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Ein Restaurantbetreiber vor seinem zerstörten Lokal in Beiruts Trendviertel Mar Mikhael

© Patrick Baz/AFP

Der Libanon, die Kunst und die Literatur: "Ich fühle, dass alles explodieren kann", hieß es bei Born

Hier Rabih Mroué oder Walid Raad, dort die deutschsprachige Literatur: Der Libanon ist nahe, und die Gewalt in Beirut prägt auch die Kunst.

Wir beziehen unsere Bilder und Geschichten aus Millionen Quellen. Wir sind mit Informationen überfüttert, wir werden bombardiert: Du siehst alles und nichts zugleich.“ Das hat einmal der auch in Berlin gut bekannte libanesische Künstler Rabih Mroué gesagt.

Er bezog sich auf eine Arbeit, die er 2012 auf der Documenta in Kassel zeigte – Aufnahmen aus Syrien. Demonstranten, Heckenschützen, beginnender Bürgerkrieg. Alles und nichts zugleich sehen: So sind die Empfindungen beim Betrachten der Bilder aus Beirut. Der Hafen weggesprengt, die Innenstadt verwüstet, die Zahl der Opfer gar nicht auszudenken.

La Quarantaine heißt ein Viertel am Hafen der libanesischen Hauptstadt. In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren haben sich dort Galerien und andere kulturelle Institutionen niedergelassen. La Quarantaine – ein bitterer Name in einer Stadt, die hart von der Pandemie getroffen ist. In einem Land, das wirtschaftlich am Boden liegt, keine Reserven mehr hat.

Zuletzt näherten sich Michael Kleeberg und Rainer Merkel dem Libanon

Die in dem kleinen, zerrissenen Staat virulente Gewalt prägt die Kunst. Walid Raad, ein anderer international erfolgreicher Performancekünstler, hat sich vor Jahren mit der Geschichte der Autobomben beschäftigt, sie sind im Libanon ein Trauma. In einem Land voller Traumata.

Eine unfassbare Menge Ammoniumnitrat fliegt in die Luft. So etwas kann sich keiner ausdenken für einen Ort, der immer schon die Fantasie entzündete. Liberal, weltoffen, schick, westlich – das war der Libanon nach dem Zweiten Weltkrieg.

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Seit den siebziger Jahren, man erinnert sich an Nicolas Borns Roman „Die Fälschung“, der von Volker Schlöndorff verfilmt wurde, fühlten sich deutsche Literaten von dem schmalen Küstenstreifen angezogen, auf dem die Welt sich tummelte. Und das ist heute noch so. Syrien, Iran, Israel behaupten im Libanon ihre Interessen.

Zuletzt haben sich die Schriftsteller Michael Kleeberg („Das Tier, das weint. Libanesisches Tagebuch“) und Rainer Merkel („Stadt ohne Gott“) dieser Weltgegend genähert, gut vier Flugstunden von Berlin entfernt.
Das zeigen die Reaktionen: Der Libanon ist uns nah, vor allem auch kulturell. Rabih Mroués Geschichten drehen sich fast immer um Krieg und Terrorismus, Märtyrer, Mordopfer.

Die Gewalt in der Stadt prägt auch die Kunst

Die apokalyptische Explosion im Hafen von Beirut könnte ein Unfall gewesen sein. Aber es wird nicht an Verschwörungstheorien fehlen. Es wird Spekulationen geben in jeder Form. So ist der Mensch im Angesicht einer solchen Katastrophe, in einem Land, wo Katastrophen nicht die Ausnahme sind, sondern schon die historische Regel. Wir soll man da einen klaren Kopf bewahren? Wenn der irre Donald Trump sogleich von einem Anschlag spricht. In Nicolas Borns „Fälschung“ verzweifelt ein Reporter an der Wirklichkeit, genauer: an der Wirklichkeit, die die Reportagen aus Kriegen und Katastrophengebieten herstellen. Er fühlt sich tragisch deplatziert, überfordert, dann wieder gut in Form und tödlich routiniert.

An diesen Erzählungen – oder Narrativen –, den journalistischen, propagandistischen, mytholgischen, arbeiten sich die polyglotten Künstler aus Beirut von jeher ab. Was in den Lagerhallen am Hafen geschah, und warum, wer dafür verantwortlich sein könnte – die Behörden stehen vor einem unüberschaubaren und vermutlich auch noch in den Nachwirkungen hochexplosiven Szenario. . „Hier ist es ruhig nach unserer Ankunft, aber ich fühle, dass alles Ruhige und Beruhigte jederzeit – das hat auch mit Dir zu tun – explodieren kann“. Das schreibt Borns Journalist in einem Brief an seine Frau. Es ist das Jahr 1976, in Beirut herrscht Bürgerkrieg.

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