Die Notenpulte leuchten wie Segel in der Nacht, das Wispern und Lachen rollt gleich sanften Wellen durch den Graben. Es dauert eine ganze Weile, bis der Dirigent Carlo Rizzi sein Pult erklommen hat und dieses überraschend tröstliche Vorspiel vor dem ersten Takt sein Ende finden muss.

Riccardo Zandonai sollte ein zweiter Puccini werden

Der heimische Opernkonsument ist nicht unbedingt der mitfühlendste. Schnell ist er genervt, etwa davon, dass es niemals möglich scheint, Untertitel so zu platzieren, dass man sie auch lesen kann. Dabei müsste doch nur das Bildformat etwas breiter angelegt werden, im schwarzen Balken oben oder auch unten wäre bester Leseraum. Warum machen die den nicht rein, fragt man sich auf dem Sofa in aufbrausender Sportschau-Stimmung und muss aufpassen, nicht unsportlich zu werden.

Doch verglichen mit den Staatsopern-Streams von Wagners „Lohengrin“ und Janáčeks „Jenůfa“ ist an der Deutschen Oper die Chance deutlich höher, tatsächlich mal vom Musiktheater aufgewühlt zu werden und die Unzulänglichkeiten der behelfsmäßigen Übertragungswege kurzzeitig zu vergessen.

Das liegt zum einen am Stück. Riccardo Zandonai, musikalisches Wunderkind und gefeierter Dirigent, sollte als ein zweiter Puccini aufgebaut werden. Dafür kaufte der Verleger Tito Ricordi die ebenso anstößige wie sündteure Dramenvorlage von Gabriele d’Annunzio, der das Liebespaar Francesca und Paolo aus Dantes Höllenkreisen heraufholte. Seine Zurichtung des Dramas um Francesca, die, in ihrer Liebe getäuscht und verschachert, letztlich von drei kriegswütigen Brüdern begehrt wird, oszilliert dekadent und süffig zwischen den Zeiten und Kunststilen.

Harscher Verismo und narkotisches Wagner-Gift

Zandonai begreift das als willkommene Aufforderung, seinen eigenen Kompositionsstil aufblühen zu lassen, dem harschen Verismo etwas vom narkotischen Gift Wagners beizumischen. Vom Duft des Impressionismus umhüllt, tut es viel schleichender seine Wirkung.

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Zum anderen ist „Francesca da Rimini“, 1914 uraufgeführt, kein Repertoirestück, Sängerinnen und Sänger bringen kaum fertige Interpretationen oder bewährte Rettungsschirme mit auf die Proben. Das kann ungeahnte Kräfte freisetzen und Interpret:innen leuchten lassen, die plötzlich einen ganzen Abend erhellen. So ist es Sara Jakubiak 2018 in Korngolds „Das Wunder der Heliane“ gelungen, ebenfalls von Christof Loy an der Deutschen Oper inszeniert. Diesmal soll sie als Francesca eine den Tod nicht scheuende, der männlichen Gewalt trotzende Frau verkörpern.

Regisseur Loy gibt ihr den Raum, über Liebe und Erotik noch in der denkbar unfreiesten Lage selbst zu gebieten. Sara Jakubiak verkörpert das beeindruckend und stürzt sich nach anfänglichem Zögern rückhaltlos in ihre Partie.

Darüber hinaus gelingt der Deutschen Oper eine musikalisch erstaunlich geschlossene Besetzung für die drei Brüder der militanten Malatesta-Sippe: Ivan Inverardi spielt den „Lahmen“ mit rigolettohaftem Riss im Herzen, Jonathan Tetelman singt den „Schönen“ mit balsamischem Schwung und Charles Workman reizt bei seinem „Einäugigen“ lustvoll stimmliche Schärfen aus.

Überbordende Dekadenz ohne Federlesens

Und dennoch bleibt der Eindruck, dass hier noch mehr gegangen wäre, wenn auch Dirigent Carlo Rizzi diese „Francesca da Rimini“ als echten Ausnahmefall behandelt hätte und nicht als Routineaufgabe. Diese Oper ohne Schlager und Bravournummern kann noch tiefer ausgeleuchtet werden, noch stärker die Sinne verwirren, noch mehr als Statement wirken, dass man dieses Werk wirklich braucht.

Christof Loy hingegen beweist einmal mehr, dass er als Regisseur überbordende Dekadenz schlüssig und ohne viel Federlesens in den Griff bekommt. Seine Tableaus sind nicht für Bildschirme gemacht und sehen auf ihnen trotzdem nicht lausig aus. An Theaterblut und Kleindarstellern hätte die Regie getrost sparen können, denn letztlich ist „Francesca da Rimini“ ein Kammerspiel, und nichts ist bedrückender als ein Raum, aus dem die Gewalt nicht entweichen kann. Nach dem finalen Blutrausch wird der Vorhang viel zu schnell wieder geschlossen. Die Trauer über die verklungene Musik könnte aktuell ein bedeutender Teil der Inszenierung sein. (Bis 17. März 2021 als Video-on-demand auf www.takt1.de abrufbar, danach kostenpflichtig. Vorstellung vor Publikum am 4. April im Rahmen des Pilotprojekts Testing, Tickets buchbar ab 18. März)

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