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Kultur: Der Charme von Charlottenburg

Eine neue Generation von Galeristen entdeckt den alten Berliner Westen als Standort

Die Plakatwand mit den Kartoffeln passt so gut zum Kopfsteinpflaster an diesem ruhigen Ende der Kurfürstenstraße, dass sie leicht übersehen wird. Der britische Künstler Paul McDevitt, Jahrgang 1972, nimmt Motive des Zeichners John White auf, der im 16. Jahrhundert die britischen Expeditionen nach Amerika begleitete. Die Schiffe brachten Kartoffeln und Tabak nach England. Das Bild auf der Werbetafel kostet 5500 Euro und gehört zur Galerie Sommer & Kohl, die sich in den rückwärtigen Räumen der alten Bettfederfabrik befindet. Salome Sommer und Patricia Kohl wirken selbst pionierhaft. Sie haben sich als Mitarbeiterinnen der Galerie Neugerriemschneider kennengelernt. Dann kam der Moment, an dem sie eigene Entscheidungen treffen wollten. Sie beteiligten sich an einem Businessplan-Wettbewerb und erreichten den achten Platz. Bestätigung genug, den riskanten Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Für ihre Galerie suchten sie einen noch unbeschriebenen Standort. Als sie die Räume in der Kurfürstenstraße 13 mieteten, war das Haus fast leer.

Nebenan empfindet Sassa Trülzsch ihr Studio auf dem Gelände der Galerie Giti Nourbakhsch als Refugium. Hinter den hohen Hoftoren scheint die Zeit gebremst. Als finanzielles Standbein bietet Sassa Trülzsch zu jeder Einzelausstellung 50 Vorzugsausgaben des Begleithefts mit je einem Original an. „So habe ich meine Freunde zu Sammlern gemacht", sagt sie. Über ihrem Schreibtisch hängt die Neonschrift von Fiete Stolte: „Work 8 days a week“. Im Studio sind Bilder von Paul Desborough zu sehen, die wie Blasen werfende Haut wirken. Desborough malt die Farben direkt auf durchsichtiges Acryl: Das Material scheint fragil, erweist sich aber als erstaunlich stabil. Flüchtige Kunst will Sassa Trülzsch zeigen, aber es soll auch etwas bleiben (Kurfürstenstraße 12).

Geblieben ist auch Tanya Leighton. Sie selbst hat ihr Laptop beim Verein Griechen in Berlin aufgeschlagen, in ihrer Galerie gegenüber – die früher Eckkneipe war – ist die Renovierung trotz Ausstellung in vollem Gang. Die Britin hat als Künstlerin begonnen und kuratorische Erfahrung im Filmdepartment des New Yorker Whitney-Museums gesammelt. Nach Berlin kam sie, um ihr Buch über bewegte Bilder in der Kunst zu beenden. Die aktuelle Schau kombiniert bekannte Namen wie den Turner-Preisträger Jeremy Deller mit jungen Künstlern. Stolz ist die Galeristin auf ihren Vorführraum im einstigen Bierkeller; vielleicht kommt noch ein Buchladen dazu. Die offene, soziale Atmosphäre ihres Ecklokals findet Tanya Leighton für diese Mischung ideal (Kurfürstenstraße 156).

Um die Ecke in der Potsdamer Straße versteckt sich Cinzia Friedlaender im Hinterhof: Die frühere Mitarbeiterin von Daniel Buchholz wollte nicht auf dem Präsentierteller sitzen. Derzeit zeigt sie in ihrer klaren, schmalen Galerie sehenswerte Zeichnungen und Aquarelle der britischen Künstlerin Bonnie Camplin: Damenbein in Pumps auf Terrazzoboden, Frauenleben zwischen Feudel und Drama (4000 €). Der sachliche Raum wirkt wie eine Oase in der unübersichtlichen Nachbarschaft (Potsdamer Straße 105).

Daniel Buchholz schließlich ist nur zehn Fahrradminuten und doch Welten entfernt: Der Kölner Galerist hat seine Berliner Dependance tief im alten Westen eingerichtet. Hier blinken polierte Messingschilder, die Beletage verfügt über 220 Quadratmeter mit Parkett und makellosem Stuck. Dennoch macht Buchholz den Eindruck, als sei er nicht ganz freiwillig hier: Weil seine Künstler Angebote von Berliner Galerien bekamen, mussten er und sein Partner Christopher Müller reagieren. Nach Mitte wollten sie nicht, nun stellen sie in der Fasanenstraße zwei amerikanische Künstler aus. Richard Hawkins und Aaron Curry passen überraschend gut in die Umgebung, weil sie sich deutlich auf die klassische Moderne beziehen. Hawkins, Jahrgang 1961, nimmt mit federbewehrten Kleinformaten Kontakt zu seinen indianischen Vorfahren auf. Seine rohe Malerei offenbart allerdings ein wenig zu deutlich den Stammbaum von Robert Rauschenberg über Jasper Johns bis Philip Guston. Interessanter ist sein Schüler, dessen ausgesägte Holzskulpturen an Picasso, Miró oder Moore erinnern. Currys Grundmotiv aber stammt aus seiner texanischen Heimat – es sind Gebeine (Fasanenstraße 30).

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