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In Berlin und in Sachsen-Anhalt sind Buchläden weiter geöffnet.

© Kitty Kleist-Heinrich

Der Literaturbetrieb und die Corona-Krise: Bücher in Zeiten der Ansteckung

Kreativität, Vernunft und Umsatzrückgänge: Wie Verlage, Handel und Literaturhäuser mit der Coronakrise und den Folgen umgehen.

Es ist jetzt stets die Zeit, kurz nach der Leipziger Buchmesse, (wenn sie stattgefunden hätte), in der die Verlage ihre Herbst-Vorschauen verschicken. Trotz der Coronakrise machen sie das im Moment größtenteils so, als sei das Jahr 2020 eines wie jedes andere.

Suhrkamp beispielsweise kündigt unter vielen anderen Büchern für den Oktober neue von Ralf Rothmann, Clemens Setz oder Leanne Shapton an, für den August gar ein weiteres von Annie Ernaux. Bei Luchterhand soll Sally Rooneys zweiter Roman „Normale Menschen“ im August erscheinen.

Oder im Oktober, erstmals auf Deutsch, „Aus der Welt“, das Ende der neunziger Jahre in Norwegen veröffentlichte Debüt von Karl Ove Knausgård. Auch Piper, Rowohlt oder Klett-Cotta haben per Mail schon ihre Vor-Vorschauen verschickt. Da stehen zum Beispiel bei Klett-Cotta im Herbst neue Romane des isländischen Autors Hallgrímur Helgason oder der letzte Teil der Weltkriegstrilogie des Prix-Goncourt-Preisträgers Pierre Lemaitre zur Veröffentlichung an.

All das vermittelt hoffnungsvoll, dass es eine Zeit nach der Pandemie geben wird; dass es weitergeht, dem Anschein nach wie gehabt.

Mancher Verlag verschiebt Buchveröffentlichungen in den Sommer

Doch haben natürlich auch die Verlage wie die gesamte Literaturwelt, Autorinnen und Autoren, Buchhandel oder Literaturhäuser, mit der Coronakrise zu kämpfen, mit den Maßnahmen, sie in den Griff zu bekommen, von den Absagen aller Lesungen und Großveranstaltungen bis zur Schließung der Buchläden, mit den Ausnahmen Berlin und Sachsen-Anhalt.

Kleinere Verlage trifft es naturgemäß härter als die mittelständischen und großen, zumal der Buchhandel sich gerade wegen der Schließungen im Netz umorganisiert.

So verkündete vergangene Woche der Schweizer Verlag Kein & Aber, seine für den April angekündigten Neuerscheinungen in den Mai und den Sommer zu verschieben, nicht zuletzt um den Buchhandel zu entlasten, ihm nicht neue Warenzugänge aufzubürden. Was die April-Auslieferungen anbetrifft, agiert der Kölner Dumont-Verlag ähnlich wie Kein & Aber, er hat diese ebenfalls in den Mai verschoben.

Der in Leipzig und Dresden ansässige Verlag Voland & Quist wiederum hat sich dafür entschieden, einen „Zweiten Frühling“ auszurufen und das gesamte Frühjahrsprogramm noch einmal im Herbst aufzulegen: „Wir gehen mit unseren jetzt aktuellen Frühjahrstiteln sowie zwei Ergänzungen in die Verlängerung, und möchten so einen ganzjährigen Fokus auf diese Titel legen“, heißt es auf der Website des Verlags.

Voland & Quist geht es nach der Absage der Leipziger Buchmesse ganz konkret um die Sichtbarkeit seiner Titel, zum Beispiel Ivana Sajkos „Familienroman“ oder Nora Gomringers „Gottesanbieterin“; darum, ihnen im Herbst die Aufmerksamkeit zu verschaffen, die sie gerade nicht bekommen können.

Bis zu 50 Prozent sind Bestellungen zurückgegangen

Auch beim Verlag Klett-Cotta in Stuttgart verschiebt sich trotz der verschickten Herbstvorschau einiges: „Einige Titel, die im Mai oder Juni erscheinen sollten, haben wir auf Termine im Sommer oder Herbst verschoben, so Kai Wielands zweiter Roman ,Zeit der Wildschweine’ oder Jonathan Aldreds Sachbuch ,Der korrumpierte Mensch. Von den ethischen Folgen wirtschaftlichen Handelns’“, sagt Verleger Tom Kraushaar. Und: „Die dadurch entstandene Ballung im Herbst haben wir durch ein, zwei Verschiebungen ins Frühjahr entzerrt.“

Dass die Pandemie wirtschaftliche Einbrüche zur Folge hat verhehlt Kraushaar nicht. Von den Frühjahrstiteln werden weit weniger als geplant bestellt, so gut die Netzauftritte mancher lokalen Buchhändler und Buchhändlerinnen sind, so sehr diese sich bemühen, aus ihren Webshops Bücher und auch E-Books an Leser und Leserinnen zu bringen: „Die Nachbezüge sind deutlich zurückgegangen – um mehr als 50 Prozent“, so Kraushaar.

Das bestätigt auch Joachim Unseld von der Frankfurter Verlagsanstalt (FVA), ohne Zahlen zu nennen: „Über die wirtschaftlichen Folgen kann ich noch nichts Definitives sagen. Ich befürchte allerdings Schlimmes für uns. Die Umsätze sind komplett eingebrochen“.

Und Jörg Sundermeier, Leiter des  Berliner Verbrecher Verlags sagt: „Wir betonen, dass man auf den unabhängigen Buchhandel im Kiez vertrauen soll, da viele sogar bis zur Haustür ausliefern. Aber: Auch diese Buchhandlungen können nur verkaufen, was sie verkaufen können. Die Umsatzeinbußen sind markant. Durch das sehr erfolgreiche letzte Jahr haben wir ein wenig Reserven, bei anderen Kolleginnen und Kollegen sieht es noch weniger gut aus.“

Das Grazer Literaturhaus veröffentlicht Corona-Tagebücher

Etwas optimistischer betrachtet Dumont-Verlegerin Sabine Cramer die Situation: „Da es die Größe unseres Programms erlaubt, relativ kurzfristig zu reagieren, konzentrieren wir uns momentan darauf, den Buchhandel zu unterstützen, wo uns dies möglich ist, unsere Kostenstruktur zu hinterfragen und genau zu beobachten, wie sich welche Absatzwege in den nächsten Wochen entwickeln.“

Tatsächlich verweisen gerade alle Verlegerinnen und Verleger auf den lokalen, den stationären Buchhandel. Da hatte es in den letzten Tagen schon diverse, von Verlagen initiierte Solidaritätsaktionen unter verschiedensten Hashtags gegeben, zum Beispiel von dtv mit „#supportyourlocalbookstore“ und „#buylocal“ oder von Kiepenheuer & Witsch mit „#findyourbookstore“.

Das ist auch vor dem Hintergrund wichtig, dass der Buchhandelsriese Amazon Bücher aktuell nicht mehr oder nur nachrangig ins Lager nimmt. Verlage wurden von Amazon informiert, dass „vorübergehend Haushaltswaren, Sanitätsartikel und andere Produkte mit hoher Priorität“ bevorzugt behandelt würden.

Das alles hat schließlich nicht zuletzt für die Autorinnen und Autoren Auswirkungen, insbesondere für die, deren Bücher gerade veröffentlicht worden sind.

„Die wichtigsten Titel sollten auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt werden – das müssen wir nun anders organisieren“, sagt Sundermeier. In allen Verlagen dürfte es da gerade so zugehen wie bei Kiepenheuer & Witsch, deren Medienabteilung mitteilen ließ: „Der Kommunikationsbedarf ist gerade extrem hoch, alle sind permanent in Telefonkonferenzen.“

Dieses andere Organisieren der Werbung von neuen Titeln verläuft vornehmlich digital, in den Social-Media-Kanälen, aber auch im Radio. Es gibt Lesungen bei Facebook und Instagram, es werden wie gehabt Titel einfach so per Bild beworben, es beantwortet Maxim Biller, der ebenfalls ein neues Buch draußen hat (wenn auch mit alten, schon in diversen anderen Bänden von ihm erschienenen Geschichten), Fragen zu eben diesem Buch. Oder die Autoren der Frankfurter Verlagsanstalt empfehlen unter dem Hashtag „#bücherfürdiequarantäne“ Bücher „für die Zeit in den eigenen vier Wänden“.

Ende der Woche erscheint ein Corona-Buch von Paolo Giordano

Auf Kreativität und Selbstorganisation kommt es dieser Tage für den Betrieb an. Dabei stehen die Literaturhäuser nicht zurück. Das Berliner Literaturhaus stellt unter dem Titel „Li-Be in Zeiten von Corona“ alle seine gewissermaßen vor leeren Rängen stattfindenden März- und April-Veranstaltungen ins Netz, unter anderem steht da Hölderlins ganzer „Hyperion“, gelesen von Nico Bleutge, Nora Bossong, Max Czollek, Björn Kuhligk, Kat Kaufmann sowie einigen anderen.

Und in der Schweiz und in Österreich hat man erkannt, dass die Krise selbstredend ein Stoff für die Literatur ist und sein wird. Das Grazer Literaturhaus veröffentlicht „Corona-Tagebücher“ von Autoren und Autorinnen wie Bettina Balàka, Benjamin Quaderer, Kathrin Röggla, Thomas Stangl, Birgit Birnbacher, Valerie Fritsch, Monika Helfer und vielen mehr. Auch das Aargauer Literaturhaus publiziert Corona-Tagebücher von Peter Stamm und Dorothee Elmiger und hat überdies Autoren gebeten, einen Corona-Fortsetzungsroman zu schreiben.

Die einzige Vorgabe pro Fortsetzung ist ein Wort, das jeder wie einen Staffelstab an die Nachfolgenden gibt. Ja, und das erste Buch über die Krise gibt es ebenfalls schon. Es erscheint Ende der Woche als E-Book, ein paar Tage später gedruckt, bei Rowohlt, geschrieben hat es der italienischen Autor Paolo Giordano.

Das Buch heißt „In Zeiten der Ansteckung“; Giordano bezeichnet es als „ein unerwartetes Buch in unerwarteten Zeiten“. Und: „Seit die Ansteckung begann, hatte ich das Bedürfnis zu schreiben.“ Wie schreibt es Peter Stamm in seinem Tagebucheintrag von Dienstag, dem vielen Endzeit- und Untergangsgerede zum Trotz: „Schon jetzt setzt die Krise viel kreatives Potential frei, und wenn sie einmal ausgestanden ist, wird es noch viel mehr sein.“

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