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Seltsame Außenseiterbande. Die Hauptdarsteller Jella Haase und Welket Bungué.

© Stephanie Kulbach/2019 Sommerhaus/eOne Germany

Deutscher Wettbewerbsfilm: „Berlin Alexanderplatz“ folgt den Verdammten dieser Stadt

Der deutsche Regisseur Burhan Qurbani erzählt den Literaturklassiker als moderne Flüchtlingsgeschichte. Ein wichtiger Film, der manchmal zu viel will.

Von Andreas Busche

Bei Döblin spuckt das Gefängnis Franz Biberkopf gleich zu Beginn auf die Straße aus. Die Modernität der zwanziger Jahre ist überwältigend, ein Kulturschock. In Burhan Qurbanis „Berlin Alexanderplatz“, der dritten Adaption des Weimar-Klassikers, wird Francis (Welket Bungué) aus dem Wasser in die Welt geworfen, eine Geburt unter Schmerzen.

Der junge Mann aus Guinea-Bissau hat eine gefährliche Reise hinter sich, und sie endet für ihn nicht in der erhofften Freiheit, sondern nur in einem Wohnheim für Geflüchtete. Doch Francis ist eigentlich auch gar nicht auf der Flucht; er will nicht weg, sondern irgendwo ankommen.

Heimat ist, wo das Herz schlägt. Und dieses Herz ist gut. Der anständige Mensch Francis weiß, dass er es noch weit bringen wird. Er verkörpert ein „neues Deutschland“, wie er einmal sagt.

Döblins Klassiker als Geschichte einer Migration zu erzählen – kein Klassenkonflikt, sondern Sinnbild einer globalen ökonomischen Krise, in der das Gefühl sozialer Entfremdung von der Suche nach einer Identität abgelöst wird –, klingt zu Beginn der zwanziger Jahre des 21. Jahrhunderts einfach zwingend.

Mit dem Erstarken des Rechtsextremismus weht wieder der „Weimarer Geist“ durch die Bundesrepublik. Die Popkultur liefert mit „Babylon Berlin“ die ikonische Kulisse zwischen zeithistorischem Grusel und hedonistischer Nostalgie.

Qurbanis „Berlin Alexanderplatz“ stellt Döblins Lumpenproletariat eine neue Klasse von Ausgebeuteten gegenüber. Francis arbeitet wie die anderen Männer aus dem globalen Süden illegal auf einer Berliner Baustelle, aber er hat auch seinen Stolz. Als ein verwachsenes Faktotum mit brüchiger Fistelstimme in ihrer Unterkunft auftaucht und sie für krumme Geschäfte anheuern will, lässt Francis ihn wortlos stehen. Reinhold (Albrecht Schuch) imponiert diese Prinzipientreue, auch er sieht eine glänzende Zukunft für Francis voraus.

Bei Qurbani ist nicht mehr der Alexanderplatz der Umschlagplatz für Träume, der liegt heute im Neuköllner Park Hasenheide, in dem junge Afrikaner das Bild prägen.

Sie stehen am Wegrand und verkaufen Drogen, ihre Flucht verläuft von einem ausbeuterischen System ins nächste. Reinhold ist der Herrscher des Parks, er sorgt als Ausputzer des Unterweltbosses Pums (Joachim Król) für Ordnung. Das Territorium ist aufgeteilt zwischen Reinholds afrikanischen Jungs, der Balkanmafia und den arabischen Clans.

Tagsüber kocht Francis Essen für die Dealer, die Nächte verbringt er mit Reinhold im Nachtclub von Eva (Annabelle Mandeng), deren Vater aus Nigeria nach Deutschland kam, und der trans Frau Berta (Nils Verkooijen).

Der Gangsterboss versteht ebenfalls, dass Francis zu Größerem berufen ist, der eifersüchtige Reinhold will ihn dagegen klein halten. Die Abhängigkeit von seinem vermeintlichen Freund macht Francis zum Krüppel, buchstäblich und im übertragenen Sinn.

Die Frage nach der Herkunft schwingt immer mit

Bei Qurbani ist „Heimat“ ein komplizierterer Begriff als in der Vorlage Döblins. Es geht Francis nicht nur um seinen Platz in der Gesellschaft, sondern darum, was er in der Heimat zurücklässt – und was er von seiner Geschichte in diesem Deutschland, zu dessen neuem König er sich ausruft, überlebensfähig ist.

Qurbani nimmt diesen inneren Kampf manchmal zu wörtlich, in Visionen träumt Francis von seinem Dorf in Guinea-Bissau, er muss einen Bullen schlachten. Oder ist er selbst das Schlachtvieh?

Was macht die soziale Signatur der Hautfarbe in diesem Deutschland mit einem, der anders aussieht? Die Hautfarbe schließe Menschen immer aus, sagt Eva.

Die Frage der Herkunft schwingt in „Berlin Alexanderplatz“ ständig mit, wenn sie in den Vordergrund tritt, neigt Qurbani aber zum offensichtlichen Bild. Oder zu programmatischen Drehbuchsätzen.

[27.2. 9.15 Uhr (Friedrichstadtpalast), 15 Uhr (HdBF), 1.3. 17.15 Uhr (Berlinale Palast)]

Dabei zeigt sein Film sehr unterschiedliche Selbstermächtigungsmodelle: Herkunft, Geschlecht, Gender. „Der einarmige Bandit, die schwarze Amazone und die Transe“, meint Beta einmal über ihre seltsame Außenseiterbande.

Mieze (Jella Haase) findet als zentrale Romanfigur keinen rechten Platz in Qurbanis Version. Schuch ist in der ersten Hälfte der stärkere Widerpart, seine agressiv-flamboyante Performance ist auch als Hommage an Gottfried Johns Reinhold gemeint.

Kann so das deutsche Kino im Jahr 2020 aussehen? Jein. Qurbani ist seit dem Lichtenhagen-Drama „Wir sind jung. Wir sind stark“ (2014) eine treibende Kraft im deutschen Film. Und eine kluge, nachdrückliche Stimme. Aber im dreistündigen „Berlin Alexanderplatz“ steht sein missionarischer Eifer manchmal seiner erzählerischen Kraft im Weg. Jetzt fehlt Qurbani nur noch die Leichtigkeit.

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