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Venus mit Orgelspieler und Cupido. Tizian schuf das 148 mal 217 Zentimeter messende Gemälde um 1555, es gehört zur Sammlung des Prado in Madrid.

© Museo Nacional del Prado

Der Maler und sein Frauenbild: Tizians Faszination für das schöne Geschlecht

Eine Ausstellung in Wien untersucht das Frauenbild des Renaissance-Malers Tizian und seiner Zeit. Im Vorfeld gab es viel Kritik.

Wie immer man die Habsburger beider Hauptlinien – der österreichischen und der spanischen – in historischer und politischer Hinsicht beurteilen mag, als Mäzene und Sammler von Kunst stellen sie alle anderer Herrscherhäuser in den Schatten. Vom Reichtum ihrer Erwerbungen zeugen heutzutage zwei Weltmuseen, der Prado in Madrid und das Kunsthistorische Museum in Wien. Letzteres zeigt jetzt die Ausstellung „Tizians Frauenbild. Schönheit – Liebe – Poesie“. Rund einhundert Gemälde sind zu sehen, von denen ein erheblicher Teil aus der eigenen Sammlung stammt.

Der 1576 im Alter von fast 90 Jahren von der Pest dahingeraffte Tizian hat an die 650 Werke geschaffen; vor allem für die zahlungskräftigsten Auftraggeber. Seit 1533 führte er offiziell den Titel des Hofmalers Kaiser Karls V. Auf den ersten Blick hat „offiziöse“ Tizian nichts mit dem Maler schöner Frauen zu tun, als der er jetzt in Wien in schier überwältigender Opulenz vorgestellt wird. Und doch gilt es, diese Doppelrolle im Gedächtnis zu behalten. Denn Tizian und seine Kollegen malten Frauen für denselben Empfängerkreis, der Staatsportraits und repräsentative Altarbilder bestellte.

[Wien, Kunsthistorisches Museum, bis 16. Januar 2022. Katalog bei Skira, 39,95 €. Infos und Zeitfenstertickets unter www.tiziansfrauenbild.khm.at]

Die Ausstellung beginnt mit einem Saal voller Bildnisse schöner Frauen, „Le Belle Veneziane“, meist als Brustbild im Wohnzimmerformat. Neben dem Ebenmaß der Gesichter und der Fülle locker fallenden Haares besticht die Eleganz der Kleidung, deren Hauptzweck es zu sein scheint, die Makellosigkeit der freiliegenden Körperpartien zu unterstreichen.

Man hat aus diesem Grund in den Porträts lange Zeit Darstellungen von Kurtisanen der höheren Kreise sehen wollen, eine Interpretation, die die Kuratorinnen der Ausstellung unter Leitung von Sylvia Ferino-Pagden nunmehr beiseite wischen. Unter Verweis auf bislang unbeachtet gebliebene Literatur der Renaissance meinen sie, die vermeintliche Freizügigkeit der Bilder ganz im Gegenteil als Eheankündigung und Versprechen ehelicher Treue deuten zu können.

Im Vorfeld gab es deutliche Kritik

Das Thema kommt ohne Literatur und Poesie nicht aus, handelt es sich doch bei der Renaissance um eine literarisch und philosophisch überaus ambitionierte Epoche; man denke an die zahlreichen (Männer-)Bildnisse mit einem Buch als Ausweis ständiger Lektüre. Auch Frauen haben an höherer Bildung damals zunehmend Anteil und treten, wie die Ausstellung belegt, selbst als Autorinnen hervor.

Dass die Ausstellung schon im Vorfeld deutliche Kritik wegen einer angeblich konservativen Sicht in Gender-Fragen einstecken musste, hat mit der ungleichen Verteilung männlicher und weiblicher Diskursteilnehmer zu tun; nur lässt sich Geschichte nun einmal nicht rückwirkend auf heutige Maßstäbe trimmen.

Im Laufe des Ausstellungsrundgangs, wenn man schon fast schwindlig ist vor lauter Schönheit – sowohl der Dargestellten wie der Virtuosität ihrer malerischen Darstellung –, gelangt man in einen Saal voller Großformate, deren jedes einzelne bedeutend genug wäre, den Höhepunkt eines eigenen Raumes zu reklamieren. Hier aber sind nebeneinander angeordnet Venus und Amor, Nymphe und Schäfer, Diana und Kallisto, Venus mit Orgelspieler und so weiter, vor allem von Tizian und seiner Werkstatt, dazu von Tintoretto und Veronese, den beiden Nebengestirnen am künstlerischen Firmament Venedigs zu dessen Glanzzeit.

Die weibliche Schönheit überstrahlt alles

Hier spielen die von jedem Gebildeten der Zeit gelesenen „Metamorphosen“ des Ovid eine zentrale Rolle als Motivgeber. Im Katalog zur Ausstellung bezeifelt Charles Hope, früherer Direktor des rommierten Londoner Warburg-Instituts, allerdings den höheren Sinn der Frauendarstellungen: „Abgesehen von Porträts“, erklärt er, „werden Bilder normalerweise gekauft, weil der Besitzer sie schön und dekorativ findet, und nicht wegen ihres erbaulichen Inhalts.“

Das zeige sich beispielsweise an der berühmte Madrider Venus, die am Hof des auftraggebenden Philipps II. einst schlicht als „Nackte mit Landschaft und Satyr“ inventarisiert wurde. Und ausgerechnet der Orgelspieler in diesem Gemälde stiert dermaßen auffällig auf den Intimbereich der Venus, dass die zeitgenössischen Lobreden von der erotischen Stimulation schöner Kunstwerke sofort einleuchten. Es sind Bilder von Männern für Männer.

Aber es sind – das sei zur Ehre der Maler wie ihrer Mäzene gesagt – zugleich Bilder, die der Frau alle Attribute des Schönen und Ebenmäßigen zuordnen. Und nirgends blickt eine Frau von der Leinwand, der man nicht Bildung in jeder Hinsicht attestieren wollte. Leitmotivisch über dieser Meisterwerke-Schau steht ein Satz des Humanisten Pietro Bembo von 1530: „Und obwohl wir täglich viel Schönes sehen, überstrahlt die weibliche Schönheit alles.“

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