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Augenmensch. Michael Ballhaus, 1935 in Berlin geboren, hat 80 Kinofilme gedreht – mit Fassbinder, Scorsese, Coppola, Schlöndorff oder Popstar Prince.

© dpa/Oliver Dietze

Die Biografie von Michael Ballhaus: Glück im Augenblick

Berlin, Hollywood und zurück: In der Autobiografie „Bilder im Kopf“ erzählt Michael Ballhaus vom Leben hinter der Kamera. Privat lebt er mit seiner zweiten Ehefrau Sherry Hormann am Mexikoplatz in Berlin-Zehlendorf.

Nicht, dass man sich Szenen einer Ehe im Filmgeschäft nicht auch banal vorgestellt hätte. Aber Alltagsdialoge hehrer Bilderschöpfer nachzulesen, ist trotzdem amüsant. Wie auf Seite 204 seiner Biografie „Bilder im Kopf“, wo Kameramann Michael Ballhaus erzählt, wie er abends von den Dreharbeiten des Mafiafilms „Goodfellas“ in New York heim zur Gattin ins Appartement in Greenwich Village kommt: „Wie war dein Tag?, fragte Helga manchmal. Und als Antwort bekam sie immer wieder Sätze wie diese zu hören: Der Tag war normal. Wir haben einen Mafioso gekillt. Und weil Marty mehr Hirn spritzen lassen wollte, haben wir die Einstellung siebenmal gedreht. Beim siebten Mal spritzte so viel Hirn, wie Marty wollte.“

Wohlgemerkt: Wie Regisseur Martin „Marty“ Scorsese, nicht wie Ballhaus wollte, der in diesem Kapitel keinen Hehl daraus macht, dass es ihm schwer zusetzt, hinter der Kamera zugleich erster Zeuge und zugleich Urheber von Bildern exzessiver Gewalt zu sein. Selbst wenn sie später als große Filmkunst deklariert werden und seine Partnerschaft mit Martin Scorsese nach der mit Rainer Werner Fassbinder die zweitwichtigste seiner 40 Jahre umfassenden Karriere ist.

Martin Scorsese, dem notorischen Budget-Überzieher, rettet er den Ruf

Mit Fassbinder hat er allein 15 seiner rund 80 Kinofilme gedreht. Mit Scorsese sechs. Und ihm nebenbei den Hintern gerettet. Mit dem Low-Budget-Nachtstück „After Hours“, das 1985 Ballhaus’ Durchbruch in Amerika markiert und seinen Ruf begründet, ein schneller, effizienter, stets im Budget bleibender Kameramann zu sein. Eine Tugend, die Ballhaus beim verrückten, ständig Besetzungen und Drehpläne umschmeißenden Fassbinder gelernt hatte, und die definitiv nicht die des notorischen Budget-Reißers Scorsese war. Der wurde damals erst durch die Erfolgsbilanz von „After Hours“ wieder für Produzenten kreditwürdig.

Ihr 20 Jahre später, im Jahr 2005 letzter gemeinsam gedrehter Film, der Thriller „The Departed“, ist dann der Moment, in dem Ballhaus sich am Ende der von Egomonster Jack Nicholson terrorisierten Dreharbeiten entscheidet, seine Hollywood- Karriere zu beenden. Nicht weil er die Eskapaden von Schauspielern oder Regisseuren satt hat, sondern weil er inzwischen 70 ist, was man im Buch bis dahin gar nicht so richtig registriert.

Immerhin ist der am 5. August 1935 um 5.55 Uhr in Berlin geborene, bis heute international erfolgreichste deutsche Kameramann schon fast 50, als er beschließt, fortan nur noch in Amerika zu arbeiten. Sonst nicht unbedingt das Alter, in dem Menschen jenseits des Ozeans ihr Glück suchen.

Im Licht setzenden Zwitterfach zwischen Kunst und Technik gilt Erfahrung allerdings als Vorzug. Und Ballhaus’ deutsche, zuerst als Kameramann beim Südwestfunk begonnene Laufbahn war auch schon reich an wichtigen Kinofilmen. Das Fassbinder-Drama „Martha“ etwa, in dem er erstmals die durch ihn populär gewordene 360-Grad-Kreisfahrt einsetzte. Oder Hans W. Geißendörfers „Zauberberg“-Verfilmung,, mit der Ballhaus bis heute allerdings nicht so recht zufrieden ist. Überhaupt ist es eine Überraschung in dem mit Claudius Seidl, dem Feuilletonchef der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, verfassten Buch, dass der allseits als freundlich und friedlich gerühmte Gentleman Ballhaus doch mit diversen Regisseuren und Arbeitsergebnissen unzufrieden ist.

Barry Sonnenfelds 170-Millionen-Dollar-Flop „Wild Wild West“ mit Will Smith bezeichnet er noch im Nachhinein kopfschüttelnd als „sensationellen Blödsinn“ in „Springteufel-Ästhetik“ und „Fratzen-Optik“. Und mit Regisseurinnen wie Nancy Meyers, Jeanine Meerapfel oder Margarethe von Trotta kommt er gleich gar nicht zurecht, wie er selbstkritisch anmerkt: „Heute weiß ich, dass ich einfach nur arrogant war. Ich stand am Set, ich war erfahrener, ich dachte, ich wüsste genau, wie es geht. Und dann kam so ein junges Huhn und wollte mir etwas erzählen.“

Das Spiel der Blicke, Kino als Ort der Verführung

Überhaupt die Frauen. Die kommen in Ballhaus’ Bilderwelt reichlich vor. In Gestalt von Meryl Streep, die jede ihrer Einstellungen kontrollieren will. In Gestalt von Emma Thompson, in die Ballhaus sich – sehr süß, sehr platonisch – glühend verliebt, als Spiel der Blicke, der Hingabe und des Begehrens zwischen Schauspielerin und Kamera und damit Kameramann. Eine kinematografische Leuchtkraft und Verführungsgabe, die Ballhaus allerdings auch Leonardo DiCaprio attestiert.

Die Hände des Kameramannes.
Die Hände des Kameramannes.

© Thilo Rückeis

Nicht zu vergessen: Helga. Ballhaus’ Ehefrau, die er mit 17 in der fränkischen Theaterkompagnie seiner Schauspielereltern kennenlernt, mit 23 heiratet, die ihre Schauspielkarriere beim Umzug nach Amerika begräbt und sich bis zu ihrem Tod 2006 ihm, seiner Firma und den beiden ins Filmgeschäft nachrückenden Söhnen Florian und Sebastian widmet. Zeit des gemeinsamen Lebens seine wichtigste Beraterin, wie Ballhaus, der heute mit seiner zweiten Ehefrau, der Regisseurin Sherry Hormann in Berlin-Zehlendorf lebt, sie nennt.

„Dies sind die Erinnerungen eines Mannes, der mit seinen Augen gelebt und gearbeitet hat“ – dieser erste Satz des Vorwortes der gut geschriebenen, kurzweiligen, im Amerika-Teil gelegentlich zu additiven Biografie hat – verbunden mit der Nachricht von Ballhaus’ durch den Grünen Star schwindenden Sehkraft eine tragische Endgültigkeit. Die entspricht aber nicht dem gelösten Ton des Buches, das weder ein Technikkompendium noch eine Filmtheorie oder eine Anekdotensammlung ist, sondern der zufriedene Rückblick eines gewinnenden Mannes – und keine aufschneiderische Gewinnerbiografie.

Angefangen mit seinen Kindheitserinnerungen an das als Abenteuer erlebte Kriegs-Berlin, die freie Jugend in der Coburger Künstlerkommune der Eltern, die Kino-Initiation bei einem Setbesuch von Max Ophüls’ pompösem „Lola Montez“-Dreh 1955, bis zum Privat- und Berufsleben: Diesem Mann ist einiges von filmhistorischer Bedeutung, ist ganz persönlich Glück gelungen.

Michael Ballhaus/Claudius Seidl: Bilder im Kopf. Die Geschichte meines Lebens. DVA, 320 S., 22,99 €. – Ballhaus stellt sein Buch mit Ulrich Matthes am 2.4. und Sylvester Groth am 3.4., jeweils um 20 Uhr, in der Autorenbuchhandlung am Savignyplatz vor.

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