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Der Duden.

© Tim Brakemeier/dpa

Deutsche Sprache im Wandel: „Playboy“ in „Bluejeans“ sucht „Hirschgeweihlenker“

Denn Hütt schreibt die Geschichte Nachkriegsdeutschlands anhand der Veränderungen im Wortschatz. Die Zeitschriftenkolumne.

Von Caroline Fetscher

Was Leute heute „voll krass“ nennen, haben andere vor Jahren „prima“ genannt, vor noch mehr Jahren „dufte“ und noch davor „fabelhaft“ oder „knorke“, je nach Milieu. Sprache wandelt sich ununterbrochen.

Alle, die an Gesprächen im Alltag teilnehmen, machen dabei mit, indem sie neue Wörter erfinden oder nachahmen, alte Wörter vergessen oder meiden: Werbesprüche und Jugendslang, Politjargon und Behördendeutsch.

Mit Schwung und Präzision spürt Hans Hütt diesem Wandel nach, verteilt auf vier handliche, anregend illustrierte Bände zu jeweils einem „Jahrzehnt in Wörtern“ (Alle vier Bände: Duden Verlag, Berlin, 2019, jeweils 128 S., 12 €.).

Mit dem Wirtschaftswunder tauchen – erster Band – in den fünfziger Jahren Wörter auf wie „Petticoat“, „Playboy“, „Show“ oder „Schönheitskönigin“, die neue Lebensfreude annoncieren sollen, während andere wie „Atombombe“, „Schlussstrich“ oder „Stress“ die Ängste im Kalten Krieg widerspiegeln.

Da ist „das Pflegeleichte Versprechen und Verhängnis“ in einem, und „der Lobbyist“ beginnt seine Tourneen, wobei er bis zu Adenauer gelangt.

Auch DDR-Vokabular bezieht Hütt ein

Von Fernweh spricht – zweiter Band – in den sechziger Jahren nicht nur der „Hawaiitoast“, sondern auch das Schwärmen von der „Adria“, während die „Hippies“ unerhörte „Kinderläden“ gründen und die Beatles als „Pilzköpfe“ den Pop erfinden, „Ostermärsche“ Frieden suchen, „Fitness“ die Arbeitsleistung steigern soll, „Bikinis“ und „Bluejeans“ Mode werden. Und „Gammler“ zu den Taugenichtsen der Stunde.

Auch DDR-Vokabular bezieht Hütt ein, wenn er den Begriff „Trabi“ für den „Käfer des Ostens“ untersucht oder das beklemmende Wort „Zwangsumtausch“.

Alternative, grüne Signale senden im dritten Band die siebziger Jahre, vom „Flohmarkt“ zum „Flokati“, von den „Jesuslatschen“ zur „Bürgerinitiative“ zu den „Spontis“, bei denen man „authentisch“ war, und „betroffen“. Und warum war es so heiß begehrt, das Fahrrad mit dem „Hirschgeweihlenker“ und dem „Bananensattel“? Hans Hütt mutmaßt, wir wollten „wie Peter Fonda und Dennis Hopper in die untergehende Sonne fahren“.

Neue Gefahren brachten, vierter Band, die achtziger Jahre: „Aids“, „Amoklauf“, „Waldsterben“, „Neonazis“ und der dazu passende fatale „Historikerstreit“. Mobilisiert wurden „Menschenketten“, und im politischen Großraum kam es zur „Perestroika“, die längst dem Wort „Mauerfall“ gewichen ist.

Der Sprachfluss ist ein Gewässer mit wechselnden Temperaturen und Fischbeständen. Woher die neuen Spezies jeweils einwandern, wie und wann sie wieder verschwinden, darüber lässt sich beim Lesen rätseln, manchmal lachen und oft neu nachdenken, wenn Begriffe wie Erinnerungswecker Assoziationen freisetzen.

Denn Hütts Wörterbücher sind verkappte Geschichtsbücher, sprühende Mikrolektionen, die sich zu Skizzen von Epochen verknüpfen, alle prima oder knorke oder krass gut geeignet, Gaben zu werden.

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