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Perspektivwechsel: Der Fotograf Klaus Frahm zeigt für sein Projekt „Die vierte Wand“ die Deutsche Oper von der Hinterbühne. 

© Klaus Frahm

Der „Ring“ in außergewöhnlicher Reihenfolge: Erst „Walküre“, dann „Rheingold“

Wagners „Der Ring des Nibelungen“ gilt als größte Herausforderung für ein Opernhaus. Die Deutsche Oper muss den Start ihrer Neudeutung verschieben - kein leichtes Unterfangen.

Laut einer Sage soll sich in Nürnberg einst ein Schmiedemeister geweigert haben, seinem Lehrling die Hand seiner Tochter zu geben - mit der Begründung, er sei ein Nichtsnutz. Der Lehrling fügte nachts ins Gitter des Schönen Brunnens auf dem Hauptmarkt einen gusseisernen Ring ein, so vollkommen, dass man keine Schweißnaht finden konnte, und verschwand für immer. 

Der Ring existiert bis heute, er ist eine Touristenattraktion, an ihm zu drehen, heißt es, bringe Glück. Abgesehen davon, dass man einen Menschen nicht vorschnell beurteilen soll, zeigt die Geschichte wohl auch: Nichts erfüllt so sehr die Sehnsucht nach Perfektion wie die gebogene, im Prinzip unendliche Form des Rings.

Auch in dem Ring, also dem von Richard Wagner, beginnt das Spiel nach dem Untergang der Götter von vorne. Theater jedoch ist nicht perfekt, sondern praktisch. Irgendwo muss das Spiel beginnen. Meist tut es das mit „Rheingold“, dem Vorabend. Dass dies jedoch nicht immer so sein muss, lehrt uns jetzt ein mikroskopisch kleines Virus.

Götz Friedrich und Bühnenbildner Peter Sykora haben in den 80er Jahren einen „Ring des Nibelungen“ auf die Bühne der Deutschen Oper Berlin gehievt, der mehrere Generationen von Operngängerinnen und -gängern geprägt und für immer verändert haben dürfte, wie sie Wagners Opus summum sehen: Als vorne am Orchestergraben riesige, sich nach hinten verjüngende und in der Unendlichkeit verlierende, selbst ringförmige Röhre. 

Premiere von „Rheingold“ für Juni angesetzt

Sie wurde oft als Zeittunnel interpretiert, eben weil das Geschehen sich schließt, nach „Götterdämmerung“ alles erneut beginnt - weil die Zeit aufgehoben ist. Es war nicht zuletzt die überwältigende Einheitlichkeit dieser Kulisse über vier Abende hinweg, die sich tief ins Gedächtnis gebrannt hat. 

Pünktlich zu Ostern 2017, nach der finalen Aufführung des Friedrich-Rings, wurde bekannt gegeben, wer die Nachfolgeproduktion inszenieren soll: der bayreutherfahrene norwegische Regiezauberer Stefan Herheim, einst Schüler Götz Friedrichs in Hamburg. Der Mythos würde weiterleben.

Doch einem Virus sind Mythen herzlich egal. Die Premiere von „Rheingold“ war für den 12. Juni terminiert. Mitte März verbot Kultursenator Klaus Lederer wegen der Corona-Pandemie alle Vorstellungen in Berlin. Das galt zunächst nur für Veranstaltungen mit über 1000 Personen und auch nur bis zum Ende der Osterferien.

„Damals waren wir noch frohgemut“, erzählt Operndirektor Christoph Seuferle, „dass es eben danach weitergehen würde.“ Auch wenn zu diesem Zeitpunkt bereits klar war, dass die Premiere von Rued Langgaards Oper „Antikrist“ am 21. März abgesagt werden musste. 

Ende März aber dämmerte es dann allen Beteiligten, dass der Lockdown nicht so schnell vorbei sein und also auch der „Rheingold“-Termin nicht zu halten sein würde. So kam es dann auch: Die Regelungen wurden verlängert, aktuell sind alle Bühnen in Berlin bis 31. Juli geschlossen. Mindestens.

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Damit war die ursprüngliche Planung Makulatur. Was tun? Wie verschiebt man einen „Ring“, der als die logistisch komplexeste, herausforderndste Aufgabe gilt, der sich ein Opernbetrieb stellen kann? Hört man Christoph Seuferle zu, dann klingt das erst mal gar nicht so kompliziert. Dann ist es vor allem eine Frage der Spielplan-Ökonomie. 

Denn natürlich wird nicht der komplette „Ring“ verschoben, sondern nur ein Teil davon: „Rheingold kommt später“, erklärt er. „Wir müssen dafür eine Premiere in der Spielzeit 2020/21 streichen.“ Welche das sein wird, kann er noch nicht verraten. 

Moment mal, heißt das, „Walküre“ wird vor „Rheingold“ über die Bühne gehen? Genauso ist es: Die Premiere von „Walküre“ ist weiterhin für den 27. September 2020 geplant.

So zwingt uns ein Virus zu erkennen, wie relativ alle Planungen, Termine, Notwendigkeiten sind. In Berlin kommt es jetzt so: Die Walküren werden die gefallenen Helden nach Walhall bringen, um den befürchteten Angriff von Alberich abzuwehren - und erst später erfährt man, warum der Nibelung eigentlich so sauer ist.

Und Wotan wird seine Lieblingswalküre Brünnhilde von Loge auf dem Feuerfelsen einschließen lassen, während sich der Feuergott in Persona erst 2021 vorstellt. Wirklich schlimm ist das nicht. Wenn ein Ring unendlich ist, kann man überall einsteigen. Die meisten kennen die Story sowieso. 

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Und ohne Pannen und Unterbrechungen ist der „Ring“ von Wagner selbst auch nicht geschrieben worden: Nach dem zweiten Siegfried-Akt legte er die Feder für immerhin zwölf Jahre beiseite, bevor er sich zur Weiterkomposition in einem dann ziemlich anderen Stil entschloss.

Das Bühnenbild zu „Rheingold“ ist komplett fertig gebaut. In den Opernwerkstätten am Ostbahnhof wurde auch in der Coronakrise weitergearbeitet, allerdings reduziert. „Erst nur mit 30 Prozent Belegschaft, inzwischen wieder mit 50 Prozent“, sagt Geschäftsführer Rolf Suhl. „Wir halten die Abstandsregeln ein, bei Transportarbeiten wird Mundschutz getragen, es gibt entzerrte Pausenzeiten.“ 

Am 18. Mai hätten die Kulissen angeliefert und das erste Mal auf der Bühne aufgebaut werden sollen. Jetzt kommen sie ins Außenlager. Auch für „Walküre“ sind die meisten Kulissen bereits produziert. Anders als beim Götz-Friedrich-„Ring“ sieht die Herheim-Inszenierung kein alle vier Teile zusammenklammerndes Bühnenelement wie den Zeittunnel vor. 

„Die Kostüme für Walküre bereiten uns allerdings noch Kopfzerbrechen“, so Suhl. Unter aktuellen Hygienebedingungen sei es nämlich unmöglich, Anproben durchzuführen. Trotzdem ist er zuversichtlich: „Zu schaffen ist das alles“. Ähnlich Christoph Seuferle: „Lamentieren bringt nichts. Ich bin grundsätzlich Optimist. Dieser Spuk wird irgendwann zu Ende sein.“

Für Sänger ist Premierenverlegung umstandslos möglich

Genau in diesem „irgendwann“ lauert allerdings auch das Problem: Alle Planungen sind vorläufig, die Lockdown-Regelungen können auch noch weiter verlängert werden. Die überstrapazierte Metapher der Stunde heißt „Fahren auf Sicht“. Man tut so, als würden die Bühnen im August wieder öffnen, wohl wissend, dass es auch anders kommen kann. 

Seit Kurzem können Beschäftigte in künstlerischen Betrieben auch in Kurzarbeit gehen. Zumindest was die „Rheingold“-Sängerinnen und Sänger angeht, ist eine Premierenverlegung recht umstandslos möglich. 

Sie werden zum neuen Termin kaum anderweitige Verpflichtungen haben, es handelt sich ausschließlich um Mitglieder des hauseigenen Ensembles, darunter Derek Welton als Wotan, Markus Brück als Alberich, Thomas Blondelle (Loge) oder Flurina Stucki (Freia). 

Die gastierenden Sängerstars (Lise Davidsen als Sieglinde und Nina Stemme als Brünnhilde) reisen erst zur „Walküre“ an - aber die soll ja planmäßig stattfinden.

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Trotzdem: Hat die Bedrohung durch das Coronavirus im August nicht nachgelassen und werden die Beschränkungen nicht aufgehoben, hat die Deutsche Oper - wie alle Opernhäuser - ein massives Problem. Sie sind nicht so flexibel wie Sprechtheaterbühnen. 

Dort überlegt man jetzt ernsthaft, Stücke umzuinszenieren, damit Schauspielerinnen und Schauspieler in ausreichendem Abstand auf der Bühne agieren können, und den Einlass zu limitieren. „Unser Publikum ist gar nicht die größte Herausforderung“, erklärt Christoph Seuferle. 

Das sind vielmehr Chor und Orchester, tragende Säulen eines jeden Opernhauses. Beide sind beim besten Willen nicht coronakompatibel: „So ein Horn hat nun mal starke Tröpfchenausscheidung.“

Wie auch immer, bis November 2021 müssten alle vier Premieren stattgefunden haben. Denn dann soll der gesamte Zyklus dreimal hintereinander aufgeführt werden. Läuft alles gut, wird man bis dahin gar nicht mehr merken, dass dieser Ring einmal zerbrochen war.

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