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Cole Doman und Antonio Marziale in "Starfuckers"

© Field Trip

Die Berlinale Shorts: Jede Minute zählt, jede Minute schmerzt

In den Kurzfilm-Programmen der Berlinale geht es um die Verletzlichkeit von Mensch und Natur. Es gibt surreale Experimente und knallharte Dokumentationen.

Sie sind das freieste, aber vielleicht auch das schwierigste Format: Die Kurzfilme. Sie können voller Experimente sein, die auf 90 Minuten vielleicht eher bemüht wirken würden. Gleichzeitig bleibt keine Zeit, abzuschweifen oder um fehlenden Ideenreichtum zu kaschieren. Kurzfilme müssen sitzen. Die Bilder sollten unmittelbar ins Herz treffen.

Den meisten der 21 Werke, die dieses Jahr ins Rennen um die Kurzfilm-Bären gehen, gelingt genau das. Ein Thema, das in der „Shorts“-Sektion immer wieder aufscheint, ist Verletzlichkeit. Die Verletzlichkeit des Menschen, zum Beispiel diejenige des zum Tode Verurteilten Farah in „Will My Parents Come To See Me“. Oder die Bedrohung der Natur, wie die der Seehunde im arktischen „Haulout“. „Four Nights“ von Deepak Rauniyar erzählt von der prekären Existenz von Filmschaffenden. Ein junges Paar, das über beschränkte finanzielle Mittel verfügt, schneidet an seinem aktuellen Film und hofft auf die Festivalsaison – nicht zuletzt auf die Berlinale.

Jugendliche besetzen ein leerstehendes Bankgebäude

Die Mischung von queerer Verletzlichkeit und beat poetry in „Starfuckers“ erweist sich als modernes, mitreißendes Kino. Zwei junge Sexarbeiter rächen sich an einem Hollywood- Freier, der ihnen leere Versprechungen gemacht hat, indem sie ihn zu Hause überwältigen und fesseln. Dann konfrontieren sie ihn mit einem Tanz plus Lip-Sync-Einlage. Regisseur Antonio Marziale spielt bei dieser zwischen Camp und Tragik angesiedelten Protestshow selbst einen der beiden Performer.

Der mit 31 Minuten längste Film in der Kurzfilm-Konkurrenz bewegt sich mit einer spannenden Geschichte zwischen Prekariat und Magie. In „Soum“, einem Kurzfilm der 1996 geborenen französischen Filmemacherin Alice Brygo, besetzen drei Jugendliche ein leerstehendes Bankgebäude. Vier Kerzen brennen auf den Stufen in dem alten Pariser Verwaltungsgebäudes – ein Altar für die hinduistischen Götter. Sind es diese Götter, die die Milch über eben jene Stufen laufen lassen und die Insekten aus den Amuletten erwecken? Drei Religionen aus verschiedenen Ländern erwachen zwischen Holztäfelung und Marmor-Kaminen zum Leben.

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Auch historische Perspektiven finden sich im Shorts-Programm, etwa in „Dirndlschuld“ und „Memories from the Eastern Front“, zwei Dokumentationen, die sich auf sehr unterschiedliche Arten mit der NS-Zeit in Europa auseinandersetzen. Im farbenfrohen Super-8 Film „Dirndlschuld“ verhandelt die österreichische Regisseurin Wilbirg Brainin-Donnenberg das Thema Schuld anhand eines Dirndlkleids, das sie als Kind trug, aber später nicht mehr anziehen wollte. „Memories from the Eastern Front“ aus Rumänien – Regie führten Adrian Cioflânca und Radu Jude, der Goldbären-Gewinner vom Vorjahr – legt den Fokus auf ein Album mit Kriegsfotografien: das das 6. Regiment der rumänischen Armee 1941 und 1942, eine erschütternde Erinnerung.

Drei Animationsfilme sind diesmal dabei. Amandine Meyers „Histoire pour 2 trompettes“ und Atsushi Wadas „Bird in the Peninsula“ feiern die Farbe, das Surreale. „House of Existence“ der Südkoreanerin Joung Yumi bleibt hingegen streng und reduziert. Da ist nur ein Haus, drei Zimmer, ein Bett, ein Schrank, eine Küche. Langsam verfällt die schwarz-weiße Bleistiftzeichnung vor unseren Augen. Erst brechen einige Steine aus der Wand, dann fallen die ersten Balken auf den grauen Boden. Eine Welt löst sich auf – ein fesselnder Vorgang.

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