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Deserteur Herold (Max Hubacher) errichtet in den „Bloodlands“ des Krieges ein brutales Regime.

© Weltkino

"Der Hauptmann" im Kino: Mörder mit Kindergesicht

Eine düstere Köpenickiade im Zweiten Weltkrieg: „Der Hauptmann“ von Robert Schwentke.

Kleider machen Leute, Uniformen verleihen Macht. Wer befehlen kann, wer gehorchen muss, das ist im Krieg eine Frage der Schulterstücke. Von ihnen kann das Leben abhängen, das Überleben. Robert Schwentkes Film „Der Hauptmann“ beginnt mit Szenen einer Treibjagd. Betrunkene SS-Männer hetzen einen Deserteur, schießen, einer bläst wie zum Halali in eine Trompete, und der Anführer brüllt: „Wo ist denn mein Schweinchen?“ Der Deserteur kann sich in ein Wäldchen retten. Am nächsten Tag findet er in einem verlassenen Wehrmachtswagen eine Hauptmannsuniform, frisch gebügelt, mitsamt Orden und Ehrenzeichen. Der Deserteur zieht seine Gefreitenkluft aus und verwandelt sich in einen Offizier. Seine Rettung, eine Selbstermächtigung.

Vor dem Außenspiegel probt er seine neue Rolle, wie ein Schauspieler, der sich auf ein Casting vorbereitet. Er improvisiert eine Ansprache, klemmt sich ein Monokel in sein Auge, schnarrt: „Na sagen Sie mal, was fällt Ihnen ein?“, jongliert mit Äpfeln und singt Lilian Harveys Schlager „Das gibt's nur einmal, das ist zu schön, um wahr zu sein.“ Bis sich hinter ihm ein hackenschlagender Landser aufbaut: „Melde gehorsamst, habe meine Einheit verloren und bitte, mich dem Hauptmann unterstellen zu dürfen.“

Vom Schornsteinfeger zum Massenmörder

So – oder so ähnlich – begann die Geschichte der „Kampfgruppe Herold“. Der ehemalige Schornsteinfegerlehrling Willi Herold, 19 Jahre alt, errichtete wenige Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs im April 1945 mit seinen Leuten im nordwestdeutschen Emsland ein Schreckensregiment der letzten Tage. Vom sympathischen Hochstaplertum, das Heinz Rühmann als „Hauptmann von Köpenick“ verkörpert, ist bei diesem Opfer, das zum Täter wird, nichts übrig. Max Hubacher spielt Herold als Mörder mit Kindergesicht. Unter den Landsknechtsfiguren, die sich ihm anschließen, sind Frederick Lau, der gerne mit bloßen Händen tötet, und Milan Peschel, ein Zwangscharakter, der hinter seinen weit aufgerissenen Augen noch ein Stück Restanständigkeit aufzubewahren scheint.

„Der Hauptmann“ spielt in einer kargen apokalyptischen Winterlandschaft, die an von dem amerikanischen Historiker Timothy Snyder beschriebene „Bloodlands“ in Polen, Weißrussland und der Ukraine erinnert. Wo die staatliche Ordnung sich auflöst, Unrecht folgenlos bleibt, kann unbehindert der Massenmord beginnen. Nur dass im Emsland anders als bei Synder nicht Juden oder Zivilisten die Opfer sind, sondern hauptsächlich kriegsgefangene Deutsche, Deserteure wie Herold selbst. Anfangs will der Hauptmann wohl nur überleben, doch der Schritt des Getriebenen in die Verrohung ist kurz. Als er dem „Schweinchenjäger“ von der SS wiederbegegnet, der glaubt, ihn von irgendwoher zu kennen, muss der Bluffer noch befürchten, aufzufliegen. Doch er behauptet dreist, „von ganz oben“, von Hitler persönlich, beauftragt zu sein. Das Emslandlager Aschendorfermoor wird zum Schauplatz seiner Gewaltexzesse. Dort haben die Wachmannschaften ein „Lagerproblem“: zu viele Gefangene, zu wenig Verpflegung. Herold weiß, wie man es lösen kann. Gruben ausheben, die Gefangenen aufreihen, Exekution mit schwerem Maschinengewehr.

Rückkehr aus Hollywood

Schwentke hat es als Genrefilmer bis nach Hollywood gebracht, er hat dort mit Jodie Foster „Flightplan“ und den Zombie- Polizeifilm „R.I.P.D.“ mit Jeff Bridges gedreht. Bei seinem Comeback in Deutschland verzichtet er nun auf Spannungselemente. In hartem Realismus erzählt, wäre der Film zynisch, erst die Verfremdungseffekte eines bitteren, mitunter grotesken Kammerspiels machen ihn erträglich.

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Schwentke hat entschieden, in Schwarzweiß zu drehen, er beruft sich dabei auf Michael Powell, der Martin Scorsese vor Drehbeginn seines Boxerdramas „Wie ein wilder Stier“ riet: „Du kannst einen Film mit so viel Blut nicht in Farbe drehen.“ Blut ist in „Der Hauptmann“ kaum zu sehen, die Kamera zeigt beim Massaker nie die Opfer, sondern die Täter, die hart und schweißtreibend an ihren Tötungsmaschinen arbeiten. So ist der Schrecken auf die Tonspur gebannt, auf der sich Schüsse, Schreie und Einschläge abwechseln. In einer der schaurigsten Szenen muss Peschel in die Grube hinabsteigen, um die überlebenden Gefangenen zu „erlösen“. Zu sehen ist sein Kopf, der über der Erde hin- und herwackelt, während der Gefreite über die sterbenden Körper balanciert.

Theater im NS-Lager

In „Der Hauptmann“ ist die Endzeit angebrochen, aber noch herrscht keine Anarchie. Im Lager werden Fraktionskämpfe ausgetragen, Bürokraten gegen Fanatiker. Ein Offizier alarmiert per Telefon Parteibonzen und Juristen, am Ende muss Herold sich vor einem NS-Gericht verantworten. Die Alliierten werden ihn dann hinrichten. Spätestens mit dem Auftritt des bewährten Komikerduos Samuel Finzi und Wolfram Koch driftet der Film ins Surreale. Sie spielen zwei gefangene Schauspieler, die bei einem bunten Abend in der Lagerkantine mit Slapstick und Jonglage für Unterhaltung sorgen. Dann müssen sie sich entscheiden: selber schießen oder erschossen werden.

Warum viele deutsche Soldaten noch bis über Hitlers Selbstmord hinaus für den Endsieg in einem längst verlorenen Krieg kämpften, ist eine Frage, die bis heute nicht überzeugend beantwortet wurde. Aus Angst, Opportunismus, Überzeugung? „Der Hauptmann“ zeigt, warum Männer wie Willi Herold gemordet haben: weil sie es konnten.

In 11 Berliner Kinos

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