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Tim Kalkhof als Konditor Thomas in "The Cakemaker"

© MissingFilms

Deutsch-Israelischer Film „The Cakemaker“: Das Leben ist eine Torte

Von Berlin nach Jerusalem: Ofir Raul Graizers wundersamer Liebesfilm „The Cakemaker“ ist Israels Oscar-Beitrag im nächsten Jahr.

Der israelische Regisseurs Ofir Raul Graizer kann etwas, was kein Kritiker vermag: an den richtigen Stellen schweigen. Und genau daher rührt seine wundersame Beredsamkeit. Sein Film „The Cakemaker“ ist so still wie ein Tortenbüfett am Morgen. Oder wie die U-Bahn-Gleise, in dem Augenblick, als der letzte Zug gefahren ist. Irgendwo gleich neben der Schönhauser Allee hat der Konditor Thomas sein Café, das Café „Kredenz“.

Ein junger Geschäftsreisender tritt ein und erklärt dem Bäckermeister hinter der Theke ohne Umschweife, dass ihn sein erster Weg in der Stadt jedes Mal zu ihm führe. Was er denn heute empfehlen könne? Es dürfte nicht viele Menschen geben, die ihren Berlin-Aufenthalt mit einem riesigen Stück Schwarzwälder Kirschtorte beginnen. Überhaupt fällt auf, dass der Konditor eher Backwaren älteren Typs hervorbringt. Oren, Geschäftsmann aus Jerusalem, senkt seine Gabel voller Andacht in das Erzeugnis mit der katastrophalen Brennwertbilanz. Und der Konditor wird zur Nachspeise. 

Tim Kalkhof als Konditor Thomas redet fast nie

Die Liebe und das Essen sind zwei Weisen sinnlicher Einverleibung, zwei Akte – Regisseur Ofir Raul Graizer lässt da nicht den Hauch eines optischen Zweifels –, die einer gewissen Zwangsläufigkeit folgen. Der introvertierte Konditor führt fortan ein Leben wie man es von den Geliebten viel beschäftigter Männer kennt: eingeklemmt in den Terminplan eines anderen, ein erotischer Nebenschauplatz. Denn Familie hat der Tortenesser auch, zu Hause in Jerusalem. Und doch ist Tim Kalkhof als Konditor Thomas von Anfang ein Hauptschauplatz. Einer, dem man zusieht, auch wenn er nicht redet, und er redet fast nie. Dafür sprechen seine Hände. So wie sie den Hefeteig kneten, üben sie das Handwerk Gottes aus: eine unendlich formbare Materie der eigenen Schöpferkraft zu unterwerfen. Liebe heißt auch, wie Teig in den Händen eines anderen zu sein.

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Aber dann kommt kein Anruf mehr, kein Rückruf, nichts. So verschwinden keine Verhältnisse, so verschwinden nur Tote. Es überrascht nicht einmal, den Bäcker schon in der übernächsten Szene in einem Jerusalemer Café sitzen zu sehen. Und die ernste junge Frau hinter der Theke ist ohne Zweifel die Frau seines Geliebten, nein, seine Witwe. Oren starb bei einem Verkehrsunfall. Schön und schmal ist sie, Sarah Adler gibt dieser Anat eine Art von durchscheinender Trauer. Oder ist da noch etwas anderes, etwas beinahe Hartes? Thomas kennt sie, Oren hat immer eine Schachtel Zimtkekse für sie mitgenommen. Und sie kennt Thomas, natürlich, denn sie kennt seine Kekse. Sie gehören gewissermaßen zusammen, denn sie liebten denselben Mann.

Regisseur Ofir Raul Graizer backt nicht, er kocht

An dieser Stelle beginnt „The Cakemaker“ gleichsam noch einmal. Was bis eben Raffung und Überwältigung war, wird nun eine unendlich langsame, sich fast nur in Gesten vollziehende Annäherung, die die Katastrophe schon in sich trägt. Ob sie eine Küchenhilfe brauche, fragt Thomas Anat. Es wäre eine gute Art, Abschied zu nehmen. „Kannst du abwaschen?“, fragt sie. Anats Schwager kommt es gleich nicht koscher vor, dass sie einen Deutschen beschäftigt. In einem koscheren Café! Genau genommen, dürfte der Ungläubige hier gar nichts anfassen, schon gar nicht den Ofen.

Doch Thomas’ unkoschere Backwaren, insbesondere seine Schwarzwälder Kirschtorte, retten das Café. Anat selbst kann nicht backen. Lange glaubt der Zuschauer mehr zu wissen als die Beteiligten. Aber das ist eine Illusion. Souveräner, knapper, frappierender waren Rückblenden selten. Regisseur Ofir Raul Graizer backt nicht, er kocht. Acht Jahre hat er gebraucht, diesen Film zu verwirklichen. Seit 2010 lebt er in Berlin und in der Uckermark. Da hatte er genug Zeit, in Berlin Kochkurse zu geben. Sie waren immer ausgebucht. Jetzt erscheint „Ofirs Küche. Israelisch-palästinensische Familienrezepte“ bei Suhrkamp. Fast sah es so aus, als würde Graizer für immer kochen müssen, doch nun holt „The Cakemaker“ Festivalpreise auf der ganzen Welt. Dieses wundersame kleine große Stück Kino ist Israels Oscar-Beitrag im nächsten Jahr.

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