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Kultur: "Der Stellvertreter": Als Monster wird keiner geboren

Ein grauenvolles Verbrechen, das jede Erfahrung und Vorstellung übersteigt, muss verhindert werden. Die Akteure haben ihr Werk bereits begonnen.

Ein grauenvolles Verbrechen, das jede Erfahrung und Vorstellung übersteigt, muss verhindert werden. Die Akteure haben ihr Werk bereits begonnen. Eine unabsehbare Zahl Unschuldiger soll in kurzer Zeit vernichtet werden. Die Frist läuft ab, jeder Augenblick zählt. Wer davon weiß und nicht alles tut, den Gang der Ereignisse zu stoppen, wird das Wissen um sein eigenes Versagen künftig nicht ertragen. Gibt es überhaupt noch ein Privatinteresse in schrecklichen Entscheidungs-Momenten wie diesen? Verfluchte Schreckenswelt, die aus mittelmäßigen Menschen Helden macht. Zum Helden wird man nicht geboren.

Die für Mittwoch geplante Premiere des "christlichen Trauerspiels", durch das der Dramatiker Rolf Hochhuth einst berühmt wurde, ist nicht ausgefallen. Das Berliner Ensemble erklärt angesichts der massenmörderischen Anschläge auf New York und Washington, der 11. September werde "als Mentekel in die Geschichte der Menschheit eingehen"; auch jene "Weltkatastrophe", von der Hochhuths "Der Stellvertreter" handele, habe "unser aller Geschichte und Leben bestimmt". Auch da gehe es um jene fanatische Menschenverachtung, die zur Katastrophe führe. Man werde, schreibt das Theater, die Einnahmen der ersten drei Abende den Opfern des Massakers zur Verfügung stellen. Darüber hinaus erfolgt verständlicherweise keine Bezugnahme der Aufführung auf das Thema des Tages. Allerdings spielt das Stück in einem vergangenen Jahrhundert, 1942 / 43 . Uraufgeführt wurde es 20 Jahre später, und müsste nun - ein schwerfälliges Dokudrama, das lediglich den Spielplan ziert, weil der Autor als Besitzer der BE-Immobilie darauf pocht - irgendwie in unserer Gegenwart ankommen.

Einen anderen Humor als Mel Brooks hat Hochhuth zweifellos. Gewiss wollte er, seinerzeit, aus Hitler und dem Holocaust keine sarkastische Komödie machen (wie jener Amerikaner in zweien seiner Filme und kürzlich am Broadway), sondern eine theatralische Anklage. Doch wird sein Verdienst, zu Beginn der 60er Jahre die Frage nach einer Verantwortung der Kirche für den Genozid aufklärerisch zugespitzt zu haben, leider durch die Qualität des Werkes beeinträchtigt. Riccardo, ein junger, adliger Jesuit aus Rom erfährt in Berlin von dem SS-Mann Gerstein Einzelheiten über die Massenvergasung der Juden; er überzeugt seinen Vater, einen Finanzier des Vatikans, das Gewicht der ethischen Herausforderung zu erkennen; vergeblich bedrängt er höhere Kirchenmänner, ja Pius XII. , sich offen gegen den Massenmord zu wenden - und fährt zuletzt selbst im Deportations-Waggon nach Auschwitz. Ein bewegener Faction-Plot; um so mehr fordern der rechthaberische Grundduktus und die eckige Bedeutungshuberei der Dialoge jeden Regisseur heraus, das Drama vor dem eigenen Autor zu retten.

Dennoch folgt den (vom Dichter im Parkett beleidigt kommentierten) sinnvollen Strichen des Regisseurs kein konsequenter letzter Streich. Philip Tiedemanns Kirchenfürsten treten nicht als billige Karikaturen auf, auch das ist vernünftig, seine lustigen Mundart-Nazis aber exekutieren vor allem gemütvoll die Banalität des Blöden. Er traut sich nicht, in der Schuldfrage die erinnerungspolitische Farce für Nachgeborene von heute zu erkennen. Zugleich schwankt die Inszenierung mutlos zwischen schwarzer Klamotte und Kleinem Fernsehspiel.

Hochhuths moralische Anstalt hat der Bühnenbildner Etienne Plus in enge Kastenräume gezwängt, die sich - wo die Szene auf Eichmanns Kegelbahn oder den römischen Grafenpalazzo wechselt - zur Hinterbühnentiefen erweitern. Imposante Zimmerlampen schweben damoklesgleich über den Amtspersonen, knallen beim Bombenangriff schon mal zu Boden. Während der Umbauten stehen vor einer Leinwand, auf der die Doku-Schreibmaschine den Ortswechsel protokolliert, die Helden. Sie werden von schillerschem Gerechtigkeitseifer getrieben: die historische Maulwurfsfigur des Kurt Gerstein gibt Michael Maertens als ungescheiteltes Nervenbündel zwischen Sendung und Irrsinn; Markus Meyers Riccardo ist ein jesuitisches Unschuldslamm, von irritierend realitätsferner Naivität. Welche Chance haben Idealisten im Karriereapparat der Killer oder der Kleriker? Die Grauton-Charaktere der Kirchenpolitiker zwischen Kalkül und besten Absichten erscheinen dem diplomatischen Pragmatismus unserer Tage vertrauter. Der gräfliche Vater (Roman Kaminski) zeigt die utopische Gestalt der zur Wahrheit bekehrten Autorität, der Pontifex (Hans-Michael Rehberg) verharrt in psychopathischer Machtfixierung.

Der letzte, in Auschwitz spielende Akt ist gestrichen. Stattdessen ein stummes Bild, schräge Streicherklänge. Unter den Augen des Papstes hatte sich Riccardo den gelben Stern an die Soutane geheftet; nun steigt er nackt in den gleißenden Todesschrein. So steht am Ende des Stückes über den moralischen Zwiespalt der Macht die Identifikation des schuldhaften Zuschauers mit den Opfern: ein sakralisierend inszenierter Erlösungstraum vom Seitenwechsel, durchaus passend zur Berliner Mahnmal-Republik samt Jüdischem Staatsmuseum. Die Frage indes, wie lang der Löffel sein muss, den Helden, nein Feiglinge wie wir brauchen, um mit dem Teufel zu essen, geht dabei verloren. Würden Sie unter Einsatz ihres Lebens den Untergang der Zivilisation verhindern? Erst die Nachgeborenen begreifen, dass aus Feiglingen Monster werden. Zum Monster wird man nicht geboren.

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