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Vivienne Westwood provozierte

© REUTERS / Benoit Tessier

Ohne Höschen zur Queen: Modemacherin Vivienne Westwood gestorben

Die Britin war die Punkerin unter den großen Modeschöpfern. Nun ist sie mit 81 Jahren gestorben. Was sie so besonders machte.

Als Vivienne Westwood 2017 das letzte Mal Berlin besuchte, hatte sie auf dem Podium einer Modemesse nur eine Botschaft: „Konsumiert weniger!“

Die Designerin war nicht gekommen, um über ihre Mode zu sprechen, sich gar in retrospektiven Schleifen über ihr Lebenswerk auszubreiten. Nein, Dame Vivienne Isabel Westwood schaute in die Zukunft und wollte wie immer in ihrer Karriere auch die Welt retten.

Nun ist Westwood im Alter von 81 Jahren in London gestorben. Die Modewelt verliert damit eine ihrer schillerndsten und einflussreichsten Protagonisten.

Ihre größte Leistung als Designerin war erst das Kopieren, dann das Umwandeln, dafür bediente sie sich bei Malern aus allen Jahrhunderten.

So lange hat sie sich an der Vergangenheit abgearbeitet, hat sich in Archiven ihres Lieblingsmuseums, dem Victoria & Albert Museum in London vergraben, um alles über historische Schnitte herauszufinden.

Westwood holte das Korsett zurück, eine weiche, stützende Variante mit Reißverschluss, damit Frauen sie selbst öffnen können, arbeitete die berühmte Watteau-Falte, die man auf den Gemälden des englischen Malers oft sieht, in eine Jacke ein.

Falls es so etwas wie ein Anti-Establishment gibt, füttert es nur das Establishment.

Vivienne Westwood

In Satinmassen schwelgend, ließ sie ihre Models auf schwindelerregend hohen Plateau-High-Heels wie Fregatten über den Laufsteg schwanken, als sich die meisten anderen Designer in Paris dem Minimalismus verschrieben hatten.

Da blieb sie ihrer Punkattitüde treu, immer das zu machen, was gegen den Strich geht, auch wenn sie Ende der siebziger Jahre feststellte: „Falls es so etwas wie ein Anti-Establishment gibt, füttert es nur das Establishment.“

Als Teenager klebte sich Vivienne Isabel Swire Stoffmargeriten an ihre Ohrringe und scherte sich nicht darum, dass die Freundinnen in ihrem Heimatort Glossop in Derbyshire darüber spöttelten. Ihr gefiel’s.

Vivienne Westwood bei einer ihrer Schauen.
Vivienne Westwood bei einer ihrer Schauen.

© imago stock&people / imago stock&people

Mit 16 verließ sie die Schule, um an einer Kunstschule Kurse zu belegen, kam aber schnell zu der Überzeugung, dass die Kunst sie als Arbeiterkind nirgendwo hinführen würde, und ließ sich zur Grundschullehrerin ausbilden.

Als Vivienne, mittlerweile geschiedene Westwood, Mitte der sechziger Jahre Malcom McLaren traf, ließ sie sich von ihm mitreißen. Er interessierte sich brennend für alles Subversive, war immer auf der Suche nach der nächsten Provokation, die er vermarkten konnte.

Auf Schulter getragen. Die britische Modedesignerin Vivienne Westwood, 2018 fotografiert.
Auf Schulter getragen. Die britische Modedesignerin Vivienne Westwood, 2018 fotografiert.

© Ian West/PA Wire/dpa

Zusammen eröffnete das Paar 1972 in der Londoner King’s Road den Laden „Let it Rock“ und erfand passende Kleidung für den Punkrock. Drei Jahre später wurde er Manager der Sex Pistols, sie war diejenige, die T-Shirts zerriss, mit Sicherheitsnadeln zusammenflickte und mit provokativen Sprüchen versah. MacLaren war der Verstärker, der sagte: „Lass das so, das funktioniert.“

Sie war der Paradiesvogel und brachte im Latexkostüm den Londoner Verkehr zum Erliegen.

Es dauerte zehn Jahre, bis sich Vivienne Westwood nicht mehr als Teil des Projekts, sondern als richtige Designerin empfand. Bis dahin arbeitete sie sich an der Gegenwart, am Establishment ab.

Erst befestigte sie abgenagte Hühnerknochen auf einem Shirt, später, als über ihrem Geschäft in pinken Lettern SEX stand, schneiderte sie Latexkleidung, verkaufte Ledergeschirre und Korsagen.

Sie gehörte zu den herausragenden Designern der Zeit

Erst als der Laden Anfang der achtziger Jahre in „World's End“ umbenannt wurde, begann die eigentliche Karriere von Vivienne Westwood. Noch einmal zehn Jahre später gehörte sie mit Yves Saint Laurent, Karl Lagerfeld, Giorgio Armani, Christian Lacroix und Emanuel Ungaro zu den sechs herausragendsten Designern ihrer Zeit.

Huch. Vivienne Westwoods legendärer sliploser Auftritt 1992 am Kensington-Palast, als die Queen sie ehrte.
Huch. Vivienne Westwoods legendärer sliploser Auftritt 1992 am Kensington-Palast, als die Queen sie ehrte.

© Foto: Martin Keene/dpa

Eine „englische Rose“ wurde sie genannt, durchscheinend, aber mit eiserner Meinungshoheit über das, was getan werden muss: „Das Klima schützen!“ Alles andere war nicht mehr der Rede wert: Mode? „Pfff, überlegt euch, was ihr lange tragen wollt, investiert in gute Stücke, dann lasst uns die Regenwälder, die Arktis und Julian Assange retten.“

Zweimal wurde sie zur Designerin des Jahres gewählt, von Queen Elisabeth zum „Officer of the Order of the British Empire“ (OBE) geschlagen. Nach der Zeremonie lupfte sie den Rock, um zu zeigen, dass sie ohne Höschen unterm Kleid erschienen war.

Der steile Auftritt zementierte ihren guten Ruf als widerständige Frau. 2015 fuhr Westwood im weißen Panzer zum privaten Anwesen des damaligen Premierministers David Cameron, um gegen Fracking zu protestieren. Immer wieder betont sie, wie egal es ihr sei, ob sich ihre Sachen verkaufen, dass es nur wichtig sei, frei zu sein.

Und das war sie auch. Fast alle Designermarken gehören zu einem großen Konzern, Vivienne Westwood arbeitete auf eigene Rechnung. Vor mehr als fünf Jahren übertrug sie die Leitung ihrem Ehemann, seitdem heißt die Couturelinie „Westwood by Andreas Kronthaler“.

Als sie den Tiroler vor fast drei Jahrzehnten heiratete, war er 27, sie 52. Jahrzehnte lebte sie in einer Sozialwohnung in Clapham. Erst 2000 überredete ihr Mann sie, in ein Anwesen zu ziehen, das einst der Mutter von Captain Cook gehörte.

Lange noch lief sie selbst als Model, ließ sich nackt mit ihrem Mann fotografieren, zeigte ihre Weiblichkeit und sagte immer, was sie dachte.

All das gelang ihr mit einer schelmischen Contenance, die so vielleicht nur in Großbritannien möglich ist und wertgeschätzt wird. Selbst Theresa May trug als Premierministerin einen karierten Anzug von Vivienne Westwood.

Hinweis: Dieser Artikel ist eine aktualisierte Version eines älteren Textes.

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