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Fotokunst, die Wolfgang Schulz gefiel: Bild aus Dagmar Hartigs der Serie „Plastic World“ von 1981. Leihgabe der Künstlerin.

© Dagmar Hartig/VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Der Fotograf und Verleger Wolfgang Schulz: Kunst braucht einen Auslöser

Anecken und ironisieren: Das Museum für Fotografie würdigt den kürzlich verstorbenen Fotografen und Verleger Wolfgang Schulz.

Zwei Tage liegen zwischen dem Tod des Fotografen und Verlegers und der zweimal verschobenen, endlich glücklich erfolgten Eröffnung der ihm gewidmeten Berliner Ausstellung. Eigentlich sollte die umfassende Würdigung „Wolfgang Schulz und die Fotoszene um 1980“ Anfang April öffnen, fiel aber coronabedingt aus. Im Juni vereitelte dann eine schadhafte Klimaanlage den Besuch im Museum für Fotografie, der seit dem 16. Juli nun möglich ist.

Wolfgang Schulz jedoch starb, wie jetzt bekannt wurde, am 14. Juli in Köln im Alter von 75 Jahren. So wird die Schau, die als Wiederentdeckung eines wichtigen Vergessenen der deutschen Nachkriegsfotografie gedacht war, unversehens zu seinem Vermächtnis.

Plötzlich wurde Fotografie ernst genommen

Mit dem vom ihm 1977 gegründeten Magazin „Fotografie“, das im Untertitel zuerst „Zeitschrift internationaler Fotokunst“ und dann mit interdisziplinärer Wucht „Kultur jetzt“ hieß, wird Wolfgang Schulz eine treibende Kraft jener Aufbruchstimmung, die dem Medium eine neue Stellung im Kunstbetrieb beschert. Zeitgleich entstehen Sammlungen und weitere Zeitschriften. 1977 hat die Fotografie auch auf der Kasseler Documenta 6 ihren ersten großen Auftritt. Bis 1985 erscheinen 40 Ausgaben des im unglamourösen Studentenstädtchen Göttingen verlegten Magazins „Fotografie“. An einer elektronischen Säule kann man sie im Museum für Fotografie jetzt allesamt durchblättern.

An den ausgestellten Covern lässt sich Wolfgang Schulz' Lust an subjektiven, aneckenden, durchaus auch provozierenden Positionen ablesen, wie beispielsweise Miron Zownirs US-kritischer nackter New Yorker Jesus-Figur. Anti-Establishment gehört zum guten Ton. So wie Idealismus und Selbstausbeutung. Schulz steckt sein eigenes Geld ins keinerlei Reichtümer erzielende Magazin. Auch Ironie ist beliebtes Stilmittel von „Fotografie: Kultur jetzt“. Die letzten beiden Ausgaben widmen sich dem Fake-Jubiläum „748 Jahre Berlin“.

Die Ausstellung zeigt auch Schulz' eigene Arbeiten

Seine eigenen Bilder hat Schulz nur im ersten Heft gezeigt. Wichtiger war ihm die Gründung eines aufregenden, in der Szene viel diskutierten Forums für Fotografinnen und Fotografen wie Dörte Eißfeldt, Gosbert Adler, Verena von Gagern, Dieter Appelt, Heiner Blum, Dagmar Hartig, Reinhard Mats, André Gelpke und Angela Neuke. Vor deren Fotografien haben die Kuratoren der in Zusammenarbeit mit der Kunstbibliothek und dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe entstandenen Schau erstmal einen Block mit Wolfgang Schulz’ eigenen Arbeiten gesetzt.

[Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, bis 11. Oktober, Do – So 11 – 20 Uhr]

Besonders die 1976 in Schwarzweiß fotografierte, in kleinformatige Quadrate gebannte Sozialstudie „Die Kostümverleiherin Frau Walther“ verströmt einen intimen, fast biedermeierlichen Zauber. Er entsteht nicht nur durch die Puppen und Teddys, mit denen sich die alte Dame umgibt, sondern durch den realistischen, trotzdem für Alltagskuriosa empfänglichen Blick. Die Zeitgeschichte der rebellischen und bleiernen Siebziger und Achtziger ist den von Wolfgang Schulz veröffentlichen Serien eingeschrieben.

So stellte sich Wolfgang Schulz 1978 im Selbstportrait dar.
So stellte sich Wolfgang Schulz 1978 im Selbstportrait dar.

© Wolfgang Schulz

Ein Warnschild, das Kindern wegen der Darstellung von Nacktheit und Gewalt eine erwachsene Begleitung empfiehlt, leitet Miron Zownirs Serie des West-Berliner Undergrounds ein. Eine Domina verschreckt mit blitzenden Pobacken die Bürger im Café Möhring. Punker lungern in Kellereingängen. In der Rückschau wirkt diese stilisierte Kaputtheit fast süß. Viel stärker beklemmen die distanziert-dokumentarische Fotografien von Angela Neuke.

Neuke hat 1977 zwei Schlüsselereignisse des Deutschen Herbstes fotografiert. Die Begräbnisse des von der Rote Arme Fraktion ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und die der RAF-Mitglieder Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe. Wolfgang Schulz stellt 1982 in einer Doppelausgabe von „Fotografie“ die Strenge des Staatsaktes den von Paparazzi umzingelten Hinterbliebenen der Terroristen unkommentiert gegenüber.

Weit war der Geist dieses Künstlers und Publizisten

Und auch in der Ausstellung sind die bitteren bundesrepublikanischen Demarkationslinien von damals spürbar. Deutlich leichtfüßiger wirkt da die zeitlos konsumkritische Serie „Wurst“ von Reinhard Matz. Er macht aus einer Reihe eingeschweißter, auf Millimeterpapier drapierter und beschrifteter Würste mit einem Augenzwinkern Konzeptkunst – nicht nur für Vegetarier. Begräbnisse und Würste: Allein der Vergleich dieser Arbeiten zeigt, wes weitherzigen Geistes der Künstler und Publizist Wolfgang Schulz war.

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