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Zwei gegen die Medien: Richard Jewell (Paul Walter Hauser, re.) und sein Anwalt Watson Bryant (Sam Rockwell).

© Warner

"Der Fall Richard Jewell" von Clint Eastwood: Held für einen Tag

Der Wachmann Richard Jewell wurde nach dem Olympia-Attentat 1996 vom Retter zum Opfer. Clint Eastwood erzählt seine tragische Geschichte.

Von Andreas Busche

Nicht mal die Collegekids haben Respekt vor Richard Jewell. Wenn sie erst wüssten, dass er mit Anfang 30 noch bei seiner Mutter wohnt. Den Job als Sicherheitsmann an einem weißen Elitecollege ist er auch schnell wieder los, nachdem er auf dem Campus in „Dirty Harry“-Manier seine Befugnisse ein paar Mal übertreten hat.

Für einen Film von Clint Eastwood ist Richard Jewell, ein rechtschaffener, hart arbeitender, gutgläubiger Amerikaner, ein im Grunde unwahrscheinlicher Held. Aber er verfügt auch über ein klassisches Eastwood-Attribut: einen untrüglichen Sinn für Gesetz und Ordnung. Den ersehnten Job als Hilfssheriff verliert er trotzdem innerhalb kürzester Zeit wieder.

Seinen großen Moment erlebt Jewell 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta, wo er als Wachmann im Centennial Olympic Park für Ordnung sorgen soll. Bei einem Rundgang macht er die Polizisten auf einen herumliegenden Rucksack aufmerksam. Kurz darauf explodiert vor der Bühne eine selbstgebastelte Bombe; das Attentat fordert dank seines Einsatzes nur ein Todesopfer, über hundert Menschen werden verletzt.

Am nächsten Morgen nennen die Zeitungen Richard Jewell einen „Helden“. Endlich, denkt man nach einer guten halben Stunde voller Erniedrigungen in Clint Eastwoods „Der Fall Richard Jewell“ fast erleichtert.

Bill Clinton forderte die Todesstrafe

Hier aber beginnt die eigentliche Geschichte des Underdogs Richard Jewell erst. Präsident Bill Clinton forderte nach dem Anschlag die Todesstrafe für den Täter, kurz darauf verkündete das Internationale Olympische Komitee: „Die Spiele müssen weitergehen“; 24 Jahren nach dem Attentat von München. Auch darum soll schnell ein Schuldiger gefunden werden.

Und in Ermangelung sachdienlicher Hinweise nimmt das FBI die einzige Person ins Visier, der sie habhaft werden kann: Richard Jewell. 88 Tage steht er im Fokus der Ermittler, angefeuert von der Lokalpresse, allen voran die größte Tageszeitung „Atlanta Journal-Constitution“ mit ihrer Polizeireporterin Kathy Scruggs. Jewell erfüllt das Profil des „Einzeltäters“, der einmal im Leben im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen will.

Jewell stirbt mit 44 Jahren an Herzversagen

Paul Walter Hauser spielt ihn mit offenem Visier, ein trauriger Fleischkloß, der zum Leidwesen seiner Mutter (Kathy Bates) Fastfood in sich reinstopft und mit Herzbeschwerden kämpft. Das Herz Richard Jewells versagte 2007 im Alter von 44 Jahren endgültig, es hat sich von der persönlichen Demontage, die Eastwood auf Grundlage des Artikels „American Nightmare“ von Marie Brenner rekonstruiert, nie wieder erholt.

In Uniform läuft Hauser, ein penetrant dienstbeflissener Bückling mit einem Helfersyndrom, der mit seiner geliehenen Autorität zwischen den Zuschauern herumstolziert, zu großer Form auf. Auf der Couch seiner Mutter sackt er in sich zusammen.

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Er sei sich der Demütigungen bewusst, erzählt Jewell seinem Anwalt Watson Bryant (Sam Rockwell) in einer rührigen Szene, wenn etwa der FBI-Agent Shaw (Jon Hamm) ihn, den Möchtegern-Polizisten, im Verhör ironisch als einen der Ihren bezeichnet; oder wenn er sich als Kronzeuge wähnt, während er längst als Hauptverdächtiger gilt. Aber er sei kein Kämpfer, er habe sein Leben lang nur einstecken müssen. Die Herabstufung vom Helden zum Täter ist sein Schicksal.

Eastwood vereinfacht die komplizierte Geschichte

Es steckt in der Tragödie „Der Fall Richard Jewell“ auch eine größere Geschichte, die etwas über das Unrecht, das Jewell widerfahren ist, verrät. Eastwood erzählt sie aber nur am Rande – und voll von kolportagehaften Verkürzungen.

Die Journalistin Kathy Scruggs spielt Olivia Wilde als skrupellose Dreckschleuder, die für eine gute Geschichte sogar mit dem FBI-Mann ins Bett geht. Dafür ließ die US-Kritik kein gutes Haar an Eastwood, der sich allerdings auch noch nie als Frauenregisseur hervorgetan hat.

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Jon Hamm wiederum hat die undankbare Aufgabe, die versammelte Inkompetenz der Behörden zu verkörpern, was ihm immerhin mit verschmitzt-zynischer Don-Draper-Haftigkeit gelingt. Die Atlanta-Ermittlungen offenbarten 1996 vor allem ein institutionelles Problem.

Die Politik musste einen Täter präsentieren, darum konzentrierte sich das FBI trotz mangelnder Indizien auf Jewell. Der wahre Täter, ein rechter Spinner, wurde erst Jahre später gefasst. Auch bei Eastwood kommt er nur im Epilog vor.

Behördenversagen und „Fake News“

Die Kombination aus Behördenversagen und „Fake News“ ist natürlich ein gefundenes Fressen für den Libertären Eastwood, der schon immer eine Schwäche für good guys with guns hatte. (Jewell verfügt über ein erstaunliches Arsenal an Schusswaffen) Dass der Film dennoch einen sachlichen Ton anschlägt, gelegentlich sogar einen komischen, vor allem dank der Chemie zwischen Hauser und Rockwell, muss dabei nicht unbedingt überraschen.

Eastwood hat sich nie tief in die Karten blicken lassen, seine Politik ist deutlich, aber er neigt selten zu ideologischen Feldzügen. Auch „Der Fall Richard Jewell“ lässt Raum für Zwischentöne, wenn ein so klarer Fall von Unrecht überhaupt Ambivalenzen zulässt. Einmal rückt in der FBI-Zentrale kurz eine Konföderiertenflagge ins Blickfeld.

Die Erfindung des 24-Stunden-Nachrichtenzyklus

Wo aber greift Jewells Geschichte, wie Eastwood sie erzählt, zu kurz? Das rechte Lamento über die „lamestream media“ (Trump) zieht hier nicht, die neunziger Jahre waren noch eine andere mediale Zeitrechnung. In Atlanta befindet sich zudem das Hauptquartier von CNN, das damals gerade den 24-Stunden-Nachrichtenzyklus erfunden hatten.

Kathy Scruggs spielt einmal auf diese Konkurrenzsituation an, als sie ihren Chefredakteur anschnauzt, dass der Anschlag in ihrem Vorgarten geschehen sei und das Lokalblatt die Berichterstattung anführen müsse.

Man könnte „Der Fall Richard Jewell“ als Eastwoods knurrige Replik auf liberale Journalismus-Hagiografien wie „Spotlight“ oder „Die Verlegerin“ verstehen, die die Presse wieder als vierte Gewalt im Staat feiern. Aber sein Film klingt auch nicht danach, als suche er mit 90 Jahren noch Streit. Eastwood hat auf seine alten Tage lediglich sein Herz für amerikanische Heldengeschichten entdeckt.
In den Kinos Adria, Cinemaxx Potsdamer Platz, Cineplex Spandau, Filmkunst 66, Hackesche Höfe, Rollberg (beide OmU)

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