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Kultur: Deutschlands liberaler Kopf

Heute vor 100 Jahren starb Theodor Mommsen

Am 13. November 1902 beschloss die Schwedische Akademie, den Nobelpreis für Literatur Theodor Mommsen zu verleihen: „dem größten lebenden Meister in der Kunst der Geschichtsschreibung unter Berücksichtigung seines monumentalen Werkes ‚Römische Geschichte’“. Ein Jahr später starb der Historiker, fast 86 Jahre alt. Tatsächlich hat kein großes literarisches Werk das bürgerliche Deutschland im 19. Jahrhundert ähnlich fasziniert – eines der „kühnsten Experimente der modernen Historiographie“, schreibt Alfred Heuß 1960. Die Faszination dauert an. Und noch immer bewegt die Frage, warum Mommsen den vierten Band, der die römische Kaiserzeit nach Caesars Tod behandeln sollte, nicht geschrieben hat. Heiner Müller nannte darum eines seiner letzten Gedichte „Mommsens Block“.

Theodor Mommsen wurde 1817 als Pfarrerssohn im schleswig-holsteinischen Garding geboren, aufgewachsen ist er in Oldesloe. Er studiert Jura in Kiel und promoviert 1843 mit einer Arbeit zur römischen Rechtsgeschichte. Mit einem dänischen Stipendium kommt er 1844 nach Rom und versinkt in dem von Preußen geförderten Archäologischen Institut auf dem Kapitol glücklich in der „hohen Schule der Altertumswissenschaft“. Dort entsteht sein Konzept für eine Sammlung aller erhaltenen lateinischen Inschriften, eine monumentale Quellenedition für die Erforschung der römischen Geschichte, die Mommsen bis an sein Lebensende betreut. 1848 erhält er seinen ersten Ruf auf den Lehrstuhl für Römisches Recht an der Universität Leipzig. Nach Stationen in Zürich und Breslau kommt er 1858 nach Berlin und wird 1861 Professor für Römische Geschichte an der Berliner Universität.

Unter seinen großen wissenschaftlichen Werken ragt das dreibändige „Römische Staatsrecht“ heraus wie ein Monolith in der Forschungslandschaft zur Römischen Geschichte . Doch auch politisches Engagement prägt Mommsens Leben. 1848 schreibt er als Redakteur der „Schleswig-Holsteinischen Zeitung“ mehr als 60 Artikel zur Revolution und zur schleswig-holsteinischen Frage. Ihre gemeißelte Schärfe und ihre plastische Sprache beeindrucken. In Leipzig setzt er sich für die Beschlüsse der Paulskirche ein. Als das liberale Ministerium in Sachsen 1850 abgelöst wird, macht man Mommsen wegen einer Beteiligung am Maiaufstand den Prozess und entlässt ihn zum „Besten der Universität“. In Berlin ist er 1861 Mitbegründer der Fortschrittspartei, von 1863 bis ’67 und von 1873 bis ’79 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. 1881 wird er für die Linksliberalen in den Reichstag gewählt. Der zentrale politische Gedanke Mommsens ist der Ausbau eines liberalen Rechtsstaats. Er folgt Bismarcks Weg zur Reichsgründung, wendet sich aber nach 1878 wegen dessen reaktionärer Innenpolitik von ihm ab: Bismarck habe der Nation ihr Rückgrat gebrochen.

Bis ins hohes Alter äußert sich Mommsen mit spitzer Feder zu politisch-gesellschaftlichen Fragen. Aufsehen erregt 1880 der „Antisemitismusstreit“ mit dem Historiker Heinrich von Treitschke. Dieser hatte in einem demagogischen Aufsatz die Juden als Nichtdeutsche und fremdes Element im Volk beschrieben. Mommsen antwortet, Treitschke habe sich mit dem „Pöbel aller Klassen“ gemein gemacht, und nennt ihn später den „Vater des modernen Antisemitismus“.

Im Haus der Mommsens in der Marchstraße in Charlottenburg verkehrte das liberale Berlin. Es ist ein erfreuliches Zeichen, dass das Berliner Abgeordnetenhaus am Montag den Bürger Theodor Mommsen mit einer festlichen Veranstaltung ehren wird.

Winfried Sühlo

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