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Der Judaskuss als Moment des Verrats ist ein beliebtes Kunstmotiv. Hier zu sehen in einem Fresko von Giotto, entstanden um 1300.

© Wikipedia

Die Bibel und historische Quellen: Hat Judas Christus wirklich verraten?

Der verstorbene Schriftsteller Amos Oz hielt die Geschichte von Judas' Verrat für eine gefährliche Legende. Ihm zufolge zeigten Quellen ein anderes Bild.

Natürlich ist Jesus Christus der Hauptheld im österlichen Drama. Doch literarisch oder psychologisch betrachtet, erscheinen Pontius Pilatus und Judas Ischarioth in ihren entscheidenden Nebenrollen als die spannenderen Figuren. Pilatus ist als Mann der römischen Besatzungsmacht, der das Todesurteil über Jesus bestätigen muss, der moralische Zögerer, fast eine hamletische Gestalt. Und Judas, der Jesus-Jünger, liefert seinen Herrn der Verhaftung aus: durch den berühmten Kuss.

Eine Untreue sondergleichen – wenn die Geschichte denn wahr ist. Die Folgen jedenfalls sind historisch. Spätestens seit dem Mittelalter galten die Juden der christlichen Mehrheit als Gottesverräter und Gottesmörder. Jude und Judas, das gehörte zusammen. Dabei entspringt der christliche Hass gegen Juden einem Paradox. Weil Jesus wie Maria und alle seine Jünger und Anhänger selber Jude war. Schon deshalb steckt im Antisemitismus der nackte Wahn. Jesus wollte auch keine neue Religion, sondern den jüdisch-menschlichen Bund mit Gott erneuern und die mosaischen Regeln durch den Inhalt der Bergpredigt nur modernisieren.

Als das später dominante Christentum dann immer mehr zur (physischen) Bedrohung wurde, hat sich die jüdische Theologie einer Auseinandersetzung mit dem einstigen Wanderrabbi und Wunderheiler aus Nazareth eher enthalten. Der Mann am Kreuz bedeutete nichts als Scherereien und sollte nicht noch weiter aufgewertet werden.

In seiner „Lecture on Jesus“ hat der israelische Schriftsteller Amos Oz im Mai 2017 in Berlin gegen diese traditionelle Haltung entschiedenen Widerspruch eingelegt. Auf dem Vortragstext beruht ein mit einem instruktiven Nachwort des Potsdamer Rabbiners und Religionswissenschaftlers Walter Homolka versehenes Bändchen: Amos Oz „Jesus und Judas“, Patmos Verlag, Ostfildern (94 Seiten, 12 Euro). Schon in seinem letzten Roman „Judas“ hatte sich der große, im Dezember 2018 in Tel Aviv verstorbene Autor mit dem vermeintlichen Christus-Verräter beschäftigt. Doch ins Zentrum gerät er erst in dem späteren Judas-Essay, mit dem Oz ausdrücklich an das Erbe seines Großonkels, des Historikers und liberalen Zionisten Joseph Klausner anschließt. Klausner hatte um 1920 mit zwei provokativen Büchern über Jesus Aufsehen erregt, zum Missfallen konservativer Juden wie Christen.

Amos Oz überrascht nun mit einer positiven Sicht auf seine für ihn nur scheinbar konträren Titelfiguren Jesus und Judas. An Jesus gefällt ihm „seine Vision, seine Zärtlichkeit“ und verblüffenderweise auch ein „herrlicher Sinn für Humor“. Hierzu gibt es einen hübschen Exkurs über Tschechow, der seine (scheinbar) so traurigen Stücke selber immer als „Komödien“ bezeichnet hat. Wichtiger ist indes die Ehrenrettung für Judas. Denn der war nach allen Quellen kein armer Fischer vom See Genezareth, „sondern ein reicher Großgrundbesitzer aus Judäa, der Sklaven und Sklavinnen besaß“. Warum hätte er für 30 Silberlinge seinen geliebten Herrn verkaufen sollen? Und warum hat er sich, über Jesus’ Schicksal offenbar verzweifelt, sogleich selbst erhängt? Oz: „Das ergab einfach keinen Sinn.“

In Venezuela findet jedes Ostern eine Judas-Verbrennung statt. Bei dieser Zeremonie 2015 steht er für die USA.
In Venezuela findet jedes Ostern eine Judas-Verbrennung statt. Bei dieser Zeremonie 2015 steht er für die USA.

© Miguel Gutierrez/dpa

Tatsächlich war Jesus in Jerusalem stadtbekannt, es brauchte keinen Kuss als Fingerzeig, wer der beim Abendmahl zu Verhaftende sei. Der angebliche Verräter Judas aus der nicht eben zweifelsfreien Überlieferung der Evangelien diente laut Oz bloß zur Instrumentalisierung des Judenhasses. Er nennt die Legende „das Tschernobyl des christlichen Antisemitismus“ in zweitausend Jahren. Bedenkenswert.

Ostern gilt der Hoffnung auf Erlösung im Jenseits nach dem Tod. Hat der zuletzt krebskranke Amos Oz den Tod gefürchtet? In seinen jetzt erschienenen Gesprächen mit der Lektorin Shira Hadad, „Was ist ein Apfel?“ (Suhrkamp Verlag, 175 Seiten, 20 Euro), bekennt der prominente Verfechter einer Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern („Peace now“), doch lieber eine Weile weiter auf Erden leben zu wollen: „Alles in allem finde ich es hier wahnsinnig spannend. Sogar die entsetzlichsten Dinge sind interessant. Ich will nichts verpassen.“

Auch im Fußball wird Judas als synonym für Verräter verwendet. Hier für Manuel Neuer, der 2011 von Schalke nach München wechselte.
Auch im Fußball wird Judas als synonym für Verräter verwendet. Hier für Manuel Neuer, der 2011 von Schalke nach München wechselte.

© Friso Gentsch dpa/lnw

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