zum Hauptinhalt
Summ. Bienenhonig ist lecker und medizinisch wertvoll. Das lehrt "Echo Mountain".

© Arne Dedert/dpa

Der stimmungsvolle Jugendroman "Echo Mountain": Wer nichts riskiert, verliert

Natur kann heilen und Ellie Leben retten: Die Heldin in Lauren Wolks Roman „Echo Mountain“ vertraut Honig, Maden und ihrem Dickschädel.

Jeder Beginn einer Geschichte ist ein Versprechen, doch der erste Satz von „Echo Mountain“ liest sich besonders verheißungsvoll: „Der Erste, dem ich das Leben gerettet habe, war ein Hund.“ Wo ein Erster ist, muss eine Zweite folgen, mindestens.

Genauso kommt es in Lauren Wolks wundersamen Roman auch, der zwei Heldinnen kennt: Ich-Erzählerin Ellie, die zwölf Jahre zählt, aber mehr Mut zu riskanten Entscheidungen als mancher Erwachsene hat. Und die wilde Natur der waldigen Berge im US-Bundesstaat Maine.

Die Sprache ist lyrisch, das Leben hart

Deren Schönheit schildert Wolk lyrisch und die Härten realistisch. „In unserem ersten Frühling auf dem Echo Mountain waren wir nass, schmutzig und müde und so ausgehungert wie die Tiere, die nach monatelangem Fasten aus ihren Winterquartieren kamen.“ Ellie und ihre Familie sind Siedler. Unfreiwillige Siedler, wenn man so will.

„Echo Mountain“ spielt 1934, mitten in der Weltwirtschaftskrise, die durch den Börsenkrach 1929 ausgelöst wurde. Ellies Vater, ein Schneider und Kunststicker, hat Geschäft und Haus verloren.

Ihre Mutter, eine Musiklehrerin, die Schüler. Um zu überleben, verlassen sie die Stadt und kaufen sich ein Stück Wildnis, auf der sie sich eine Blockhütte zimmern und als Selbstversorger leben wollen.

[Über die Entwicklungen in den USA nach dem Amtsantritt von Präsident Joe Biden informiert Sie unser USA-Newsletter: Washington-Weekly. Hier geht es zur Anmeldung.]

Für Ellies Mutter und Teenager-Schwester Esther ist der Absturz in die Armut eine Tragödie. Sie fürchten die Wildnis und vermissen ihr altes Leben in der Stadt. Ellie jedoch liebt Bäume, Kräuter, den Fluss, das Sternenzelt, die Bienen, Hunde, Wildtiere und lernt begierig alles, was sie und der Vater sie lehren.

Kühe melken, Angeln, Jagen, Gemüse jäten, Feuerholz sammeln, Kerzen ziehen, Seife kochen, Wäsche waschen – nicht gerade ein rosiges Leben. Zumal die Mutter die beiden Mädchen und den kleinen Bruder Samuel noch täglich in Lesen, Schreiben, Rechnen unterrichtet. Und doch ist der Echo Mountain Freiheit, zumindest bis zu dem Tag, als der Vater beim Baumfällen verletzt wird, ins Koma fällt und Ellie daran vermeintlich die Schuld trägt.

Die US-Schriftstellerin Lauren Wolk lebt auf Cape Cod.
Die US-Schriftstellerin Lauren Wolk lebt auf Cape Cod.

© Robert Nash

Während die ganze Familie in Schock, Trauer und Ratlosigkeit erstarrt, will Ellie, die medizinisch talentiert ist, den Vater unbedingt zurück ins Leben holen. Mit ihrer ganz eigenen Provokationstherapie und den Heilkräutern, die sie kennt: Balsamtanne, die bei Erkältungen und Wunden hilft. Springkraut gegen Vergiftungen. Berberitze gegen Skorbut. Senfpflaster für freie Lungen, Lehm gegen Bienenstiche, Essig gegen eiternde Schnittwunden.

Damit säubern die Mutter und sie regelmäßig Vaters Druckgeschwüre. Und als Ellie die alte Cate, die hoch oben am Berg lebt, und deren Enkel Larkin kennen lernt, bekommt sie eine weitere Patientin, die sich als heilkundige Krankenschwester entpuppt, und deren entzündetes Bein nur mit Hilfe von Maden, Bienenhonig und Essig zu retten ist.

Herzerwärmend und atmosphärisch

Erwachsene, die im Koma liegen, an lebensgefährlichen Infekten laborieren und unter schweren Verlusten leiden. Ein Kind, das unter einer vermeintlichen Schuld und einem realen Gewissenskonflikt ächzt. Das klingt nach deprimierender Kost. Und doch ist Lauren Wolk, die für „Das Jahr, in dem ich lügen lernte“ 2018 den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis erhielt, ein herzerwärmendes, atmosphärisches und optimistisches Buch gelungen.

Das liegt an der sinnlichen Sprache mit Sätzen wie „Ich lernte an jedem Tag so viel, dass ich dachte, ich müsste aufgehen wie ein Maiskorn im Kessel“ oder „Als ich in der Glut stocherte, reckten sich hungrige Flämmchen.“ Und vor allem am animistischen Touch, mit dem Ellie die Welt wahrnimmt. Selbst die Steine oder das Feuer sind beseelt.

Das Cover von "Echo Mountain".
Das Cover von "Echo Mountain".

© Carl Hanser Verlag

[Lauren Wolk: Echo Mountain. Aus dem Amerikanischen von Birgitt Kollmann. Carl Hanser Verlag, München 2021. 384 Seiten, 17 €. Ab elf Jahre]

Dass die Bienen, die sie beim Honig ernten stechen, am Verlust ihres Stachels sterben, erfüllt das Mädchen mit Trauer. Ebenso wie der Tod der Forellen, die Samuel und sie angeln. Und doch ist Ellie bereit, zu töten, um Leben zu erhalten. Sie drückt sich nicht, sondern riskiert, handelt und trägt die Konsequenzen. Weil Cates Wunde durch den Honig gereinigt werden soll. Weil die Familie Nahrung braucht.

Fürsorglich und sensibel sein und zugleich mutig und tatkräftig, das ist die Kombination, die auch Cate an Ellie fasziniert. Das Kennenlernen gleicht einem spröden, herzlichen Schlagabtausch des Kindes mit der Greisin, deren Retterin und Schülerin sie wird. Einssein mit dem Kreatürlichen, dem Körper, der Natur. Das ist es, was Menschen hilft, am Echo Mountain und anderswo.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false