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Die Autorin Cornelia Funke in ihrem Haus in Malibu in den USA

© Michael Orth/Dressler Verlag/dpa

Der vierte Band der "Reckless"-Reihe: Cornelia Funkes Roman "Auf silberner Fährte"

Das Schimmern der Unsterblichen: Cornelia Funke hat mit „Auf silberner Fährte“ den vierten Band ihrer „Reckless“-Reihe veröffentlicht.

Es gibt Beziehungen unter Geschwistern, die geprägt sind von dem Verantwortungsbewusstsein der älteren gegenüber den nachgeborenen Brüdern oder Schwestern. Das ist nicht nur im richtigen Leben so, sondern auch in dem der fantastischen Literatur, in einem Leben, das sich vor und hinter Spiegeln abspielt.

Wie bei Cornelia Funkes Brüderpaar Jakob und Will Reckless. Jakob ist der Erstgeborene, der von seiner Mutter Rosamund häufig den Auftrag bekam, auf Will aufzupassen: „Wie sehr hatte er es gehasst, wenn seine Mutter das gesagt hatte. Und es dann meistens doch getan.“

Zum Beispiel in Funkes erstem, 2010 veröffentlichtem „Reckless“-Roman „Steinernes Fleisch“. Will folgt hier seinem Bruder irgendwann in dessen Zauberwelt hinter die Spiegel und wird von einem Goyl angegriffen, einem Wesen mit einer Haut aus Stein. Das lässt ihn selbst zu einem Goyl werden: Wills Haut verwandelt sich zu Jade, und Jakob macht sich auf die Suche nach der rettenden Medizin für seinen Bruder.

Die findet er zwar, aber in der Folge emanzipiert sich Will von ihm. Er führt ein eigenes, wildes, stets gefährdetes Leben hinter den Spiegeln, wie Funkes „Reckless“-Nachfolgebände „Lebendige Schatten“ und vor allem „Das goldene Garn“ gezeigt haben, und er tut das auch in dem vierten, dieser Tage veröffentlichten Buch der Reihe, „Auf silberner Fährte“. (Dressler Verlag, Hamburg 2020.412 Seiten, 24 €.)

Funke baut ihre Spiegelwelt geografisch aus

Will ist unterwegs nach Nihon, was in Funkes ganz eigenem 19.-Jahrhundert-Kosmos Japan darstellt. Er möchte zusammen mit seiner verletzten Freundin Sechzehn, einem ebenfalls steinernen Wesen, einen Unsterblichen namens Spieler zur Rede stellen, weil dieser seine einstige, aus Fleisch und Blut bestehende Freundin Clara verhext hat.

Jakobs Freundin Fuchs, die Gestaltwandlerin zwischen Mensch und Tier, entdeckt dann eines Tages zufällig auf der Passagierliste eines Schiffes nach Nihon die Namen von Will, Sechzehn und einem gewissen Nerron, einem Feind von Jakob.

So kommt es, dass Jakob und Fuchs dem kleinen Bruder folgen – weil Fuchs das unbedingt will, Nihon gilt als die Insel der Füchse, und um Will zur Seite zu stehen, um ihn vor Nerron, dem Bastard zu beschützen, vor Spieler und dessen Konterpart Krieger und anderen Gefahren.

Wer sich mit diesem Funke-Buch erstmals ins „Reckless“-Universum begibt, dürfte gerade zu Beginn viele Verweise auf die Vorgänger nicht verstehen und nur schwer dieser sich schleppend entfaltenden Geschichte folgen können.

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Im Grunde geht es Funke primär um den Ausbau ihrer Spiegelwelt, um eine geografische Ausdehnung Richtung Asien, die auch eine Erweiterung in Richtung der Märchenmotive anderer Kulturkreise darstellt, dieses Mal eben des japanischen.

In früheren Interviews hatte die gerade mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis für ihr Gesamtwerk ausgezeichnete, eigentlich weltberühmte Erfolgsautorin weitere „Reckless“-Bände angekündigt und auch die Kontinente genannt, auf denen diese angesiedelt sein sollen. Sie sprach also nicht nur von Asien für „Auf silberner Fährte“, sondern auch von Amerika und Afrika für die Teile fünf und sechs.

Das klingt ambitioniert, zumal die Welt der Märchen riesig ist, scheint sich aber zunehmend negativ auf das Storydesign auszuwirken. Man fragt sich bei der Lektüre dieses vierten Bandes, ob Funke überhaupt an einem eigenen, unabhängig von der Gesamtkonstruktion funktionierenden Plot gelegen war, ob sie Geschichten erzählen wollte, die mehr als nur Verweise auf die Vorgänger oder Märchenreferenzen sind, die gewissermaßen auch unplugged gespielt werden können.

Die interessanteste Figur ist der Ringer Yanagito Hideo

Es geht also in Nihon mal hierhin, mal dorthin, bald aber auch wieder weg von der Insel Richtung Westen, auf drei manchmal irrlichternd nebeneinander herlaufenden Erzählsträngen. Nicht nur Will ist auf der Spur der Steine und Unsterblichen, nicht nur Spieler treibt sein Unwesen, sondern auch Jakob und Fuchs werden getrennt: der eine von Nerron alias Bastard erst gerettet, dann verschleppt und von den Unsterblichen eingekerkert, die andere von der vielleicht interessantesten (und neuen!) Figur dieses Bandes, dem japanischen, am ganzen Körper tätowierten und mit den Tattoos zielgerichtet kämpfenden Ringer Yanagito Hideo beschützt und nach Persien geführt und später zurück nach Wien.

Es gibt hier schon tolle Szenen, tolle Settings, die aber wiederum Funke nie wirklich ins Erzählen kommen lassen. Auch manches Geheimnis lüftet sich. Zum Beispiel dass Will bloß Jakobs Halbbruder ist, nämlich der Sohn von Spieler, der Rosamund Reckless einst den Kopf verdrehte. Nur mag Funke nie vertiefen, was das bedeutet für ihre Figuren, was die vielen schwebenden Identitäten für Folgen haben.

Es geht zwar immer mal um Liebe, Freundschaft und Treue, um Wahrheit und Lüge, auch um die Schwangerschaft von Fuchs, das aber alles schlicht und am Rande des Kitsches. Viele Wege führen schließlich nach Austrien, ins Reich von Kami’en, dem König der Goyl, viele Stränge dieses Romans enden aber auch einfach oder verlieren sich im Silber der Unsterblichen. Denn es muss ja weitergehen, die Reihe wird fortgesetzt. Mehr Eigenständigkeit wäre den nächsten „Reckless“-Bänden jedoch sehr zu wünschen.

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