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Kultur: Der Pilspoet

Groß rausgekommen ist Manfred Maurenbrecher nie. Völlig egal. Er ist der Godfather der Berliner Kleinkunst

Bei jedem anderen Künstler wäre es ein Eingeständnis des Scheiterns. Bei ihm ist es Selbsterkenntnis: „Ich mache schon seit dreißig Jahren das Gleiche“, brummt Manfred Maurenbrecher, und es klingt große Gelassenheit aus seinen Worten. Der 57-jährige Liedermacher lehnt sich im Stuhl zurück, blickt mich aus braunen Augen an, schaut dann aus dem Fenster seines chaotischen Arbeitszimmers in der Wilmersdorfer Künstlerkolonie am Breitenbachplatz. Im Regal ein Dutzend Bücher über Bob Dylan, auf dem Teppich Textblätter, an der Wand das E-Piano, auf dem Maurenbrecher komponiert. Kater Kafka miaut mich mit an.

Maurenbrecher hat gerade sein 13. Album veröffentlicht. Es heißt schlicht „Glück“ und ist ein solides Stück deutscher Liedkunst. Nichts, was wehtut, kein Krawall. Aber ehrlich, persönlich, schwärmerisch, politisch. So wie Maurenbrecher es immer schon macht, seit er 1982 sein LP-Debüt gab. Damals setzte ihm seine Plattenfirma CBS einen Floh ins Ohr: Maurenbrecher, du kommst ganz groß raus, du wirst der neue Grönemeyer. Maurenbrecher glaubte zwar nicht dran, aber als Udo Lindenberg und der Konzertveranstalter Fritz Rau Arm in Arm bei einem seiner Konzerte im Quasimodo auftauchten, da wollte er es auch nicht ausschließen. Mitte der Achtziger schien sich der Erfolg auch einzustellen. Da verkaufte Maurenbrecher 25 000 Alben, und Rias und SFB spielten jeden Tag sein Tschernobyl-Stück „Halbwertzeit“.

Heute nennt Maurenbrecher die Jahre „meine verkrampfte Zeit“. Anfang der neunziger Jahre habe er beschlossen, dass der ganze Rummel nichts für ihn sei. „Ich habe mir gesagt: Ich werde Platten machen, in kleinen Clubs und auf Dörfern spielen. Das ist jetzt mein Leben.“

Vor wenigen Tagen hat Maurenbrecher in so einem Kaff gespielt. Im märkischen Zehdenick sitzt er mit rollenden Schultern und zuckendem Haarschopf am Flügel der Klosterscheune und hämmert die bemerkenswerteste Nummer seiner neuen CD in die Tasten: „Hemd auf, Brust raus.“ Ein Herr Rosenow spricht mit seinem Sachbearbeiter der Arbeitsagentur. Der Beamte demütigt ihn, den zukünftigen Hartz- IV-Empfänger. Doch Maurenbrechers Rosenow ist kein armes Schwein, sondern einer, der selbst am lautesten gegen die Sozialschmarotzer gewettert hat, ein „CDU-Wähler der ersten Stunde“. Als Maurenbrecher die achtminütige Nummer mit einem herausfordernden Blick in Richtung Zuschauer beendet, gibt es viel Beifall. „Ich bin ein altmodischer Marxist“, sagt er. „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“

Zugegeben: Als ich Maurenbrecher zum ersten Mal sah, hielt ich ihn für einen Radaubruder. Er ist nicht besonders schlank und auch nicht besonders gut frisiert. Keinesfalls ist er fein angezogen. Ein Charakterzinken ragt aus der Visage. Doch was sind das für läppische Kategorien: Schönheit, Style? Der Schriftsteller Jakob Hein schreibt über Maurenbrecher, dass er „einen der weitesten Langstreckenläufe in der Geschichte des deutschen Liedes“ unternommen habe. „Vollkommen frappiert, gänzlich überwältigt und ehrfürchtig stehen wir vor dem Liederberg, den dieser Mann mit achtlosen Händen in der Landschaft auftürmt.“

Tatsächlich hat Maurenbrecher mehr als 500 Lieder komponiert, hat für Klaus Lage, Katja Ebstein und Ulla Meinecke geschrieben, hat drei Bücher verfasst, den Deutschen Kleinkunstpreis und den Deutschen Kabarettpreis erhalten. Er ist im P.E.N.-Club und – als er mal dringend Geld brauchte – hat er Drehbücher für die RTL-Fernsehserie „Alarm für Cobra 11“ geschrieben. Außerdem diente er als Vorbild für eine Kurzgeschichte der Berliner Schriftstellerin Judith Hermann. Als rauchender Grantler steht er da im Garten seines Häuschens bei Angermünde. Maurenbrecher zählt zu den Gründern der Sonntagsinstitution „Reformbühne Heim & Welt“ und mit den Kabarettisten Bov Bjerg und Horst Evers bestreitet er das legendäre Mittwochsfazit im Mehringhoftheater. Er ist der Godfather der Berliner Kleinkunstszene. Neid auf die Generationskollegen Konstantin Wecker und Reinhard Mey, die groß rausgekommen sind, ist ihm fremd.

Seine neue CD hat Maurenbrecher selbst finanziert und rund die Hälfte der 14 Stücke mit einer kleinen, anständigen Band aufgenommen; doch meistens – und das sind die schöneren Lieder – sitzt er am Klavier, erzählt mit knarrender Stimme kleine Geschichten von der Liebe und davon, wie man trotz des Primats der kapitalistischen Verwertungslogik Mensch bleibt.

Manfred Maurenbrecher ist sensibel, wird nie sentimental. Seine Texte sind selten konkret und oft verklausuliert. Die Stimmung in den Songs: meistens Herbst, mal Frühling, Sommer nie. Einzig in „Dumm fickt gut“ geht es mal zur Sache. Weil er vor dem Sex nicht „geil!“ stöhnt, sondern Kant zitiert, erhält der Protagonist nur Abfuhren: „Dumm fickt gut, dumm fickt gut, du bist mir nicht dumm genug“, kratzt Maurenbrecher.

Überhaupt, diese Stimme. Nicht nur weil sie schürft, nach Barhocker, Pils und Zigaretten klingt, sondern weil Maurenbrecher einen kleinen Sprachfehler hat: Er lispelt, und das unterscheidet ihn dann doch von Tom Waits, mit dem man ihn oft vergleicht, und von Randy Newman, mit dem er viel lieber verglichen würde und dessen Stücke er in eigener Übersetzung spielt. Denn seit Maurenbrecher Waits mal im Theater des Westens gesehen hat, „wie er für die Berliner Politschickeria den Gossensänger mimte“, findet er den Mann „obszön“. So ein Absturz könnte ihm nicht passieren.

Maurenbrecher erzählt, wie er vor kurzem im Taxi saß. Der Fahrer wollte wissen, was er mache. „Liedermacher“, sagte Maurenbrecher. Ob man davon leben könne? – „Klar.“ – „Na, es muss auch Leute geben, die nicht arbeiten.“ Da hat Maurenbrecher gleich ein Lied geschrieben: „Ich hab das Jucken leicht gespürt im Nacken, hab mich nicht gerührt, und es ist Arbeit.“ Manfred Maurenbrecher: der Buddha unter den Liedermachern.

„Glück“ ist bei Reptiphon erschienen. „Mittwochsfazit“ im Mehringhoftheater, 6. bis 17. November, 20 Uhr.

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