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Napoleon statt Bismarck. Sophie Rois in „Der Geizige“ 2012 an der Volksbühne. Aufführungsfotos von ihr in „Die Bismarck“ gibt es leider nicht.

© Imago

"Die Bismarck" an der Volksbühne: Helden wie Heringe

Pickelhauben, Mädchenchor und Tschingderassabum: Die Volksbühne und Sophie Rois stellen „Die Bismarck“ auf die patriotische Rampe.

Donnerwetter, kolossal, was die Sing-Akademie zu Berlin da am Sonntagabend in der Volksbühne an Menschenmaterial aufbietet, um das Oratorium „Die Bismarck“ mit der gebotenen Eisernheit über die patriotische Rampe zu bringen!

Eine schneidig Halalis schmetternde Abordnung von Jagd- und Parforcehornbläsern aus Taucha in Sachsen, allesamt in gelbe Uniformröcke gekleidet, die Dreispitze fest auf dem Kopf. Ein Streichquintett samt Schlagwerkern und Flötisten, den Staats- und Domchor Berlin, den Hauptchor der Sing-Akademie, den mit Lorbeerkränzen und Pickelhauben verzierten Mädchenchor und reizende Knaben in blütenweißen Oberhemden.

Die Volksbühne steuert zum festlichen Auftakt des Bismarck-Jahres neben ihrer mal wieder staunenswert virtuosen Bühnenhydraulik vor allem zwei schauspielerische Schwergewichte bei: Sophie Rois deklamiert wunderbar den Eisernen Kanzler und Daniel Zillmann wiegt als Generalfeldmarschall Roon die Hüften zur Musik. Ein wenig preußischer Anblick, der bestätigt, was Christian Filips ironisches Weihespiel vorhat: nämlich den historischen Kult um den als Reichsgründer verehrten Kanzler, dessen Heldengeburtstag sich am 1. April zum 200. Mal jährt, volksbühnengerecht zu zerlegen. In den Staatsmann Bismarck, dessen nationalkonservative Texte Sophie Rois im Priesterornat an die sie in Bergpredigt-Manier umlagernden Menschen austeilt wie Oblaten. Und in so bedrohliche wie banale Mythen: Die 1940 als weltgrößtes Kriegsschiff in Dienst gestellte „Bismarck“ taucht unter Nebelhorntuten zum modernen Containerschiff stilisiert aus dem Bühnenboden auf, was unklare Bezüge zur Gegenwart setzt, aber auf der tanzenden Drehbühne ein klasse Bild ist. Und das Choristen-Volk bekommt die unvermeidlichen Bismarck-Heringe angereicht.

Musikalisch webt Sing-Akademie-Chef Kai-Uwe Jirka einen deutschen Assoziationsteppich, der von Brahms über Beethoven und Haydn bis zu Carl Maria von Webers „Lützows wilder verwegener Jagd“, zu Wilhelm-Taubert-Liedern und Kirchenchorälen wie „So nimm denn meine Hände“ oder „Nun danket alle Gott“ reicht. Das ist schön musiziert und noch besser gesungen, quasi der ernsthafte Gefühlskontrast zum Zitatebruch aus Staatslenker- und Dada-Sätzen, was aber keine dramaturgische Einheit schafft.

Klamottig wird’s, als mit Tschingderassabum eine Band einmarschiert und „Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhaben“ intoniert. Bedeutungsschwanger wird’s, als eine mit einer dissonanten Soundcollage aufgeraute „Lichtdom“-Installation den deutschen Ungeist beschwört. Okay, verstanden, der im Kaiserreich gelegte nationalkonservative Keim trägt später die nationalsozialistische Frucht. Nur was hat das mit dem Pfleger im weißen Kittel zu tun, der den ganzen Abend über auf der Seitenbühne neben einem leeren Krankenbett hockt? Patient Bismarck, Patient Deutschland, der Nationalismus die ewige Krankheit? Tja.

Als nach stattlichen Wimmelbildern das Oratorium schließlich mit dem Monolog eines Chorknaben endet, steht Ratlosigkeit im Raum. Vorbei, nicht vorbei, klatschen, nicht klatschen? Irritierte Blicke. Der Verdacht: „Die Bismarck“ ist kolossaler Quatsch. Dann löst sich Applaus – für die Ausführenden! Die Tröten aus Taucha erheitern mit Zugaben. Ein Herr wendet sich frustriert an seinen Nachbarn: „Ich bin doch ein gebildeter Deutscher, aber ich habe absolut nichts verstanden.“ Jetzt hülfe ein Korn – Marke Fürst Bismarck.

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