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Fahndung. David (John Cho) hilft der Polizei vom Laptop aus.

© Sony

Desktop-Thriller „Searching“: Die Welt auf dem Schirm

Bildschirmperspektive: In Aneesh Chagantys Thriller „Searching“ verfolgt ein Vater die digitale Spur seiner verschwundenen Tochter.

Ein sanfter Hügel, eine grüne Wiese, darüber ein blauer Himmel mit vereinzelten Wölkchen: Die wenigsten wissen, dass diese Szenerie im kalifornischen Napa Valley liegt, aber Millionen von Menschen kennen das Bild, mit dem Aneesh Chagantys Thriller „Searching“ beginnt. Es ist eines der bekanntesten Fotos, doch noch nie hat man es so leinwandfüllend im Kino gesehen: den Bildschirmhintergrund von Windows XP.

Ein Mauszeiger fährt auf der Oberfläche herum, richtet ein neues Nutzerkonto auf den Namen „Margot“ ein. Ordner werden angelegt, Babyfotos abgespeichert, der Google-Kalender meldet den ersten Kindergartentag, die Einschulung, Klavierstunden. Das Internet wird interaktiver, auf Youtube ist Margot (Michelle La) beim Klavierspiel zu sehen, ein Facebook-Profil wird angelegt. Doch bald ziehen dunkle Wolken über der glücklichen asiatisch-amerikanischen Familie auf: Fotos zeigen die Mutter im Krankenhaus, der Tag ihrer Heimkehr wird im Kalender mehrmals verschoben, dann wird der Termin schließlich gelöscht.

Dem Prinzip, seine Geschichte über die Bildschirme von Computern und Smartphones zu erzählen, bleibt „Searching“ bis zum Ende treu. Schon die bravouröse Eröffnungssequenz macht deutlich, was an dieser Perspektive so fasziniert: Sie ist einerseits nah an der Lebenswirklichkeit, im Erzählkino aber bislang unterrepräsentiert. Computer sind Arbeitsplatz, Kommunikationskanal, Unterhaltungsprogramm, Einkaufszentrum, Nachrichtenquelle und Familienarchiv in einem. Kaum ein Bereich des täglichen Lebens, der sich heutzutage nicht am Bildschirm abspielt. Da ist es nur konsequent, eine Geschichte komplett auf den Bildschirm zu verlagern.

Der Regisseur kommt aus dem Silicon Valley

Eines Morgens findet Margots Vater David (John Cho) mehrere verpasste Anrufe seiner Tochter auf dem Handy vor. Er versucht sie zu erreichen, doch sie reagiert nicht. Als sie nach der Schule nicht nach Hause kommt, wird er nervös, bis ihm einfällt, dass Margot nachmittags Klavierunterricht hat. Doch die Lehrerin teilt dem verblüfften Vater mit, dass sie schon seit einem halben Jahr keine Klavierstunden mehr nimmt. Langsam muss David realisieren, dass es noch einiges mehr gibt, das er nicht über seine 16-jährige Tochter weiß.

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„Searching“ ist das Debüt des indischen Regisseurs Aneesh Chaganty, der im kalifornischen San José aufwuchs. Die Stadt, in der auch sein Film spielt, liegt im Silicon Valley, in unmittelbarer Nachbarschaft der Google-Firmenzentrale. Dort arbeitete Chaganty in der Werbeabteilung, nachdem er einen viralen Clip mit der Datenbrille Google Glass gedreht hatte. Für seinen Erstling erweist sich das als ideale Vorbereitung, der technische Hintergrund kommt ihm hier ebenso zugute wie die Erfahrung mit der subjektiven Perspektive. Sie macht die bildschirmbasierte Erzählweise von „Searching“ so mitreißend: Man befindet sich nahezu den gesamten Film über in Davids Kopf, sieht durch seine Augen auf den Schirm – und die Welt.

Bis zuletzt ist die Geschichte unvorhersehbar

Ganz neu ist diese Erzählperspektive nicht. Auf der letzten Berlinale lief Timur Bekmambetovs Thriller „Profile“, der die Gespräche einer investigativen Journalistin mit einem IS-Anwerber am Monitor ihres Laptops verfolgt. Gegenüber dessen formaler Strenge erlaubt sich Chaganty bei der Fahndung nach Margot einige Freiheiten, schwenkt und zoomt auf dem Bildschirm umher, setzt Filmmusik ein oder schneidet nach einem Geistesblitz Davids zum dynamisch voranpreschenden Pfeil auf dem Navigationsgerät.

Mit „Searching“ erweist sich Bekmambetov, der den Film produziert hat, als Spezialist für diese – zumindest im Kino – neue Gattung des Bildschirmerzählens. Chagantys formale Raffinesse wäre indes ein bloßer Gimmick, würde seine Erzählweise die dramatischen Konventionen des Thrillers nicht so perfekt in das Dispositiv der sozialen Medien überführen. Die bis zuletzt unvorhersehbare Geschichte behält trotz zahlreicher Ortswechsel konsequent die Bildschirmperspektive bei, ohne die Erzähllogik überzustrapazieren. So verrät „Searching“ auch einiges über die Rolle des Internets in unserem Alltag – und lässt erahnen, was in der modernen Kommunikation bisweilen auf der Strecke bleibt.

In 13 Berliner Kinos, OV: Karli Neukölln, CineStar Sony Center, Kinowelt Eastgate, Kinowelt Colosseum

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