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Millionenschwer. Pierre-Paul (Alexandre Landry) und seine Freundin Camille (Maripier Morin).

© Cinémaginaire Inc./FilmTDA Inc

„Der unverhoffte Charme des Geldes“: Die Robin Hoods von Montreal

Was tun mit den ganzen Millionen? Denys Arcands Filmkrimi „Der unverhoffte Charme des Geldes“ ist eine Lektion über die Abgründe des Kapitalismus.

Der Kurierfahrer Pierre-Paul hat ein Problem. Vor ihm auf der Straße liegen zwei schwarze Umhängetaschen. Der Inhalt: geraubte Millionen, wegen denen sich gerade drei Typen über den Haufen geschossen haben. Zwei sind tot, der dritte türmt verletzt. Nur Pierre-Paul, der Zeuge, der auf seiner Route zufällig Halt gemacht hat, steht noch verdutzt am Tatort herum. Also fasst er sich ein Herz und tut das erste Mal in seinem Leben etwas Unerlaubtes: Er sackt die Millionen ein.

Pierre-Paul (Alexandre Landry) wählt die Chance aufs große Glück und pfeift auf die Sicherheit, die ihm eine mickrige Rente und zwei kaputte Knie beschert hätte. So klingt das, wenn die Figuren in Denys Arcands „Der unverhoffte Charme des Geldes“ ihre Motivation erklären. Der 78-jährige Kanadier, der 2004 für „Invasion der Barbaren“ den Auslands-Oscar erhielt, hat sich seit den 70ern als Spezialist für Gesellschaftssatiren profiliert. So geht es ihm auch diesmal nicht so sehr um den Krimiplot, er will die Krebsgeschwüre der spätkapitalistischen Welt bloßlegen.

Der Film hat reichlich Bonmots zu bieten

Vom Überfall aus verästelt sich die Geschichte um Pierre-Paul immer weiter. Er bekommt Helfer und Helferinnen wie das Call-Girl Camille (Maripier Morin), in das er sich verliebt, und den smarten Sylvain (Rémy Girard). Nach dessen Entlassung aus dem Gefängnis begrüßt Pierre-Paul, vom Diebstahl völlig überfordert, den ausgebufften Knacki mit dem schönen Satz: „Bitte helfen Sie mir, ich habe zu viel Geld.“ Bonmots wie dieses hat der Film reichlich zu bieten. Das Drehbuch, das ebenfalls von Arcand stammt, ist kurzweilig und geistreich, allerdings wird man auch das Gefühl nicht los, dass er sich der eigenen Cleverness durchaus bewusst ist.

In die Krimihandlung baut er immer wieder Aufnahmen von Obdachlosen ein, die in den Straßen Montreals leben. Sie wirken wie Zaungäste dieses Spiels ums große Geld. „In Montreal gibt es Obdachlose?“, fragt Camille ungläubig, als ihr Pierre-Paul von seinem Engagement in einer Suppenküche erzählt. Klar, besonders an den Eingängen zur U-Bahn, erwidert der. Darauf das Escort-Girl: „Ich fahre nicht mit der U-Bahn.“ Natürlich nicht, es residiert längst in einem Luxus-Loft über der Stadt.

Große Reden über das Übel des Kapitalismus

Die betont ungleiche Truppe von Gesetzesbrechern, die Arcand nur mit einem überschaubaren Maß an Hintergrundgeschichte ausstattet, erweckt nie den Anschein, als habe man es mit Menschen aus Fleisch und Blut zu tun. Sie wirken wie Spielsteine in einer wohlkonstruierten Versuchsanordnung, wenn sie die Millionen auf den verschlungenen Pfaden des Großkapitals an einem hartnäckigen Ermittlerpaar vorbeischleusen. Dabei bedienen sie sich genau der Schlupflöcher, über die sich Pierre-Paul, der frustrierte Kurierfahrer mit Doktortitel und ausgeprägtem sozialen Bewusstsein, sonst so aufregt.

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[In 12 Berliner Kinos; OmU: Bundesplatz, Cinema Paris, fsk, Hackesche Höfe Kino, Kulturbrauerei, Moviemento, Odeon, Rollberg]

Wie Sprachrohre für die Überzeugungen des Regisseurs setzen die Figuren immer wieder zu Reden über die Grundübel des Kapitalismus an. Unter diesen Lektionen leidet nicht nur die Dynamik des Films, sie verhindern auch, dass man mit diesen Robin Hoods von Montreal sympathisiert. Es bleibt einem ziemlich egal, ob der große Coup gelingt oder nicht.

Schlichtweg irritierend ist hingegen, wie der Film seine Frauenfiguren sexualisiert: nicht nur die Prostituierte, auch die lesbische Polizistin (Maxim Roy), die ihrem Partner (Louis Morissette) dennoch sexuelle Avancen machen muss. Ähnlich unzeitgemäß wirkt die Rollenverteilung in dem Film: Die schwarzen Darsteller spielen nahezu ausschließlich Gangster. Wenn Regisseur Denys Arcand darin ebenfalls Kritik an den Wirkungsweisen des Kapitalismus verpacken wollte, dann hat er diese Chance verpasst. Die Schieflage bleibt seltsam unkommentiert – trotz der ansonsten so auskunftsfreudigen Figuren.

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