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Das Cover von Baltscheits "Der kleine Prinz feiert Weihnachten"

© Karl Rauch Verlag

„Der kleine Prinz feiert Weihnachten“: Nicht nur zur Weihnachtszeit

Saint-Exupéry vereint in "Der kleine Prinz" Poesie und Philosophie. Martin Baltscheit hat die Geschichte weitergedichtet. Die Literaturkolumne "Fundstücke".

Alle Jahre wieder kommt Weihnachten „Der kleine Lord“ im Fernsehen. Irgendwie ist die Geschichte mit dem blonden herzerweichenden Enkel und Alec Guinness als steinhart grantigem, später dahinschmelzendem Großvater wohl für alle Generationen unverwüstlich. Und „Der kleine Prinz“?

Auch der ist ja ein Knabe im goldigen Haar. Freilich ein Sternenkind und für alle Jahreszeiten. Doch nun hat der 53-jährige Düsseldorfer Autor und Zeichner Martin Baltscheit die berühmte Erzählung von Antoine de Saint-Exupéry einfach weitergedichtet. Baltscheits von ihm selbst hübsch illustriertes Buch heißt „Der kleine Prinz feiert Weihnachten“ (Karl Rauch Verlag, Düsseldorf, 96 Seiten, 15 Euro). Diesmal gibt es keinen Ich-Erzähler, aber wie schon beim 1943 erschienenen Original fällt das Sternenkind plötzlich vom Himmel. Heute jedoch nicht in der afrikanischen Wüste neben dem dort notgelandeten Flieger und Erzähler Antoine de S.-E., sondern auf einem winterlichen deutschen Hinterhof, kurz vor Weihnachten. Neben einer Krähe mit einem „Hungerbiest“ im Bauch, das am liebsten frische Adventsplätzchen frisst. Was es daraufhin mit dem Bäcker, den Mülltonnen, dem Weihnachtsmarkt und einem Weihnachtsmann, den der kleine Prinz erst für seinen verkleideten alten Freund Antoine hält, so alles auf sich hat, das liest sich ganz amüsant. Und soll so wenig verraten wie Geschenke am heutigen 4. Advent auch noch nicht geöffnet werden.

Für Leserinnen und Leser von 9 bis 99

Dennoch, kann das gut gehen: ein Sequel dieses vor 75 Jahren mit zunächst bloß ein paar Hundert und dann allmählich mit über 140 Millionen Exemplaren verkauften Märchens der Extraklasse? Der originale „Petit Prince“ bewahrt bis heute seine Geheimnisse. Eines ist die bis zum Ende rätselhafte, also wunderbare Herkunft des Prinzen. Er ist vom Himmel gefallen: von jenem Asteroiden B 612, den 1909 ein türkischer Astronom entdeckt habe, was von der Wissenschaftsgemeinde erst 1920 anerkannt wurde, als der Türke keinen Fez und keine Pluderhosen mehr trug. Eine Fiktion, in der Saint-Exupéry mit Anspielung auf die Säkularisierung durch Kemal Atatürk ganz beiläufig auch eine politische, zeitgeschichtliche Note anklingen lässt.

Das leitet schon über zum zweiten Geheimnis. Denn „Der kleine Prinz“ ist mit seinem tagträumerisch romantischen und zugleich realistischen Ton ein Buch tatsächlich für Leser von 9 bis 99. Weil es auf magisch leichte Weise Poesie und Philosophie, Schwermut und eine schier überirdische Liebenswürdigkeit verwebt. Was jetzt den Unterschied ausmacht zwischen Martin Baltscheits sympathisch bemühter Fortsetzung und dem ersten Geniestreich.

Kinderwelt und René Magritte

Wo Saint-Exupéry souverän voraussetzungslos einsetzen kann, muss Baltscheit erst mal dransetzen, erklären, sich ins Eigene hineinschreiben. Die kleine Krähe wird als neuer Prinzenfreund vergleichsweise konventionell ausgemalt, während Saint-Exupéry nur witzig das Motiv der eigenen (ungenügenden) Zeichenkunst umspielte. Dem Erzähler war als Kind einst das Sujet „Riesenschlange hat einen Elefanten verschlungen“ zu einer schwarzen Linie mit einer dunklen Wölbung in der Mitte geraten. Worauf das Kind die Erwachsenen fragt, ob sie nicht Angst hätten vor seinem Schlangenbild. Und die dummen Erwachsenen sagen: „Warum sollen wir vor einem Hut Angst haben?“

Da hat man schon beides, die Kinderwelt und – sagen wir: René Magritte. Kurz darauf folgt eine der schönsten Szenen der modernen Weltliteratur. „Bitte zeichne mir ein Schaf“, wünscht sich der kleine Prinz als Erstes von seinem Erzähler. Und das Wunderbare nimmt seinen Lauf. Hier im Weihnachtsprinzenbuch folgt erst später die Bitte, ihm eine rote Rose zu malen. Das ist dann epigonal. Und die spätere Kritik am heutigen Weihnachtskommerz leider banal. Zum überladenen Ende hin taucht sogar Saint-Exupéry geisthaftig auf – und mag die Leser so immerhin wieder zum Original verführen. Das gibt’s in Hans Magnus Enzensbergers Übersetzung als Taschenbuch (dtv, München, 128 Seiten, 5,95 Euro). Nicht nur zur Weihnachtszeit.

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