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30 Jahre lang Brieffreunde. Carl Schmitt (l.) und Reinhart Koselleck (r.).

© Erbengemeinschaft Koselleck; Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V

Die Briefe von Carl Schmitt und Reinhart Koselleck: Der verehrte Herr Professor und sein Diener

Im Briefwechsel zwischen Schmitt und Koselleck zeigen sich Stereotype einer restaurativen Dekade. Was sagt uns das verunglückte Lehrer-Schüler-Verhältnis?

Keine vier Jahre nach Gründung der Bundesrepublik schreibt ein kluger junger Historiker einem gewieften alten Nazi, den er kurz zuvor zum ersten Mal in seinem sauerländischen Refugium besucht hatte. Der junge Mann, über dessen eigene Wehrmachtszeit wenig bekannt ist, steht kurz vor dem Abschluss seiner Promotion, die heute zu den Klassikern der Aufklärungsforschung gehört. Sein Gesprächspartner hatte 1945 die Professur verloren, war mit Publikationsverbot belegt und 1947 als potenzieller Angeklagter der Nürnberger Prozesse in Haft gehalten worden.

Über 30 Jahre währte die Korrespondenz zwischen Carl Schmitt und Reinhart Koselleck, die jetzt, sorgfältig kommentiert, bei Suhrkamp vorliegt. Die ersten Kritiker überschlugen sich vor Begeisterung, ganz so, also blickte man nicht in die engen Gelehrtenstuben der alten Bundesrepublik, sondern über ein atemberaubendes Gipfelpanorama europäischer Intellektualität. Was ist an dem verunglückten Lehrer-Schüler-Verhältnis interessant? Was verdankt Koselleck dem ehemaligen „Kronjuristen des Dritten Reiches“? Was hat er ihm entgegenzusetzen?

Konservative Männer-Gelehrsamkeit

Von den ersten Seiten an weht ein Duft scharfer, aber auch melancholischer Gelehrsamkeit durch das Buch: Im Schmitt’schen Kleinbürgerhäuschen, fernab des Fachbetriebs, füllt der junge Koselleck seinen „Benzintank“ wieder auf, führt skeptische Gespräche über die Zustände der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft.

Er holt sich Rückendeckung für die letzten Etappen seiner Promotionsschrift über das Verhältnis von Moral und Politik im 18. Jahrhundert. Im Eingangsbrief dankt er ehrfürchtig für die „strenge Mahnung“, Begriffe stets auf ihre Situation zurückzuführen. Der Dank findet später Eingang ins Buch – für „Herrn Professor Dr. Carl Schmitt, der mir in Gesprächen Fragen stellen und Antworten suchen half“.

Die konservative Männer-Gelehrsamkeit erfüllt die Stereotype einer restaurativen Dekade. Als später der hoffnungsvolle Nachwuchs die Anzüge gegen Parkas tauscht und die Ordinarien nun auch öfter weibliche Gäste in ihren verrauchten Seminaren zulassen, ebbt die Korrespondenz vorübergehend ab.

Koselleck berichtet 1968 von den „Studentenunruhen“, skeptisch, klug beobachtend. Sie seien „utopisch durchsetzt“, die „‚linken‘ Studenten“. Schmitt lockt unterdessen in seiner teils erzwungenen, teils inszenierten Ferne vom akademischen Tagesbetrieb weiter aufstrebende Jungwissenschaftler an.

Ein gefährlicher Geist

Koselleck war in der Tat nicht der Einzige, der nach Plettenberg pilgerte, sich vom alten Schmitt anregen ließ und gelegentlich Gefälligkeiten, ein Buch oder eine Kopie, schickte. „Ein gefährlicher Geist“ titelte 2007 die Studie des Politikwissenschaftlers und Ideenhistorikers Jan-Werner Müller, die Schmitts Wirkung nachzeichnet.

„Sie haben bisher unsere Zeit in Begriffe gefasst, mit denen wir aus der jungen Generation diese Zeit begreifen lernen“, schrieb Koselleck im Juli 1953. Der Briefwechsel gibt etwas von diesen selbstgewählten Asymmetrien preis. Es geht um Schmitts „Nomos der Erde“, Shakespeares Hamlet, um den spätantiken Kirchenhistoriker Eusebius, um Sternbergers Missverständnis des Politischen oder die Frage nach dem deutschen Disraeli. Auch Alibaba und die 40 Räuber kommen vor.

Am Ende ist Koselleck der international renommierte Historiker, und die Mitteilungen seines gebrechlichen Briefpartners werden dünner, erratischer. An keiner Stelle bringt er, trotz wachsender Distanz, die Erkenntnis und den Dezisionismus auf, sich aus dem einmal eingegangenen Mentorenverhältnis zu lösen. Er bleibt befangen. Die andachtsvolle Verehrung reicht, durchaus ironiefrei, bis in den letzten Brief an den „sehr verehrten Herrn Professor“ vom „sehr ergebenen“ Reinhart Koselleck.

Schmitt betreibt ein Kostümspiel

Auffällig präsent, bemerkte die Historikerin Christina Morina einmal, sei in Kosellecks Werk die von Carl Schmitt inspirierte dichotomische Kategorisierung in Sieger und Besiegte, während die Unterscheidung von Angreifern und Angegriffenen in den Hintergrund trete oder relativ absent sei.

Will man dem Sinnieren zweier Herren über den „Weltbürgerkrieg“ wirklich erbaut zusehen, während die realen, nur wenige Jahre zurückliegenden Verbrechen vernebelt, die Rollen der Anstifter, Handlanger, Täter und Opfer in den Briefen verwirrt werden?

Schmitt betreibt ein Kostümspiel, wie man es aus seinen späten Publikationen kennt, anklagend und rechtfertigend, weinerlich und trotzig in einem. Er tritt auf als Hobbes: Der „war Aussen. Und Innen. Emigrant. Richtig.“ Koselleck stimmt in frühen Briefen in das Misstrauen gegenüber den remigrierten jüdischen Professoren ein – auch gegenüber Karl Löwith, einem der Gutachter seiner Dissertation.

Dessen geschichtsphilosophische Skepsis könnte mit seinen eigenen Überlegungen harmonieren, „wenn sie nicht der Emigration entspränge!“ Eine Demutsgeste? Oder doch die bloße Verstocktheit der frühen Bundesrepublik, in der Thomas Mann unter Polizeischutz auftreten musste? Nachdenklich macht, dass der Akzent nicht auf dem theoretischen Einspruch liegt.

Kritik und Apologie im Nachwort

Sorgfältig und kenntnisreich bereitet die Edition das Material aus den Archiven auf. Verstimmt wirkt allerdings das Nachwort, so, als wollte es Kritik und Apologie zugleich sein. Schmitts antiliberale Einstellung, sein Antisemitismus, sein Engagement im „Dritten Reich“ werden in Erinnerung gerufen, wenngleich unter dem Rubrum des persönlichen Scheiterns.

Registriert wird Schmitts „Ressentiment“ nach 1945, sein Selbstverständnis als „Exilant im eigenen Lande“, als „stoischer Besiegter mit Erkenntnisvorsprung gegenüber den Siegern“. Müsste die Quellenarbeit nicht mehr ergeben als die Stereotype schmittianischer Selbstdarstellung?

Wenn aus dem „Zwangsruheständler“ unversehens ein Sokrates wird, der mit „scharfem Geist“ und „rhetorischer Brillanz“ auftritt, mag man hierin noch ein schillerndes Porträt erkennen. Die distanzierte Warte scheint der Herausgeber selbst stillschweigend zu verlassen, wenn er den Briefeschreibern gegen die vorher angeführten Evidenzen in den fünfziger Jahren „eine abgeklärte Beobachterposition zwischen den ideologischen Blöcken“ attestiert.

Wer diesen Briefwechsel liest, dem sollte das Lächeln vergehen

Reinhart Koselleck soll von all dem, folgt man dem Nachwort, in der frühen Zeit nur wenig bemerkt haben: weder das Ressentiment noch die antisemitische politische Mythologie. Das später selbst eingestandene Desinteresse des Heidelberger Doktoranden an Schmitts Verstrickung in den Nationalsozialismus wird mit einem Marc-Aurel-Zitat in den Bereich der philosophischen Reflexion gehoben, als dispensiere die stoizistische Attitüde von der Schuldreflexion.

Wie viel unbewältigte historische Gegenwart steckt in Kosellecks Kritik und Krise? Jürgen Habermas hat die Frage früh gestellt und den wenig älteren Koselleck als Schmittianer charakterisiert.

Auch wenn man Habermas’ Beobachtung nicht so nachdrücklich teilen sollte: Wie, wenn nicht symptomatisch, soll man die Korrespondenz denn lesen? Wer sucht sich Schmitt als Erzieher? Eine junge, aufstrebende Klientel, die sich in einer langsam demokratisierten Nachkriegsöffentlichkeit nach dem gefährlichen Denken sehnt?

Und schließlich: Was sagt es über unsere Gegenwart, wenn die Freude an der Heterodoxie triumphiert, während diejenigen, die dazu beigetragen haben, der Nachkriegsöffentlichkeit zu demokratischen Begriffen und Formen zu verhelfen, als Langweiler oder Erziehungsdiktatoren belächelt werden? Wer diesen Briefwechsel liest, dem sollte das Lächeln vergehen.
[Reinhart Koselleck, Carl Schmitt: Der Briefwechsel. 1953-1983. Hrsg. von Jan Eike Dunkhase. Suhrkamp, Berlin 2019. 459 Seiten, 42 €.]

Hendrikje Schauer

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