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Sie legen Wert auf Realismus und Freiheit. Anne Zohra Berrached, Maren Ade und Nicolette Krebitz (v. l.) bei der Verleihung des 67. Deutschen Filmpreises.

© dpa/Britta Pedersen

Deutscher Filmpreis: "Bin ich hier, weil ich Brüste habe oder ein gutes Projekt?"

Die Regisseurinnen Anne Zohra Berrached, Maren Ade und Nicolette Krebitz sind für den Filmpreis nominiert. Ein Fachgespräch über das Filmen in Deutschland.

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Einen Film drehen, das bedeutet ein paar Jahre damit zu verbringen. Was ist der Impuls zu sagen, die Geschichte ist es wert?

MAREN ADE: Am Anfang denkt man ja nicht, dass es so viele Jahre werden. Man veranschlagt zwei, höchstens drei, dann werden es mehr. Um keinen Film mehr zu machen, dürfte ich gar nicht erst anfangen etwas aufzuschreiben. Wenn man anfängt zu graben, will man auch wissen, wo man am Ende herauskommt.

NICOLETTE KREBITZ: Bei „Wild“ hatte ich immer das Gefühl, dass der Stoff mich ausgesucht hat und nicht umgekehrt. Ich kam mir fast wie ein Medium vor, durch das der Film seinen Weg in die Wirklichkeit findet. Man vergisst ja auch jedes Mal, wie lange das einen quälen wird, ein bisschen wie beim Kinderkriegen ...

ANNE ZOHRA BERRACHED: Ich habe zwei Kinofilme im Abstand von drei Jahren gedreht, „Zwei Mütter“ und „24 Wochen“. Bevor ich ein Thema angehe, überlege ich mir schon sehr genau, womit ich mich die nächsten Jahre beschäftigen will. Allein die Vorbereitung dauert oft mehr als drei Jahre. Die Wahl eines neuen Themas ist also eine egoistische. Es geht mir mehr um mich als um den Zuschauer.

ADE: Ich ahnte, dass es dauern würde mit meinem Film und wollte dabei wenigstens etwas lernen. Also habe ich diese Figur gewählt, die in der Wirtschaft arbeitet. Ich musste, besser gesagt, ich durfte recherchieren. Aber was Nicolette sagt, finde ich interessant: Wie frei kann man sich überhaupt entscheiden? Es hat wirklich was von einer Heimsuchung. Ich musste einfach etwas über Vater–Tochter machen.

Die Consultingwelt in „Toni Erdmann“, die Gynäkologie in „24 Wochen“ und in „Wild“ die Frage, wie man einen Wolf fängt: Wie wichtig ist Ihnen der Einblick in eine Arbeits- und Lebenswelt?

ZOHRA BERRACHED: Es ging gar nicht ohne. Ich wollte so genau wie möglich wissen, wie es ist, wenn man ein Kind im siebten Monat abtreibt. Ich konnte mir das nicht vorstellen.

KREBITZ: Die Wirklichkeit ist eine Muse. Sie inspiriert einen beim Schreiben. Wir fanden in Halle zum Beispiel diese Siedlung, an der ein Park angeschlossen war, der in die Natur führte. Das hat uns großen Spaß gemacht, die Geschichte möglichst konkret zu erzählen. Ich wollte am liebsten dokumentieren, was dieser Frau und dem Wolf widerfährt, auch umso wenig wie möglich ins Märchenhafte abzudriften.

ADE: Für mich war die Verwandlung des Vaters in diesen Toni Erdmann auch ein Ausweg aus dem Realismus meiner vorherigen Filme, eine Tür, durch die ich beim Schreiben gehen konnte. Es konnten unwahrscheinlichere Dinge passieren, ich konnte größere Behauptungen aufstellen. Beim Drehen allerdings kamen die Fragen der Logik und Nachvollziehbarkeit dann wie ein Bumerang zurück und es wurde realer, als es angelegt war.

Sie alle haben Ihre Bücher selber geschrieben. Geht es nicht anders?

BERRACHED: Ich schreibe nicht gerne, lieber mag ich die Action beim Drehen. Aber ich habe diesen Kontrollzwang, also schreibe ich am Drehbuch mit. Das Sicherheitsbedürfnis kann übrigens ein ganz schönes Hindernis sein. Bei mir ist die Orientierung an der Wirklichkeit fast ein Zwang. „24 Wochen“ ist zwar eine fiktive Geschichte, die ich im realistischen Klinikumfeld ansiedele. Aber warum traue ich mich nicht noch mehr? Ist das nicht ein bisschen deutsch? Ich finde es schön und mutig, von der Realität abzulassen.

Entstanden die Geschichten auch gemeinsam mit ihren Schauspielerinnen Sandra Hüller, Julia Jentsch, Lilith Stangenberg?

KREBITZ: Mein Drehbuch war fertig, aber gute Schauspieler setzen dem Stoff immer noch etwas entgegen, leisten ihm Widerstand. Dank Lilith ist meine Heldin keine arme, austauschbare Arbeitnehmerin aus Halle, sondern sie gewinnt in ihrer Modernität etwas Unangreifbares.

BERRACHED: Jeder Stoff bringt seine eigene Herausforderung mit sich. Bei „24 Wochen“ ging es darum, dass man diese Mutter, die ihr Kind so spät abtreibt, trotzdem leiden kann. Also habe ich zusammen mit Julia Jentsch alles daran gesetzt, dass der Zuschauer mit ihr mitgeht. Dass selbst Leute sie verstehen, die grundsätzlich gegen Abtreibung sind.

Wie sind Sie denn so am Set? Teamarbeiterin, Mama, Tyrannin?

BERRACHED: Alles, je nach Bedarf. Es gibt einen Drehtag eins und einen Drehtag 32, jeder Tag ist anders.

ADE: Drehen hat schon etwas Bedrohliches. Für mich ist das, als ob man vor einer Ballmaschine steht, und wenn man nicht mindestens 70 Bälle fängt, taugt es nichts. Es ist einfach oft mit so viel Geld verbunden, dass es schwer ist, für eine kreative Stimmung zu sorgen, denn das bedeutet, dass man Fehler machen darf. Ich konnte es mir immerhin erlauben, zwei, drei Drehtage zu wiederholen.

KREBITZ: Wäre das möglich gewesen, wenn du nicht selbst produziert hättest?

Huch. Sandra Hüller und Peter Simonischek in "Toni Erdmann".
Huch. Sandra Hüller und Peter Simonischek in "Toni Erdmann".

© dpa/Komplizen Film/NFP

ADE: Bei guten Produzenten bestimmt. Aber klar, das ist natürlich die Haltung, mit der ich schon in den Dreh gehe, das macht mich vielleicht per se freier. Janine Jackowski und ich arbeiten seit 1999 zusammen, wir kennen uns von der HFF München und gründeten Komplizen Film für meinen ersten Kurzfilm. Ich erinnere mich, irgendwo neben der Sparkasse in Janines Heimatort Kerpen-Horrem meldeten wir die GbR an.

KREBITZ: Ich hab mit Bettina Brokemper eine tolle Produzentin, die mich im Zweifel immer daran erinnert hat, welchen Film ich machen wollte. Das rechne ich ihr hoch an.

BERRACHED: Oft denken die Schauspieler, sie hätten etwas falsch gemacht, da ist es wichtig zu vermitteln, woran es liegt. Wenn ich nicht genau weiß, wo es hingeht, wird es nichts. Beim Film reden viele mit, man muss kämpfen. Das gehört unmittelbar zum Regie-Beruf. Und bei den Dingen, die einem wirklich am Herzen liegen, muss man kompromisslos bleiben.

Bei deutschen Regisseurinnen ist bei einem Budget von 3 bis 5 Millionen Euro Schluss. Warum drehen Frauen keine teuren Filme?

ADE: Hohe Budgets bekommt man immer leicht bei Thrillern oder historischen Stoffen gerechtfertigt. Aber man kann auch bei der Realisierung von Gegenwartsstoffen viel Geld ausgeben. In Drehzeit investieren, einfach mal 100 Tage an einem Film drehen, der in einer Küche spielt. Je teurer ein Film, desto mehr wird gefragt: Ist er rentabel? Nicht mal der international ja sehr erfolgreiche „Toni Erdmann“ hat seine Kosten eingespielt, jedenfalls nicht so, dass wir die Förderung komplett zurückzahlen können. Ein bestimmtes Kino muss einfach subventioniert sein.

KREBITZ: Egal, warum in den Chefetagen eher den Männern hohe Summen genehmigt werden: Das ändert sich jetzt!

Weil dieses Jahr drei von sechs für die Lola nominierte Filme von Frauen stammen?

KREBITZ: Welches Geschlechtsteil jemand hat, der einen guten Film macht, interessiert mich nicht. Ich meine etwas anderes: Der Blick, mit dem Frauenfiguren erzählt werden, ist nicht mehr nur männlich. Auch Männer schaffen es, Frauen davon zu befreien. Das findet weltweit statt, in den Serien, im Kino, in der Kunst. Nehmen wir „Homeland“: eine problematische, auch nervige Serien-Heldin, aber sie bleibt im Mittelpunkt, über sämtliche Staffeln. Oder die „Twilight“Filme, ein kommerzieller Stoff, in der Buchvorlage heißt es immer, sie lächelt, sie betet ihn an. Im ersten Teil lächelt Kristen Stewart kein einziges Mal, sie hat es sogar geschafft, neben dem von tausenden Teenies bejubelten Robert Pattinson bei sich zu bleiben, es sind ihre Filme. Da strömt eine Kraft, wir Regisseurinnen sind Teil davon.

„Bin ich hier, weil ich Brüste habe oder ein gutes Projekt?“

Animalisch. Lilith Stangenberg und der liebe Wolf in "Wild".
Animalisch. Lilith Stangenberg und der liebe Wolf in "Wild".

© Christian Hüller/NFP

Nach der ProQuote-Regie-Offensive war bei Ihren Filmen wie auch bei Maria Schraders „Vor der Morgenröte“ vom deutschen Frauenwunder die Rede. Nervt Sie das?

BERRACHED: Nein, es ist gut, wenn darüber geredet wird. Nur so ändert sich was.

ADE: Es war schön, letztes Jahr so viele Filme von Frauen zu sehen, aber vielleicht war es auch Zufall. Bei den Oscars war „Toni Erdmann“ in allen Kategorien der einzige nominierte Spielfilm von einer Frau, sonst gab es nur eine Dokumentarfilmerin. Der Europäische Filmpreis wurde zuvor noch nie von einer Frau gewonnen. Mit etlichen anderen Preisen, für die „Toni Erdmann“ nominiert war, wurden bis heute ausnahmslos Männer ausgezeichnet. Ich sage das nicht, um meine Preise aufzuzählen. Mich hat das schockiert und ich habe irgendwann gemerkt, dass ich das Thema, so lästig es ist, nicht mehr ignorieren kann, dass ich da eine Verantwortung habe. Seit ich denken kann, fällt mir beim Stichwort Goldene Palme Jane Campion ein. 1993 hat sie in Cannes gewonnen, seitdem nie wieder eine Frau. Es werden einfach viel zu wenig Filme von Frauen gemacht, und es war für mich wichtig, dieses Bild von einer Frau im Kopf zu haben, die Filme macht.

KREBITZ: Ich habe mich irgendwann entschieden, diese Opferrolle nicht anzunehmen. Ich möchte nicht ständig in der Öffentlichkeit darüber zetern, dass Frauen bei der Vergabe von Geldern und Positionen benachteiligt sind. Damit manifestiere ich nur dieses Bild.

ADE: Man landet immer bei Klischees. Deshalb bin ich für eine Quote, auf alle öffentlichen Gelder weltweit. 50 Prozent muss das Ziel sein, auch wenn es nicht sofort umsetzbar ist. Einfach auch um herauszufinden, woran es liegt. Wenn am Ende herauskommt, dass wir selber schuld sind, bitte, dann haben wir es schwarz auf weiß. Außerdem wäre endlich Schluss mit Frauenpreisen und all den Panels und Interviews zur Frauenfrage.

Beim Bayerischen Filmpreis ging die Regie-Auszeichnung dieses Jahr an fünf Frauen zusammen. Was halten Sie von solchen Gesten?

BERRACHED: Es ist süß gemeint, reduziert uns aber auf unser Geschlecht. Ich habe gerade einen „Tatort“ gedreht, da gibt’s bisher wenig Regisseurinnen. Fernsehredakteure betonen manchmal: „Ich arbeite sehr gerne mit Frauen“. Ich frage mich dann: Bin ich jetzt hier, weil ich Brüste habe oder ein gutes Projekt?

ADE: Gerade bei Sendergeldern muss es gerechter werden. Frauen müssen einfach mehr drehen können, allen Familiengründungen zum Trotz. Es geht auch um Übung, um Handwerk beim Regieführen.

Müde. Julia Jentsch als schwangere Kabarettistin Astrid in "24 Wochen".
Müde. Julia Jentsch als schwangere Kabarettistin Astrid in "24 Wochen".

© Friede Clausz, Neue Visionen Filmverleih

Warum sind denn die Abstände zwischen Ihren Filmen so groß?

KREBITZ: Wollen Sie jetzt wissen, ob das geschlechtsbedingt ist? Ich sage nur: Wolfgang Becker! Zwischen „Good Bye, Lenin!“ und „Ich und Kaminski“ liegen zwölf Jahre. Aber wenn ich einen Film über einen Mann und einen Wolf gemacht hätte, hätte ich wahrscheinlich nicht drei Jahre einen Produzenten suchen müssen.

ADE: Es liegt auch an den Sendern, die immer weniger Geld für Kino-Koproduktionen haben. Alles staut sich bei den zwei, drei couragierten Redakteuren. Man müsste dringend ein anderes System finden – man sollte zuerst Kinoförderung einreichen können, dann zum Sender gehen, so wie in Österreich.

KREBITZ: Ich hab mal ein ganzes Jahr auf den Rückruf einer Redaktion gewartet!

BERRACHED: Bei mir ging es mit dem „Tatort“ mit Maria Furtwängler schneller, weil ich auf ein fertiges Projekt draufgesprungen bin. Aber selbst da will ich meinen Ansprüchen genügen. Unsere Kinofilme sind erst recht unsere ureigenen Projekte, die wir selbst entwickelt haben. Da ist es nur natürlich, dass es dauert.

ADE: Nach „Der Wald vor lauter Bäumen“ dachte ich, super, jetzt bin ich Regisseurin. Aber alle meinten: Der zweite Film ist entscheidend. Nach „Alle anderen“ hieß es: Auf den dritten kommt es an. Und jetzt, nach „Toni Erdmann“: Ganz schwer! Da denke ich, ist jetzt auch wurscht.

Der Fotograf ist da, fürs Gruppenbild …

ADE: Na, dann trag’ ich noch mal Make-up auf. Und als Frau niemals in die Kamera lachen, habe ich neulich gelernt. Da bekommen wir gleich weniger Geld.

Die Filmpreis-Verleihung am Freitag im Berliner Palais am Funkturm wird erstmals von Jasmin Tabatabai moderiert. Das ZDF überträgt ab 22.50 Uhr, zeitversetzt. Über die Lolas entscheiden die 1800 Mitglieder der Deutschen Filmakademie, Preise gibt es in 19 Kategorien. Als „Bester Film“ treten neben "Toni Erdmann", "Wild" und "24 Wochen" an: Chris Kraus’ Vergangenheitsbewältigungs-Farce "Die Blumen von gestern" als Spitzenreiter mit 8 Nominierungen, Fatih Akins Bestseller-Verfilmung "Tschick" und Simon Verhoevens Flüchtlings-Komödie "Willkommen bei den Hartmanns". Bei der Regie konkurrieren Ade, Berrached, Krebitz und Chris Kraus. Die Filmpreise sind von Kulturstaatsministerin Monika Grütters mit rund 3 Millionen Euro dotiert.

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