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Siegertitel: Ausschnitte aus „Am liebsten mag ich Monster“, „Maertens“, „Black Hammer“, „Endzeit“ und „Heimat“.

© Promo

Die besten Comics des Jahres: Am liebsten mögen sie Monster

Manga und Heimat-Erzählung, Superhelden und eine Brautkleid-Geschichte: Die Tagesspiegel-Jury hat gewählt – das sind die besten Comics des Jahres.

Von der Anmutung eines mit Pulp-Motiven vollgekritzelten Ringbuchs, die dieses Werk auf den ersten Blick vermittelt, sollte man sich nicht auf die falsche Fährte führen lassen. Ja, das Buch „Am liebsten mag ich Monster“ der 56-jährigen US-Zeichnerin Emil Ferris ist auch eine Hommage an die Horrorcomics und Trash-Filme der 1950er und 60er Jahre. Vor allem aber ist die als Tagebuch eines jungen Mädchens angelegte Erzählung ein so kunstvoller wie komplexer psychologischer Thriller, der seinesgleichen sucht. Und sie ist für die Tagesspiegel-Jury der beste Comic des Jahres 2018.

14 Titel wählte die Jury, die diesmal aus acht Autorinnen und Autoren der Tagesspiegel-Comicseite bestand, in die Endrunde. Jedes Jurymitglied hatte zuvor fünf Favoriten nominiert und mit Punkten von 5 bis 1 bewertet, die Begründungen lassen sich hier nachlesen: Barbara Buchholz, Ute Friederich, Moritz Honert, Oliver Ristau, Sabine Scholz, Marie Schröer, Ralph Trommer und Lars von Törne.

Auf der Shortlist landete jeder Titel mit mindestens fünf Punkten oder zwei Nennungen, diese wurden dann abschließend bewertet – siehe Tabelle. Parallel waren auch wieder die Leserinnen und Leser gefragt, welches 2018 ihre Comicfavoriten waren - eine Auswahl der Einsendungen findet sich hier.

Enorme stilistische Bandbreite. Eine Seite aus „Am liebsten mag ich Monster“.
Enorme stilistische Bandbreite. Eine Seite aus „Am liebsten mag ich Monster“.

© Panini

Initiationsroman, Milieustudie und Kriminalgeschichte

Der Jury-Siegertitel „Am liebsten mag ich Monster“, der auf Deutsch bei Panini erscheint (420 S., 39 €), ist aus Sicht der eigenbrötlerischen Karen erzählt, einer zehnjährigen Schülerin mit einer ausufernden Fantasie, einem morbiden Humor und einer großen Liebe zur bildenden Kunst. Als ihre Nachbarin unter rätselhaften Umständen zu Tode kommt, führt die Geschichte aus dem Chicago der 1960er Jahre direkt ins Berlin der NS-Zeit. Und Karen, die sich halb als Werwolf und halb als Detektiv sieht und von Ferris auch so gezeichnet wird, hat einen vertrackten Fall zu lösen.

„Ein eigen- und einzigartiges Buch, das Elemente von Initiationsroman, Milieustudie und Kriminalgeschichte raffiniert und ungewohnt vereint“, urteilt Jurymitglied Marie Schröer. Tagesspiegel-Redakteur Moritz Honert kommt zu dem Schluss: „Keine einfache Lektüre, es braucht Konzentration, dem virtuos komponierten Erzählbogen zu folgen. Doch eine lohnenswertere Anstrengung gab es lange nicht mehr im Bereich der Bildergeschichten.“

Auf Platz zwei folgt ein deutscher Titel: Die Krimi-Groteske „Maertens“ von Maximilian Hillerzeder (Jaja, 160 S., 18 €) „besticht durch Einfallsreichtum in Figurengestaltung und grafischem Erzählen“, findet Barbara Buchholz. Die Geschichte, in der der Hobbykriminalist Maertens an einen rätselhaften Entführungsfall gerät, sei „auf eine unaufdringliche Art skurril“. Und Oliver Ristau schreibt: „Die Freude am Ausprobieren ist deutlich spürbar – eine im deutschen Comic viel zu oft vernachlässigte Tugend.“

Erinnerungen an „Warten auf Godot“ und „Watchmen“

Platz drei geht an den Auftakt der Superhelden-Serie „Black Hammer“ des kanadischen Autors Jeff Lemire und des britischen Zeichners Dean Ormston. Ralph Trommer lobt die Serie, von der jetzt die ersten Sammelbände auf Deutsch erschienen sind (Splitter, Bd. 1: 184 S., 19,80 €), für ihre „originellen, fantastischen und schwarzhumorigen Elemente“ und stellt fest: „So baut sich allmählich eine komplexe Saga auf, die an Becketts Drama ,Warten auf Godot‘ wie auch an herausragende Superhelden-Schöpfungen der 80er wie ,Watchmen‘ erinnert.“

Sieger nach Punkten: Für die Komplettansicht der Tabelle bitte auf das Plus-Symbol klicken.
Sieger nach Punkten: Für die Komplettansicht der Tabelle bitte auf das Plus-Symbol klicken.

© Fabian Bartel

Auf Platz vier: Emile Bravos Fortsetzung des frankobelgischen Klassikers „Spirou & Fantasio“: „Spirou oder: die Hoffnung“ (Teil 1, Carlsen, 96 S., 14 €). Mit dem ersten von vier Bänden habe der Franzose Bravo „eine Erzählung über den Zweiten Weltkrieg geschaffen, die an Authentizität und künstlerischer Verdichtung mit den Besten dieses Genres mithalten kann“, findet Ralph Trommer. Zeichnerisch gelinge Bravo eine perfekte Hommage an Hergés „Ligne Claire“.

Recherchereise in die deutsche Psyche

Der dreibändige Manga „In this Corner of the World“ (Carlsen, je 148 S., je 12,99 €) kommt auf Platz fünf. Darin erzählt Fumiyo Kouno vom fiktiven Alltag einer jungen Hausfrau und ihrer Familie in Hiroshima Anfang der 1940er Jahre. „Der zeitlose, klassische Zeichenstil schafft trotz des bedrückenden Hintergrundes eine heimelige Atmosphäre“, sagt Sabine Scholz. „Mal filmisch inszeniert mit Dialogen, mal angelehnt an den traditionellen Kamishibai-Stil“ sei der Zeichnerin „ein anerkennenswerter Beitrag zur globalen Erinnerungskultur“ gelungen.

Auf Platz sechs landet die autobiografische Erzählung „Heimat“ (Penguin, 288 S., 28 €), für die Nora Krug Comicpassagen, Illustrationen, Collagen, Kinderzeichnungen und Fotografien kombinierte: „Die Recherchereise, die die in Amerika lebende Künstlerin unternimmt, um zu ergründen, woher sie kommt, ist nicht nur eine in die Vergangenheit ihres Heimatlandes, sondern auch eine in die deutsche Psyche“, urteilt Moritz Honert.

Gold. Mit dieser Auszeichnung können sich in diesem Jahr die Favoriten der Tagesspiegel-Jury schmücken.
Gold. Mit dieser Auszeichnung können sich in diesem Jahr die Favoriten der Tagesspiegel-Jury schmücken.

© Tsp

„Lustig, klug und überaus kurzweilig“

Auf Platz sieben landet der Schweizer Comicautor Jan Bachmann. Seine Biografie „Mühsam – Anarchist in Anführungsstrichen“ (Edition Moderne, 96 S., 19 €) ist „lustig, klug und überaus kurzweilig“, lobt Marie Schröer. Bachmann zeige mit mit seiner Auseinandersetzung mit dem Werk Erich Mühsams, „dass Adaptionen im Idealfall ein Mehr darstellen und eine andere, weitere Lektüre des Ausgangstextes anbieten. Besser geht es nicht“.

Der in Thüringen spielende Zombie-Thriller „Endzeit“ (Carlsen, 288 S., 22 €) von Olivia Vieweg kommt auf Platz acht. Jurorin Barbara Buchholz attestiert dieser komplett überarbeiteten Neuauflage von Viewegs Diplomcomic: „Nicht nur der Umfang ist gewachsen, die Geschichte und die Charaktere sind jetzt komplexer und dramatischer angelegt“, zudem sei das Buch ein „Augenschmaus“.

Das Buch „Crawl Space“ (Rotopol, 96 S., 19 €) des Kanadiers Jesse Jacobs landete auf Platz neun. Dieser Comic, in dem die Waschmaschine im Keller als Portal in eine andere Welt fungiert, beeindrucke vor allem durch erzählerische und visuelle Gegensätze „und die Art und Weise, wie Jesse Jacobs diese Gegensätze für seine Erzählung fruchtbar macht“, findet Jurorin Ute Friederich.

Recherchen in der Evangelischen Stiftung Neuerkerode

Auf Platz zehn: „Der Umfall“ (Avant, 128 S., 28 €) des Berliner Zeichners Mikael Ross, eine Erzählung aus der Perspektive eines geistig behinderten Teenagers, die auf Recherchen in der Evangelischen Stiftung Neuerkerode basiert. Ute Friedrich hebt vor allem die zeichnerische Darstellung seiner Figuren als bemerkenswert hervor: „Gesichter und Körper wirken oft cartoonhaft überzeichnet, ohne jedoch zu Karikaturen zu werden.“

Auf den nächsten Platz wählte die Jury Antonia Kühns Buch „Lichtung“ (Reprodukt, 256 S., 24 €), eine „stille, fast kontemplative Familiengeschichte über Verlust, Entfremdung und Wiederannäherung“, die durch ihre „unkonventionelle und intelligente Bildsprache beeindruckt“ (Marie Schröer).

Auf Platz zwölf dann eine weitere Klassikerfortsetzung: „Spirou in Berlin“ (Carlsen, 64 S., 16 €) von Flix. Das Album „wird dem titelgebenden Junggesellen gerecht und bildet nicht nur das Ost-Berlin Ende der 80er Jahre ab, sondern versammelt auch unzählige Details aus jener Zeit des Umbruchs“, urteilt Sabine Scholz.

Grafische Experimente

Auf Platz 13 landet ein erstmals auf Deutsch veröffentlichter Comic-Klassiker: „Lovecraft“ (Avant, 126 S., 29 €) von Alberto Breccia. Dessen Adaptionen „übertragen auf vielfältige, experimentelle grafische Weise die fantastische, paranoide Angstwelt H. P. Lovecrafts in Comicform“ (Ralph Trommer).

Auf Platz 14 dann eine deutsche Eigenproduktion: „Brautkleid ungetragen“ von Hanna Gressnich (12 S., 4 €, bestellbar per E-Mail: h.gressnich@gmail.com). Für Juror Oliver Ristau besticht dieses Werk unter anderem durch seine eigenwilligen Farbgebung: „Ein leuchtstiftartiges Gelb lässt bei Kunstlicht alles zu Fragmenten verschwimmen, welche neue Assoziationen provozieren und so im besten Sinne doppelt induktiv operieren.“

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