zum Hauptinhalt
West-Frau tritt Ost-Mann. Katja (Emilie Neumeister) und Thorben (Ludwig Simon) im Frühsommer 1990.

© ImFilm/Jan Wagner

Der Nach- Mauerfilm "Niemandsland": Umziehen in Kleinmachnow

Liebe auf den ersten Rückübertragungsblick: Florian Aigners Kinodrama „Niemandsland“ erzählt von Teenagern aus Ost und West im Sommer 1990.

30 Jahre Mauerfall müssen auch ins Kino, alles andere wäre versäumte Zeitgenossenschaft. Fragt sich nur: um jeden Preis? Florian Aigners Teenie-Liebesfilm „Im Niemandsland“ fällt unter das Genre des Mauerfilms, wie auch der Anfang Oktober gestartete „Zwischen uns die Mauer“ von Norbert Lechner.

Dieses Genre ist bereits leicht ergraut. Es reicht von sentimentalen Mahn- und Aufklärungsstücken wie „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ mit Veronica Ferres bis zu großartigen, bleibenden Filmen wie „Sonnenallee“ oder „Bornholmer Straße“. Ein bleibender Ehrenplatz unter den Mauerfilmen gebührt auch dem polnisch-deutschen „Królik po berlinsku“ (Mauerhase) von 2008. Die Kaninchen waren immer der Auffassung, dass dieses Bauwerk allein zum Schutz ihrer legitimen Sicherheitsinteressen errichtet wurde.

„Im Niemandsland“ aber schafft es, das hat er mit „Zwischen uns die Mauer“ gemein, nicht so recht über eben diese Mauer. Leiter falsch gestellt? Natürlich handelt es sich bei der deutsch-deutschen Mauer um ein romantisches Bauwerk allererster Ordnung – das hat schon Udo Lindenberg mit seinem „Mädchen aus Ostberlin“ erkannt, später auch David Bowie mit „Heroes“.

Ein liebendes Paar, Todesstreifen. Romeo und Julia. Die Liebe ist stärker als der Tod? Mag schon sein, aber das Sentimentale ist immer schwächer, es trägt noch lange keinen ganzen Film. Der muss gewissermaßen Bild für Bild beweisen, was eine, sagen wir, selbstevidente Melodie einfach in den Himmel über Berlin schleudern darf.

West-Mann trifft Ost-Frau. So ist es wohl meistens gewesen. Doch Florian Aigners Spielfilmdebüt „Im Niemandsland“ kehrt das Prinzip um. Hier ist es das Mädchen, das – wie so oft im Kino – gegen jedes Anraten des Möglichen, Wirklichen und Vernünftigen das Unmögliche will: Thorben. Schon der Name. Auch kaum häufiger als Romeo. Aber im Unterschied zu seinem Namen zählt Thorben (Ludwig Simon) eher zum Allerwelts-Typus Cover-Boy. Wahrscheinlich wollte der Regisseur auf jeden Fall vermeiden, dass der Ostler irgendwie ostig wirken könnte.

Der Beton zwischen Zehlendorf und Kleinmachnow hat Löcher

Ludwig Simon trägt eine doppelte Individualitäts-Beweislast, aber er bevorzugt doch mehr die Gangart des Schaulaufens. Die gebürtige Dresdnerin Emilie Neumeister gibt ihrer 16-jährigen Katja aus Zehlendorf in der Tat alles Ungestüme, Zarte, Zweifelnde, was zu einer ersten großen Liebe gehört.

Eine Sonderstellung sichert sich „Im Niemandsland“ unter den Mauerfilmen: ein Liebesdrama vor offener Mauer. Im Frühsommer 1990 hat nicht nur zwischen Zehlendorf und Kleinmachnow der Beton riesige Löcher, schauen die Mauerhasen verunsichert ob des neuen, frechen Publikumsverkehrs. Eigentlich müsste die Geschichte hier zu Ende sein, bevor sie überhaupt begonnen hat. Die große Mauer ist zwar weg, aber andere, unsichtbare wachsen schnell nach.

Auf dem vor dem Haus in Kleinmachnow geparkten Zehlendorfer Agit-Prop-Wohnwagen steht sinngemäß, bunt beklebt, dass Thorbens Eltern ihr Haus nicht gehört. Die heutigen widerrechtlichen Bewohner: Stasi-Leute. So zumindest die forsche Behauptung von Katjas Bankervater (schwer dauerirritiert: Andreas Döhler): In Kleinmachnow wohnten ja nur Stasi-Leute. Er erklärt seiner Tochter, dass er hier die Kindheit verbrachte. Und da erscheint im Dachgeschoss blond und plötzlich: Thorben. Liebe auf den ersten Rückübertragungsblick.

Mit Siegern kannst du nicht verhandeln

„Rückgabe vor Entschädigung!“, lautete der Grundsatz des Einigungsvertrages. In Kleinmachnow waren rund 70 Prozent der Häuser und Wohnungen betroffen. Viele Bewohner verloren nicht nur ihr Zuhause, sondern so wie Thorbens Mutter auch ihre Arbeit. Ihr Kommentar zur neuen Zeit: „Mit Siegern kannst du nicht verhandeln.“ Dazwischen TV-Zeitdokumente, die man heute etwas anders sieht. Dieses Kapitel der Vereinigungsgeschichte mitten in der erinnernden Mauerfall-Euphorie aufzuschlagen, ist schon ein forscher Schritt. Leider bleibt es nur Vehikel der Katja-und-Thorben-Geschichte, letztlich plakativ, thesenhaft.

Die neuen unsichtbaren Mauern umgaben die Einzelnen gläsern und stumm. Sie standen zwischen den Menschen und ihrem eigenen Leben. Thorbens Vater ist Direktor der Bauakademie. Mehr erfährt man nicht, aber Zufall ist das nicht. Auch Bernd Grönwald, Direktor der Bauakademie und Hoffnungsträger in der DDR, war 1990 plötzlich eine Altlast und Abwicklungsbeauftragter der Akademie. Der Familienvater nahm sich ein Jahr nach der Wende das Leben. Solche Vereinigungsgeschichten sprengen jeden Romeo-und-Julia-in-Kleinmachnow-Rahmen.

[In den Kinos b-ware-Ladenkino (DFmenglU), Babylon, Brotfabrik, Filmkunst 66, Sputnik, Union Filmtheater]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false