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Noch beste Freunde. Justizminister

© REUTERS

Der Brexit und William Shakespeare: Ein Brutus steht vor Downing Street

Als wär’s ein Stück von Shakespeare: Wie Boris Johnsons Karriere zusammenfiel und Großbritannien die Fassung verlor.

Was bei Shakespeare noch Königsdrama war, kehrt jetzt in den Tagen des Brexit als Farce wieder. Soeben wurde einer gemeuchelt, der noch nicht einmal König war und schon gar kein Cäsar, es aber gerne geworden wäre, und dessen über Jahre sorgsam verfolgte Karriere binnen einer Woche zerfiel, bis ihr am Donnerstagmorgen der letzte, tödliche Stoß versetzt wurde – und, wie es sich im Drama und also auch dessen farcenhafter Neuauflage gehört, von dessen engstem Verbündeten.

Einmal mehr bewahrheitet sich das Politikersprichwort, dass die Steigerung von Freund über Feind in Parteifreund gipfelt. Michael Gove, erst Bildungs- und nun Justizminister in der konservativen Regierung, stellte sich zunächst gegen Premierminister Cameron, dem er seinen Aufstieg in die Regierung verdankt, indem er dem Brexit-Lager beitrat. Da betätigte er sich als getreuer Eckart von Johnson, der Lokomotive der Brexit-Kampagne. Und nun, da überraschend die Ernte dieser Wahlrundfahrt im roten „Brexit-Bus“ eingefahren ist und Johnson mit einem Mal zaudert, zaudert Gove kein bisschen und schwingt sich in einer bühnenreifen Inszenierung – nach dem Durchstechen einer „privaten“ Email seiner als Klatschkolumnistin gefürchteten Ehefrau – selbst zum Kandidaten auf.

„Einmal besser als keinmal, und besser spät als nie“, muss sich Gove gesagt haben, es steht so schon beim englischen Nationaldichter, dessen 400. Todestag in diesem Jahr gefeiert wird, in Großbritannien, in Europa, in der ganzen Welt. Alle drei genannten Politiker, wohlgemerkt, gehören derselben Partei an, ja sind seit Studententagen an einer der angesehensten Universitäten eng befreundet – parteibefreundet, wie man besser sagen muss.

Boris Johnsons Untergang begann in dem Moment seines Höhenflugs

In der Rückschau wird man allerdings erkennen – er selbst wird es erkennen –, dass Boris Johnsons Untergang bereits in dem Moment begann, als er zu den höchsten Höhen aufbrach und bald auch dorthin getragen zu werden schien. In dem Moment, als das prototypische Upper-Class-Gewächs Johnson, zu Hause in der Weltmetropole London, geistreich, weltoffen, wohlhabend, Französisch fließend parlierend und Latein noch dazu, den Brexit zu seiner Sache machte, bis er ihn schließlich – seht her, was ich kann! – tatsächlich zum Sieg führte.

Nicht, dass nicht auch geistreiche, weltoffene, wohlhabende Menschen im Vereinigten Königreich für den Ausstieg aus der EU gestimmt hätten. Es gehört schließlich zu den eilig ausgestreuten Legenden der „Remainer“, dass nur arme Schlucker in den hässlichen Ecken des Landes dafür gewesen seien; was, nebenbei, sehr entlarvend den Klassendünkel kennzeichnet, der in Großbritannien wohl unausrottbar zuhause ist.

Nur gerade dem flamboyanten Johnson konnte man das Engagement für den Ausstieg nicht wirklich glauben. Er selbst am allerwenigsten, wie sich zeigte, als das unerwartete Ergebnis vorlag. Da hatte BoJo keinen Plan, verzog sich eilends aus der Öffentlichkeit, versetzte sogar Parteigänger bei einem geplanten Unterstützertreffen und sah untätig zu, wie sein Charisma durch schiere Sprachlosigkeit zerstob.

Max-Weber-Fans können ihre Freude an seinem Schicksal haben

Ja, die Max-Weber-Fans können ihre Freude haben an Johnsons Schicksal, zeigt es doch idealtypisch, wie Charisma erst wirkt und dann ganz schnell wieder vergeht, wenn den Gläubigen der Glaube abhanden kommt, weil der Prophet sprachlos bleibt. Charisma ist ein wunderliches Gift. Es betäubt, es macht gefügig, aber wenn es verfliegt, hinterlässt es schlechte Gefühle bis hin zur Abscheu vor einem selbst.

Und diese Erosion vollzog sich bei Boris eben ganz schnell. Als die Nation auf gewichtige Worte wartete, gab er nichtssagende Floskeln von sich, und dann wandte sich sein engster Unterstützer Gove in einem Hals-über-Kopf-Mnöver ab, stieß ihm buchstäblich den Dolch in den Rücken und ernannte sich selbst zum Prätendenten. Et tu, Brute?

Ja, der Brutus stand bereit, das hatte Johnson nicht geahnt, wie es kein Cäsar jemals ahnen will. Aber dass er wenige Stunden, eher Minuten nach dessen Verrat so ganz gelassen, beinahe heiter seinen Rückzug aus dem Wettlauf ums mächtigste Amt verkündete, ließ seine nun ihrerseits betrogenen Anhänger voller Wut erkennen, dass der bewunderte Mann nichts ernst gemeint hatte – ein Hasardeur, der nur mehr einen schnellen Abgang suchte. Eben noch hatte Johnson eine Churchill-Biografie verfasst, an keinem Geringeren, so die Botschaft, wollte er sich messen lassen. Und dann versagte er binnen Tagen jämmerlich, nur eine Karikatur des unbeugsamen Vorbilds.

Allein der Verrat des Parteifreundes gibt ihm noch einen Anflug von tragischer Größe. Doch das Cäsar-Drama, das Shakespeare auf die Bühne stellte, das kehrte in der Realität nurmehr als Farce zurück. Das Publikum ist abgestoßen, ja entsetzt. Statt den Verrat zu beklagen, wand Johnson sich mit gedrechselten Worten aus der ihm misslichen Lage. Ein vermeintlicher Staatsmann, der am Ende Phrasen drischt?

Unruhig liegt der Kopf, der eine Krone trägt

Immerhin kann er sich mit Shakespeare der Hoffnung hingeben, die da heißt: „Ein tiefer Fall führt oft zu höherm Glück.“ Wenn der am eigenen Unvermögen gescheiterte Beinahe-Kandidat darauf auch vergeblich warten mag, ist eines doch gewiss: „Unruhig liegt der Kopf, der eine Krone trägt“, heißt es in „Heinrich IV.“ Nimmt man die Adresse Downing Street No. 10 für den Sitz der erstrebten Krone, so bleibt Johnson zumindest dieses Schicksal nun erspart.

Unterdessen geht das Schauspiel weiter. Gestern erklärte der stets trocken formulierende Gove nochmals trockener, er habe die Kandidatur nicht gewollt: „Ich habe alles getan, um nicht in diese Position zu kommen. Ich habe weder Glamour noch Charisma.“ Letzteres mag sicher zutreffen, aber damit hausieren zu gehen, ist nach dem allein dem glamourösen Boris verdankten Erfolg ein rechtes Schelmenstück.

Im Augenblick mag sich Gove seiner Rolle als Brutus erinnern und an die Worte, die Shakespeare ihn nach dem Attentat sagen lässt: „Seid nur geduldig, bis wir erst das Volk / Beruhigt, das vor Furcht sich selbst nicht kennt; / Dann legen wir den Grund Euch dar, weswegen / Ich, der den Cäsar liebt, als ich ihn schlug / Also verfahren.“ Doch muss es schon ein guter Grund sein, den Gove dem Wählervolk in seiner Partei darlegen könnte, ein besserer jedenfalls als der bloße Machttrieb. Beim Dichter übrigens stürzt Brutus sich am Ende ins eigene Schwert. Doch solches geschieht immer nur im Drama, nicht in der Farce.

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