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Der polnische Dichter Tadeusz Rozewicz.

© dpa

Dichter Tadeusz Rozewicz gestorben: Poesie für Entsetzte

Seine Gedichte fassten die Sprachlosigkeit der Kriegsgeneration in Worte. Mit Tadeusz Rózewicz verliert die polnische Literatur einen der großen Dichter des 20. Jahrhunderts.

„Nach dem Krieg zog ein Komet der Poesie über Polen. Sein Kopf war Rózewicz, alle anderen waren der Schweif.“ Mit diesen Worten beschrieb der Dichterkollege Stanislaw Grochowiak (1934-1976) die Bedeutung von Tadeusz Rózewicz für die polnische Lyrik. Das war eine unmissverständliche Respektbezeugung, doch ist nicht ausgeschlossen, dass Rózewicz diesem Bild mit Skepsis begegnete, war doch das Charakteristische seiner Gedichte die maximale Reduktion. Mit seinen Versen wollte er die Dinge beim Namen nennen, das Wesentliche sagen, auf jeglichen Zierrat verzichten. Diesem Grundsatz folgte er mit unermüdlicher Konsequenz – drei Verssysteme hatte die polnische Dichtung tradiert, heute verzeichnen die Erläuterungen zur Poetik ein viertes: den „Rózewicz-Vers“. Hinter der Arbeit an einem neuen Ton in der Lyrik stand die grauenvolle Erfahrung der Entwertung des menschlichen Lebens durch den deutschen Terror während der Okkupation Polens. Tadeusz Rózewicz, 1921 im zentralpolnischen Radomsko geboren, schloss sich 1943 dem Untergrund an und kämpfte als Partisan gegen die Besatzer. Sein Bruder Janusz wurde 1944 von der Gestapo ermordet.

„Ocalony“ (Ein Geretteter) lautet der Titel eines Gedichts aus dem 1947 erschienenen Band „Niepokój“ (Unruhe), der als Rózewiczs eigentliches Debüt gilt. Es beginnt mit folgenden Zeilen (in der Übersetzung Günter Kunerts): „Ich bin vierundzwanzig / und entkam / als ich zum Schlachten geführt ward.“ Mag die Assoziation auch nahe liegen – was hier zum Ausdruck kommt, darf nicht verwechselt werden mit dem unseligen Stichwort „Kahlschlag“, dessen aggressiver Impetus allein schon stutzig machen muss. Dieser Lyrik lag nichts ferner als hehre Deklarationen, sie suchte verzweifelt nach Worten auf dem Trümmerfriedhof, den die Deutschen in Polen hinterlassen hatten. Dieser Verpflichtung, die das Ästhetische stets als Medium des Ethischen wahrnahm, blieb Rózewicz in seinem gesamten Schaffen treu.

Das Etikett des Absurden

Mit seinen Theaterstücken setzte Rózewicz die Auseinandersetzung mit seinen Lebensthemen auf einer anderen Ebene fort. Einer der wichtigsten Bezugspunkte seines postdramatischen Theaters ist das Werk Franz Kafkas. Gelegentlich wird seinen Stücken auch das Etikett des Absurden verliehen, doch sind seine Zitate und intertextuellen Bezüge ebenso wie die visionären Überblendungen weniger absurd als vielmehr höchst realistisch, scheint in ihnen doch das Schicksal auf, das Kafka selbst zwar erspart blieb, dem aber seine drei Schwestern Gabriele, Valerie und Ottilie zum Opfer fielen.

In seinem Stück „Do piachu…“ (In die Grube…) kehren die Erfahrungen aus der Zeit „im Wald“ wieder, die Erfahrungen als Partisan. Dieses Stück, an dem er fast zwei Jahrzehnte gearbeitet hat, muss íhn unendlich viel Kraft gekostet haben. Seine Aufführung 1979 löste einen Skandal aus, ehemalige AK-Soldaten protestierten gegen die in ihren Augen despektierlich unheroische Darstellung des Widerstandskampfes. Spät erst erfuhr „Do piachu…“ eine Würdigung, unter anderem dank der Inszenierung von Kazimierz Kutz als Fernsehspiel (1990). Nicht zuletzt ist Tadeusz Rózewiczs Zusammenarbeit mit seinem Bruder Stanislaw (1924-2008) zu erwähnen, einem in Polen bekannten Regisseur. An zahlreichen Filmen, die der Bruder drehte, wirkte Tadeusz mit.

Rózewiczs Werk gilt es in Deutschland noch zu entdecken

Am 24. April starb Tadeusz Rózewicz im Alter von 92 Jahren in Wroclaw. Hinterlassen hat er ein Werk, das es in Deutschland nach wie vor zu entdecken gilt – ein Werk, das durchzogen ist von einem intensiven Dialog mit der deutschsprachigen Literatur. Zwei Bücher seien daher genannt, die eine Annäherung an dieses Schaffen erleichtern. Andreas Lawaty und Marek Zybura gaben 2003 den Band „Tadeusz Rózewicz und die Deutschen“ (Harrassowitz) heraus“; 2007 publizierten Bernhard Hartmann und Alois Woldan „Schwarze Gedanken? Zum Werk von Tadeusz Rózewicz“ (Stutz).

Dass die Lyrik weder zum „Kinderspielzeug“ werde noch zu einem „avantgardistischen Kalb mit zwei Köpfen“ – mit diesem Programm hat sich Tadeusz Rózewicz in die polnische Literatur eingeschrieben. Zu seiner Signatur wurde – mit einem Wort von Karl Dedecius – „das lapidare, schmucklose, wahrheitsbesessene Gedicht“

Lothar Quinkenstein

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