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Position der Renitenz. C Pam Zhang wurde 1990 in Peking geboren und wuchs in den USA auf. „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ ist ihr Debütroman. Zhang liest am Mo., 13. 9. beim Internationalen Literaturfestival Berlin.

© Gioia Zloczower/Verlag

Der Wilde Westen aus asiatischer Perspektive: „Die amerikanische Natur ist wunderschön – und verflucht“

C Pam Zhang hat einen Western geschrieben, in dem chinesische Einwanderer die Hauptfiguren sind. Ein Gespräch über umgekehrten Exotismus, Anpassungsdruck und Dankbarkeitsfallen.

Von Andreas Busche

Mrs Zhang, man kennt chinesische Einwanderer im Western-Genre bisher nur als Bahnarbeiter, Goldgräber oder Betreiber von Opiumhöhlen. Die Hauptfiguren in Ihrem Roman „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ sind die beiden Schwestern Lucy und Sam, Töchter chinesischer Eltern, die allein durch den Wilden Westen reiten, um ihren Vater zu beerdigen. Sind Ihre Protagonistinnen ein Versuch, sich dieses uramerikanische Genre anzueignen?
In der amerikanischen Imagination des historischen Westens ist bisher gar kein Platz für chinesische Menschen. Das prägendste Bild des Western ist für mich ein Clint Eastwood: weiße Männer, die durch das weite, unwirtliche Land stolzieren. Oder die Siedlerfamilie aus Laura Ingalls’ „Unsere kleine Farm“. Mein Ausgangspunkt war die Landschaft. Die Geografie des amerikanischen Westens gehörte zu meinen formativen Erfahrungen, als ich in jungen Jahren mit meinen Eltern in die USA kam. Die Berge, der Himmel, die Täler – ich spürte eine Ehrfurcht, gleichzeitig eine Verbundenheit.

Sie sind in Amerika aufgewachsen, dennoch haben Sie einen anderen Blick auf dieses Land. Halten Sie Amerika einen Spiegel vor, wenn Sie den Western-Mythos aus Ihrer Sicht erzählen, eine Art umgekehrter Exotismus?
Mit Exotismus hat das wenig zu tun. Wenn ich mir die amerikanischen Landschaften ansehe, spüre ich vor allem eine große Wehmut. So viel ist verschwunden, das Land wurde ausgebeutet und beraubt, Hunderttausende starben dafür. Die Natur ist einerseits überwältigend schön, aber sie ist auch verflucht.

Erschaffen Sie darum den amerikanischen Westen als eine imaginäre Landschaft, in der die Urwesen der beiden Kulturen, mit denen Sie aufgewachsen sind, der Tiger und der Bison, beheimatet sind?
Ich glaube, der Schlüssel für diese Fantasiewelt ist die emotionale und geografische Distanz. Als ich mit meinem Roman begann, lebte ich in Bangkok, weit weg von zu Hause. Ich habe mein Verhältnis zu Amerika noch einmal aus der Entfernung reflektiert. Hätte ich in Nordkalifornien geschrieben, die Berge in Sichtweite, hätte ich vermutlich den Druck verspürt, journalistischer zu arbeiten. So aber konnte ich mit dem Mythos spielen, wie in einem Märchen: Es gibt vertraute Elemente, die an persönliche Erfahrungen gekoppelt sind, aber sie schweben außerhalb unserer Realität.

Hat das auch mit einer Skepsis gegenüber historischen Überlieferungen zu tun, die Menschen und Ereignisse aus Geschichtsbüchern herausgeschrieben haben?
Ganz sicher. Die Dichterin Morgan Parker hat gesagt: Fakten sind weiß. Ich gehe inzwischen etwas nachsichtiger mit der Geschichtsschreibung um, doch habe ich mir angewöhnt, die Begriffe Geschichte und Mythologie austauschbar zu benutzen. Sie sind sehr oft schwer auseinanderzuhalten. Mit der Bezeichnung Goldrausch assoziieren wir automatisch das Bild weißer Männer. Dabei werden viele Menschen dieser Zeit ausgeblendet, Migranten, People of Color, vielleicht sogar queere Menschen.

Ist Ihr Roman dann eine Western-Geschichte aus Ihrer persönlichen Sicht oder eine Revision des Western-Genres?
Der Buchmarkt tendiert aus Marketinggründen dazu, zwischen historischer Fiktion und revisionistischer Geschichte zu unterscheiden. Ich habe mit beiden Bezeichnungen ein Problem. Es ging mir nicht darum, ein Update dessen vorzulegen, was wir über den amerikanischen Westen zu wissen glauben. Ich liebe den klassischen Western, Autor:innen wie Laura Ingalls, John Steinbeck, Larry McMurtry, aber das ist eben nur eine Version der Mythologie. Jede literarische Konvention, die so populär wird, bis ihre Erzählung irgendwann simplifiziert ist, hat eine genauere Betrachtung verdient; den prüfenden Blick in die Ritzen der Geschichte.

Die ältere Schwester Lucy spricht einmal von der „Geschichte der Gewalt“ und wie diese schwindelig macht, als würde man durch ein umgedrehtes Fernglas gucken. Ihr Roman handelt auch von Fragen der Identität: Die Mädchen wollen zu diesem amerikanischen Projekt dazugehören, möchten ihren Vater aber gleichzeitig nach chinesischer Tradition begraben. Ist das ein Konflikt, der für Sie als chinesische Amerikanerin heute noch eine Relevanz besitzt?
Es ist eine lebenslange Absurdität, mit der ich mich tagtäglich neu auseinandersetzen muss. Ich denke darüber nicht aktiv nach. Aber das eigene Umfeld macht einen ständig darauf aufmerksam, dass man nicht so aussieht, wie man sich eine Amerikanerin vorstellt. Es wurde besonders absurd in den vergangenen 15 Monaten, in denen uns ein Virus gezeigt hat, wie willkürlich Konzepte wie Herkunft, Nationalität oder Nationalstaat eigentlich sind. Das Virus macht da keinen Unterschied. Auch beim Schreiben habe ich dieses Dilemma stets im Hinterkopf.

Mir ist einerseits bewusst, dass ich im Kontext amerikanischer Literatur arbeite, in der „weiß“ immer noch der Standard ist; gleichzeitig nervt es mich. Als ich jünger war, habe ich mich geweigert, den kulturellen Hintergrund meiner Figuren zu benennen. Ich fand es unfair, dass ich gleich im ersten Absatz erklären muss, dass die Amerikanerin asiatischer Herkunft ist. Diese Trotzreaktion war kindisch, weil meine Figuren so automatisch als Weiße gelesen wurden. Also ja, meine schriftstellerische Arbeit entstand aus einer Position der Renitenz heraus.

Am Beispiel der Eltern von Lucy und Sam beschreiben Sie sehr schön die Widersprüche der migrantischen Erfahrung in Amerika. Sie schrieben in einem Essay für den „New Yorker“, dass „Verschleierung“ das Erbe Ihrer Eltern gewesen sei. Wie sehr sind Sie als chinesische Amerikanerin in erster Generation von der Migrationserfahrung der Eltern geprägt?
Die asiatisch-amerikanische Erfahrung ist stark verknüpft mit dem Gefühl von Scham: darüber, dass die chinesische, koreanische oder indische Kultur wertloser, hässlicher, weniger erstrebenswert als die amerikanische sei. Das hat zu einer Sehnsucht nach Assimilation in eine imaginäre farbenblinde Gesellschaft geführt. Die Folge war ein Verlust von Identität und das Verschwinden der eigenen Geschichte in einer Illusion vom Weißsein.

In Amerika scheint sich aber gerade etwas zu verändern. Vizepräsidentin Kamala Harris ist indischer Herkunft, Hollywood entdeckt mit „Parasite“, „Crazy Rich Asians“ und dem Marvel-Film „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ asiatische und asiatisch-amerikanische Darsteller:innen, es gibt Serien wie „Nora from Queens“. Haben Sie Angst, dass die Kulturindustrie das Label „Asiatisch-amerikanisch“ bloß als Trend entdeckt?
Das ist das Gesetz des Kapitalismus, er verschlingt alles und verwandelt es in eine Ware. Wir reden von Veränderungen, aber vergangenes Jahr gab es einen Anstieg von Hassverbrechen gegen asiatisch aussehende Menschen und die Black-Lives-Matter-Proteste nach der Ermordung von George Floyd. Es ist leicht, zynisch zu werden, wenn man beobachtet, dass ein so wichtiges Thema wie Diversität bloß zum nächsten Punkt auf einer To-do-Liste wird.

Kunst allein genügt nicht. Sie ist mächtig, um andere Perspektiven aufzuzeigen und diese Ideen im Bewusstsein der Menschen einsickern zu lassen. Doch die Macht einer kulturellen Bewegung ist lediglich der Beginn einer Welle, die in einer besseren Gesetzgebung kulminieren muss. Der Weg dahin ist unendlich langsam und schmerzvoll.

Die deutsche Übersetzung hat ein treffendes Wort für diese Dynamik: Dankbarkeitsfalle. Es wird stets Dankbarkeit erwartet für die Großzügigkeit des weißen Amerikas.
Ich habe in meinem Leben viele Zugeständnisse gemacht. Es kommt immer darauf an, alle Variablen einer Gleichung gegeneinander abzuwägen, um für sich das Beste herauszuholen. Die Performance von Dankbarkeit kann da ein Türöffner sein. Man könnte es mit einem Schachspiel vergleichen: Ich opfere einen Bauern und gewinne einen strategischen Vorteil.

Es gibt aber Situationen, in denen der Sieg das Bauernopfer nicht wert ist. Darum werden wir als Individuen nicht weit kommen. Es bedarf einer breiten Bewegung, damit die Erschöpfung, die dieses ständige Taktieren mit sich bringt, auf möglichst vielen Schultern verteilt ist.

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Sie haben gesagt, dass der Einfluss von afroamerikanischen Autor:innen auf asiatisch-amerikanische Autor:innen oft unterschätzt wird. Was haben Sie von Toni Morrison, die Ihr Vorbild ist, gelernt?
Das beginnt schon damit, wie Weißsein in der literarischen Tradition Amerikas verankert ist. Toni Morrisons Courage, die afroamerikanische Erfahrung ins Zentrum ihrer Geschichten zu rücken, eröffnete völlig neue, radikale Möglichkeiten für die Wahrnehmung der Welt und der amerikanischen Literatur.

Wir als asiatischstämmige Amerikanerinnen können noch viel lernen von der Literatur aus der Bürgerrechtsbewegung. Kaum jemand weiß, dass in den sechziger Jahren asiatischamerikanische und afroamerikanische Aktivist:innen Seite an Seite marschiert sind. Die Bürgerrechtlerin Yuri Kochiyama war eng befreundet mit Malcolm X. Die Geschichte hat diese Allianzen aber ignoriert. Stattdessen war Amerika immer sehr gut darin, marginalisierte Gruppen gegeneinander auszuspielen.

Ist das also der neue American Dream: endlich die Möglichkeit zu erhalten, die eigene Geschichte zu erzählen?
(Lacht) Das kann ich Ihnen sagen, wenn ich herausgefunden habe, was dieser American Dream eigentlich ist.

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