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Meister-Agent. Günther Bachmann (Philip Seymour Hoffman) operiert in Hamburg als Chef einer Antiterror-Einheit des deutschen Geheimdiensts.

© Senator

Der letzte Film mit Philip Seymour Hoffman: "A Most Wanted Man": der große Unsichtbare

Der Drogentod von Philip Seymour Hoffman im Februar ist unvergessen. Nun kommt "A Most Wanted Man", der letzte Film mit dem Ausnahmeschauspieler, ins Kino: Anton Corbijns Agenten-Thriller nach einem Roman von John le Carré.

Als Philip Seymour Hoffman Anfang Februar in seiner Wohnung im New Yorker Greenwich Village tot aufgefunden wurde, eine Heroinnadel im linken Arm, war das Entsetzen in der Filmwelt groß. Es galt zunächst den spektakulären Umständen des Ereignisses. Es galt jenen nicht seltenen Lebensdramen außergewöhnlicher Menschen, deren Sucht nach Intensität irritierend unabweisbar in Todessehnsucht übergeht. Es galt dem schmerzhaft plötzlichen Verschwinden eines großen, erst 46 Jahre alten Schauspielers. Und, nahezu physisch fassbarer Virtualverlust, all den fantastischen Filmen, die es nun nicht mehr geben würde, jenem Ungeborenen an Ideen und Figuren, das Philip Seymour Hoffman mit jeder neuen Rolle in etwas zutiefst Erwachsenes verwandelte.

Ein halbes Jahr nach der schockierenden Todesnachricht ist Philip Seymour Hoffman nun, weil das Medium Film seine Protagonisten so segensreich unsterblich macht, in seiner letzten Hauptrolle zu sehen – in Anton Corbijns stillem Thriller „A Most Wanted Man“, gedreht in Hamburg und Berlin im Herbst 2012. Im November dieses und nächsten Jahres gehört Hoffman zum Cast zweier Fortsetzungen von „Die Tribute von Panem“, als Spielmacher Plutarch Heavensbee; aber da gibt er, wie zuvor bei seinen gelegentlichen Blockbuster-Ausflügen, nur eine Nebenfigur in einem Industrieprodukt, eine Hollywood-Marionette.

Der deutsche Titel der Le-Carré-Vorlage: Marionetten

„Marionetten“ heißt, durchaus treffend, der deutsche Titel von John le Carrés 21. Roman „A Most Wanted Man“, auf dem Corbijns recht werktreue Verfilmung beruht. Der 2008 erschienene Agenten-Thriller siedelt in einem Milieu, in dem jeder jeden für eigene Zwecke benutzt, die Geheimdienstler die Verdächtigen und die nationalen und internationalen Geheimdienstler ungeachtet aller Hierarchien die konkurrierenden Geheimdienstler, bis sich der politische Hintergrundwille in nebelhafter Abstraktion verliert. Wer Fäden in der Hand zu halten meint, hängt selber am Faden; ja, nicht eine einzige Figur in dem Machtgeflecht, das Corbijn filmisch so souverän zusammenknüpft, handelt autonom.

Philip Seymour Hoffman spielt Günther Bachmann, den einsamen, erfahrenen, desillusionierten, wortkargen Chef einer abseits üblicher Abteilungen operierenden Antiterror-Einheit des deutschen Geheimdiensts; einen Kettenraucher, Whiskytrinker, der schon mal nach Feierabend in Hamburger Spelunken wie dem „Silbersack“ zu versacken scheint und doch alles im Griff behält. In dieser letzten Rolle sieht Hoffman nicht blasser, nicht fertiger aus als sonst – vom neurotischen Solipsisten in Todd Solondz’ „Happiness“ (1998) bis zum manischen Menschenverbieger in „The Master“ (2012). Allenfalls seine Stimme, die er stets lakonisch einsetzt, wirkt leise heiserer, und sein Blick, wenn es nötig wird, noch beunruhigender leer. Aber auch das passt zur Ausformung einer Figur, die sich dienstlich stets so unsichtbar wie möglich macht.

Hamburg: Graffiti-Fassaden und Straßen voller Müllsäcke

Bachmanns neuer Fall: In Hamburg klettert ein bärtiger Tschetschene, der sich Issa Karpov (Grigori Dobrygin) nennt, abgesprungen von einem Schiff, ans Elbufer. Sofort gerät er ins Fadenkreuz der noch von der Mohammed-Atta-Panne traumatisierten Überwachungsbehörden: Ein zweites 9/11 darf keinesfalls mehr von deutschem Boden ausgehen. Im schmuddeligen Weichbild der Stadt, hinter Graffiti-Fassaden und in Straßen voller schwarzer Müllsäcke, wird Karpov von einer türkischen Familie aufgenommen und alsbald von Annabel Richter (Rachel McAdams) unterstützt, der jungen Anwältin eines Asylbewerber-Hilfevereins. Wurde er, wie er behauptet, gefoltert in russischen und türkischen Gefängnissen? Warum sucht er Kontakt zu einer Bank, bei der Millionen auf den Namen seines Vaters deponiert sind? Plant er einen Anschlag? Aber bestimmt doch! Und wer sind seine Hintermänner?

Zeitgemäßer könnte die kollektive Paranoia-Grundierung von „A Most Wanted Man“ kaum sein. Weniger weil der Film punktgenau am 11. September startet, sondern weil mit neuen Dschihadisten-Festnahmen, dem soeben begonnenen Salafisten-Prozess und absonderlichen Phänomenen wie der Scharia-Polizei das mittelöstliche Kriegsfieber immer feiner auch in Deutschland messbar wird. John le Carré mag seinen Plot damals nach zwei ausführlichen Gesprächen mit dem jahrelang in Guantánamo inhaftierten Türken Murat Kurnaz gefunden haben. Vor dem aktuellen Hintergrund der deutschen Waffenlieferungen an die Kurden und der Rekrutierung fanatisierter deutscher Söldner durch die IS-Terrorarmee aber wirkt Corbijns Film wie ein scharf eingeworfener Kommentar: gegen hysterische Überreagierer, gegen dumme Dingfestmacher zur Unzeit, die sich zum Schaden wirksamer Aufklärungsarbeit bloß als Powermänner vom Dienst inszenieren.

Dabei wirkt „A Most Wanted Man“ als Beitrag zum Genre stilistisch wohltuend retro, ja, bewusst altmodisch. Weit weg etwa vom ausbelichteten Spektakel-Folterblick in Kathryn Bigelows thematisch verwandtem „Zero Dark Thirty“ (2012); im Verzicht auf plakative Action eher ähnlich reduziert wie Tomas Alfredsons „Dame König As Spion“ (2011), auch dies einer der zahlreichen Le-Carré-Filmstoffe, oder auch so durchdringend analytisch wie Benjamin Heisenbergs „Schläfer“ (2005). Keine einzige Knarre wird gezückt in diesem Film, Verfolgungsjagden geschehen allenfalls kurzatmig zu Fuß, und beim Autofahren bleiben immer genug Filmsekunden zum korrekten Anlegen des Sicherheitsgurts. Mag sein, dass dieser so brisant-brillante, scheinbar gemächliche Film es deshalb in den USA nur auf 15 Millionen Dollar Umsatz brachte, bei für amerikanische Verhältnisse bescheidener dreistelliger Kopienzahl.

Bachmann sagt: "Verhaftungen sind kontraproduktiv"

Die mission impossible, der sich Geheimdienstmann Günther Bachmann verschreibt, bleibt allemal aufregend genug. Im Roman klingt sein Credo so: „Verhaftungen sind kontraproduktiv. Sie zerstören eine wertvolle Anschaffung.“ Im Film versucht er es in Meetings mit nervösen Vorgesetzten per Metapher: „Mit kleinen Fischen fängt man Barrakudas, mit Barrakudas fängt man Haie.“ Also bringt der coole Stratege die Anwältin Annabel ebenso in seine sanfte Gewalt wie den Hamburger Privatbanker und Geldwaschanlageberater Thomas Brue (nobel: Willem Dafoe) und hat dabei stets das größere Ganze im Blick. Wenn nur die Hohlköpfe an den Hebeln dieser Welt nicht überall immer bloß Räuberschach spielen würden.

Unsentimental, unpathetisch, wunderbar abgeregelt und zugleich voller Energie wirkt „A Most Wanted Man“ – von den gegenüber dem Roman fein reduzierten erotischen Elementen bis hin zum durchdringend diskreten Soundtrack von Herbert Grönemeyer (der auch eine Mini-Rolle als Berliner Obermufti der Agenten spielt). Am stillsten und stärksten aber in und über allem bleibt: Philip Seymour Hoffman. In der Originalversion, in der Nina Hoss und Daniel Brühl als Mitglieder in Bachmanns Team dienstlich ein schön eingefärbtes deutsches Englisch sprechen, wiederholt er einmal das Selbstverständnis einer strebsamen CIA-Agentin (Robin Wright) – George W. Bushs Phrase to make the world a better place. Da geht ein Lächelgewitter über sein Gesicht, so kurz und kalt und winzig, wie es nur ein Philip Seymour Hoffman herbeizaubern konnte.

Ab Donnerstag in 13 Berliner Kinos; Originalversion im Cinestar SonyCenter; OmU im Kino Hackesche Höfe, Neues Off, Kulturbrauerei und Odeon

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