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Kultur: Der Versteckspieler

Expedition in ein literarisches Refugium: Roland Berbigs Biografie des Dichters Günter Eich.

Als Günter Eich vor einem halben Jahrhundert aufgefordert wurde, seine Poetik offenzulegen, entledigte er sich der lästigen Pflicht mit einer knappen Wunschliste. Seiner Neigung zur Wortkargheit folgend, verwies er zuallererst auf die Kunst, sich zu verbergen: auf „Gedichte, in denen man sich ausdrückt und zugleich verbirgt“. Bereits in seinem 1964 publizierten Band „Zu den Akten“ hatte Eich die Verborgenheit zu seinem Lieblingsdomizil erhoben: „Wo die Beleuchtung beginnt, / bleibe ich unsichtbar. / Aus Briefen kannst du mich nicht lesen / und in Gedichten verstecke ich mich.“

Dieses poetische Versteck hat Günter Eich in seinen letzten Lebensjahren nicht mehr verlassen. Mit Hilfe seines unlängst verstorbenen Schweizer Freundes Heinz G. Schafroth gelang es Eich sogar, die Spuren zu seiner letzten Ruhestätte zu verwischen. Als er am 20. Dezember 1972 in einem Salzburger Krankenhaus gestorben war, wurde er nicht etwa in Lenggries in Oberbayern beerdigt, wo er gemeinsam mit seiner Frau Ilse Aichinger und den Kindern Clemens und Mirjam seit 1956 gelebt hatte, sondern in den Weinbergen oberhalb der Schweizer Stadt Biel. Dort wurde im engsten Familienkreis die Asche des Dichters verstreut, der in seinen letzten Lebensjahren gegen alle poetischen Konventionen verstoßen hatte. Am Ende schrieb Eich nur noch „Maulwürfe“ und feilte an einer anarchistischen Gedicht-Grammatik.

Es verwundert nicht, dass es zu diesem Dichter, der die Kunst, keine Spuren zu hinterlassen, zur Virtuosität entwickelt hatte, bislang keine brauchbare Biografie gab. Durch einen Luftangriff war 1943 die Berliner Wohnung Günter Eichs zerstört worden, und fast alle Manuskripte waren verloren gegangen. Auch das hat viele potenzielle Biografen entmutigt. Nun aber hat der Berliner Literaturwissenschaftler Roland Berbig nach akrikischer Recherche das schier Unmögliche realisiert: Dank Auswertung lange unbekannter Lebenszeugnisse konnte Berbig ein zentrales Stück im Leben des Dichters Günter Eich rekonstruieren: die Jahre von 1944 bis 1954, die Eich im niederbayerischen Provinzflecken Geisenhausen in der Obhut der Spengler-Familie Schmid zugebracht hatte. Dabei bleiben die Vorkriegsjahre des Dichters ausgeblendet, jene Zeit, in der Eich im Umfeld des Dresdner Dichterkreises um die Zeitschrift „Die Kolonne“ seine ersten Gedichte veröffentlichte und schließlich zu einem der meistbeschäftigten HörspielAutoren der NS-Zeit aufstieg.

Roland Berbigs Expedition in das literarische Refugium Geisenhausen bei Landshut erschließt tatsächlich literaturhistorisches Neuland und liefert unverzichtbare Bausteine zum Lebensbild eines Dichters, der an der Peripherie sorgsam seinen Weg in den Literaturbetrieb vorbereitete und dabei von seiner Gastfamilie auf das Liebenswürdigste umsorgt wurde. Die Söhne und Töchter des Klempnermeisters Hans Schmid haben über die Jahrzehnte hinweg eine umfangreiche Günter-Eich-Sammlung mit Fotografien, Briefen und Ansichtskarten angelegt, die das Fundament von Berbigs opulenter Teil-Biografie bildet.

Im Herbst 1944 war der damals 37-jährige Unteroffizier Eich erstmals im Haus der Familie Schmid einquartiert worden. Ein halbes Jahr später tauchte er als abgemagerter Flüchtling bei seinen Gastgebern wieder auf und schloss mit ihnen eine Freundschaft fürs Leben. Hier auch, in der Provinz, erlebte er den Durchbruch zum frühen Star der neuen Gattung Hörspiel, als im Mai 1951 sein Hörspiel „Träume“ gesendet wurde. Auch als er nach der Heirat mit Ilse Aichinger seinen Ruhepunkt Geisenhausen für immer verließ, schwärmte Eich immer wieder von diesem Ort „am Rande der Welt“, in dem er nach den traumatisierenden Erfahrungen des Krieges wieder ins Leben gefunden hatte.

Roland Berbig mag an einigen Stellen allzu detailverliebt sein, etwa wenn er ausgiebig über marginale kommunale Ereignisse räsoniert, zum Beispiel über „die Aufstellung eines Maibaums“. Aber seine Darstellung fasziniert auch durch den schlackenlosen Stil und die sorgfältige Ausleuchtung des Lebenswinkels, in dem der Dichter seinen idealen Rückzugsort gefunden hatte.

Überraschend ist indes die Lakonie, mit der auf nur wenigen Seiten des 520 Seiten starken Buches die brisante Debatte über die politische „Fehlbarkeit“ Eichs im „Dritten Reich“ thematisiert wird. Der Eich-Editor Axel Vieregg hatte in den 1990er Jahren Eichs Zusammenarbeit mit dem NS-Rundfunk als bewusstes „Optieren für den nationalsozialistischen Staat“ bezeichnet – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass Eich später diese „Fehlbarkeit“ selbstkritisch reflektiert hat. Roland Berbig geht darauf nur am Rande ein und verweist lieber auf die tiefe Skepsis, mit der Eich auf jede Form von politischem Pathos reagierte.

Höhepunkte der Biografie sind die berührenden Passagen, in denen Berbig die Korrespondenz Eichs mit Ilse Aichinger und seinem verlässlichsten Freund, dem Schweizer Steinmetz, Gärtner und Dichter Rainer Brambach vorstellt. Im romantischen Medium des Briefs hatte Günter Eich einen Ort gefunden, in dem er sich einrichten konnte. Der Mann, der sich auch in seinen Briefen lieber verstecken wollte – gegenüber Ilse Aichinger wurde er wieder lesbar. So schrieb er seiner geliebten Ilse im Januar 1953: „Ich will nicht viel von Wien sehen, nur alles, was zu Dir gehört, wo Du geboren bist und wo Du gewohnt hast und wo Du froh und wo Du traurig warst. Alles was in den imaginären Spezialatlas gehört, den nur wir beide lesen können.“

Roland Berbig: Am Rande der Welt.

Günter Eich in Geisenhausen 1944 – 1954.

Wallstein, 2013. 528 Seiten, 35,90 €.

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