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Indiepop ohne Gendersternchen. Niels Frevert.

© Benedikt Schnermann

Deutscher Pop: Kratzige Seele

Der gerne unterschätzte Niels Frevert singt und spielt im Heimathafen Neukölln - ganz ohne Rampensaugebaren.

Von Jörg Wunder

Es gibt Bandnamen, die einfach nicht funktionieren. Nationalgalerie hieß in den 90ern die Band des Hamburgers Niels Frevert, die, obwohl sie international anschlussfähigen Pop mit klugen Texten spielte, eine Randnotiz blieb. Immerhin sorgte der frühe Frust für Unempfindlichkeit gegen ausbleibenden Erfolg, weswegen Frevert nun mit 51 Jahren nach einem mit „unspektakulär“ noch zu reißerisch bezeichneten Karriereverlauf auf der Bühne des gut gefüllten Heimathafens Neukölln steht, um sein sechstes Album „Putzlicht“ vorzustellen.

Die Stimmung im Publikum ist familiär. Die Tatsache, dieser eher unbesungenen Edelfeder die Treue zu halten, verbindet. Freverts Songs haben ein starkes Identifikationspotenzial. Er erzählt von den kleinen Dingen des Lebens, von Niederlagen und Hoffnungen, und er tut das in einer klaren, bilderreichen Sprache.

Wenn im Titelstück der neuen Platte, einer betörenden Kummerbluesballade, der „Rausschmeißerschlussakkord“ verhallt und das „Putzlicht“ die Gestrandeten der Nacht Richtung „Rolltreppe, Sonnenaufgang“ schiebt, kennt dieses Gefühl jeder, der schon mal nicht wieder nach Hause gehen wollte.

Niels Frevert, der nur in seltenen Momenten Rampensauqualitäten entwickelt, ist der geborene Anti-Popstar – was ja auch zur Identifikation einlädt. Ihm fehlt der sexy Glamour des gleichaltrigen Jochen Distelmeyer, aber am anderen Ende des Ausdrucksspektrums auch die ankumpelnde Jovialität von Hamburger Weggefährten wie Thees Uhlmann oder Marcus Wiebusch.

Weder musikalisch noch haltungstechnisch macht Frevert Anstalten, an zeitgenössische Diskurse anzudocken. Er spielt Indiepop ohne Gendersternchen oder Diversitätsdebatte.

Ein Tupfer Weiblichkeit

Die sympathische Multiinstrumentalistin Catt, die auch das Vorprogramm bestreitet, sorgt mit Posaune und Trompete bei drei Stücken für einen Tupfer Weiblichkeit. Aber es gibt nichts daran zu meckern: Frevert singt mit kratziger Stimme seelenvoll und drischt entschlossen die Rhythmusgitarre.

Seine vierköpfige Band trägt ihn unaufdringlich und präzise, nur Gitarrist Christoph Bernewitz ragt mit sorgfältig aufgebauten, nie angeberischen Soli heraus. Dabei sind Freverts Lieder tatsächlich etwas Besonderes, und zwar nicht, weil sie spleenige Titel wie „Ich würde dir helfen, eine Leiche zu verscharren, wenn’s nicht meine ist“ tragen. Sondern weil in ihnen viel Liebe und Gefühl, transportiert durch fantastische Melodien, steckt.

Eine dermaßen mitreißende Hymne wie „Immer noch die Musik“ hat es im deutschen Indiepop seit „Die Summe der einzelnen Teile“ von Kante nicht mehr gegeben. Der Jubel nach 90 beglückenden Minuten ist laut und ausdauernd. Mit der großen Karriere mag es für Niels Frevert nicht geklappt haben. Ein Großer ist er trotzdem.

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