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Richard (Hans-Werner Meyer, 2. v. r.) versucht, seine Entscheidung zu erklären.

© Eventpress Hoensch

Deutsche Erstaufführung von "Nein zum Geld": Bist du jetzt Kommunist?

Tina Engel inszeniert Flavia Costes Komödie „Nein zum Geld“ mit einem tollen Ensemble am Renaissance-Theater in Berlin.

Was ist schlimmer, als kein Geld zu haben? Kein Geld haben zu wollen! Jedenfalls macht einen das gesamtgesellschaftlich betrachtet mit Sicherheit zum größeren Außenseiter. Der Architekt Richard, der mit seiner Frau Claire und dem neugeborenen Sohn in bescheidenen, aber durchaus nicht armen Verhältnissen lebt, hat seine Mutter Rose sowie seinen Chef und Freund Etienne zum Abendessen eingeladen, um ihnen zu verkünden, dass zu viel Besitz des Teufels ist.

„Für Geld ist man zu allem bereit, zu jedem Verbrechen, zu jeder Gemeinheit“, erklärt der Mann mit der flammenden Überzeugung des Erleuchteten. „Die Armen werden immer ärmer, damit die Reichen noch viel reicher werden, das ist die Wahrheit.“ Auf viel Verständnis stößt er damit nicht. „Du klingst wie ein Sektenführer“, stellt Claire fassungslos fest. „Bist du jetzt Kommunist?“, fragt die erschütterte Rose.

Richard lehnt einen Lottogewinn von 162 Millionen ab

Das Ausmaß der Empörung könnte natürlich auch damit zusammenhängen, dass es sich hier nicht um eine theoretische „Wenn ich einmal reich wär’“-Konversation vor dem Hauptgang-Hühnchen handelt. Sondern Richard der Runde seiner engsten Vertrauten soeben eröffnet hat, dass er nach reiflicher, zweimonatiger Überlegung leider einen Lottogewinn ausschlagen musste. Über 162 Millionen Euro. Bei der Vorstellung, sich plötzlich alles leisten zu können, wurde dem Ärmsten ganz übel („Das Geld war da, aber ich war weg“). Und zugleich wuchs in ihm die Erkenntnis, dass er zum Glück nicht mehr braucht als das, was er bereits hat: eine Familie, die er liebt, und eine Arbeit, die ihn erfüllt. Nach anfänglichem Schock sieht Claire das genauso. Sie küsst ihren Mann und dankt ihm, dass er sie vor der Falle des Überflusses bewahrt hat. Okay, Scherz. Sie flippt aus und brüllt: „Eingeliefert gehörst du, du peinlicher Wicht!“

„Nein zum Geld“ heißt die Komödie der französischen Schauspielerin und Filmemacherin Flavia Coste, das mit perfider und pointierter Lust am zivilisatorischen Zerfall das Szenario des für die meisten unvorstellbaren Verzichts durchspielt. Regisseurin Tina Engel hat es am Renaissance-Theater als deutschsprachige Erstaufführung inszeniert, in schlanken 80 Minuten, mit einem tollen Ensemble und spürbarer Freude an den moralischen Fallstricken dieser angewandten Geld- und Glücksforschung. Mag ja sein, dass die Zufriedenheit ab einem bestimmten Einkommen nicht mehr mitwächst. Aber die Aussicht auf obszönen Reichtum entzieht sich nun mal rationalen Überlegungen.

Unterdrücktes und Unausgesprochenes kommt auf den Tisch

Hans-Werner Meyer gibt mit gutgläubigem Ungestüm den Idealisten Richard, der die Fotos von Lottogewinnern im Internet beschwört, die paranoid in ihrer 30-Zimmer-Villa hocken, von Freunden und Familie verlassen. Aber hätte er die Entscheidung nicht wenigstens mit seiner Frau Claire besprechen müssen, die Sarah Bauerett herrlich in den schnappatmenden Furor kippen lässt? Oder mit seiner verwitweten Mutti (wunderbar in ihrer bissigen Verhärtung: Erika Skrotzki), die er doch sonst mit jedem Pipifax behelligt? Oder zumindest mit seinem besten Freund Etienne (in höchst komischer Verzweiflung: Michael Rotschopf), der mühsam eine finanziell schlingernde Firma auf Kurs hält, damit Richard sich mit kühnen architektonischen Plänen wie Altersheimen auf Stelzen selbst verwirklichen kann? Was der ungekrönte Lotto-König freilich gar nicht wusste. Aber der Abend bietet genügend Gelegenheiten, allerlei Unterdrücktes und Unausgesprochenes auf den Tisch zu packen, gleich neben das verkohlte Hühnchen.

Zielstrebig und glänzend unterhaltsam führt Tina Engel das Dinner der vermeintlich Vertrauten in die Katastrophe, ins entfesselte Hauen und Stechen. Wie sagte Richard noch? „Für Geld ist man zu allem bereit, zu jedem Verbrechen, zu jeder Gemeinheit.“ Er wird recht behalten.

nächste Vorstellungen: 2. bis 4., 6./7. und 9. bis 15., 19. bis 22. April, weitere im Mai und Juni

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