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Hol’ mich hier raus! Psychatrie-Patientin Conny (Pia Hierzegger) und Lola (Valerie Pachner).

© Juhani Zebra / Novotnyfilm

„Der Boden unter den Füßen“ bei der Berlinale: Von Unsicherheitsgefühlen durchflutet

Die österreichische Filmemacherin Marie Kreutzer stellt in „Der Boden unter den Füßen“ der kalten Geschäftswelt den warmen Kosmos der Familie gegenüber.

Normal ist auch ganz schön verrückt. Jedenfalls wenn man so irre diszipliniert lebt wie Lola. Hundert Arbeitsstunden pro Woche, beinharter Frühsport, Arbeitsessen, Umherjetten. Mit Ende zwanzig ist die Unternehmensberaterin mehr in Rostock, wo sie mit ihrem Team die Umstrukturierung einer Firma vorbereitet, als in ihrer schicken Wohnung in Wien. Wenn da nur nicht dieser gefährliche Chaos-Faktor in Lolas Supertopcheckerinnen-Leben wäre. Die schizophrene Schwester Conny. Sie landet nach einem Selbstmordversuch mal wieder in der Psychiatrie und nutzt jede Gelegenheit, Lola heftig unter Druck zu setzen. Nicht lange, und die auf hohen Hacken beherzt vorwärts stöckelnde Geschäftsfrau gerät ins Schwanken.

Was ist der Preis für die Hochleistungseffizienz, die im Big Business der Beraterfirmen verlangt wird? Das ist die Frage, die die österreichische Filmemacherin Marie Kreutzer in „Der Boden unter den Füßen“ stellt. Im Kino haben sie in den letzten Jahren Johannes Naber in seiner rattenscharfen Kapitalismus-Satire „Zeit der Kannibalen“ und Maren Ade in „Toni Erdmann“ ausgelotet.

Kreutzer machte es wie Ade und stellt der kalten, emotional notorisch defizitären Geschäftswelt den warmen Kosmos der (dysfunktionalen) Familie gegenüber. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, aber besonders auch zwischen Geschwistern ist Dauerthema der 1977 in Graz geborenen Regisseurin. Seit 2011, als sie mit „Die Vaterlosen“ ihren Einstand auf der Berlinale gab.

Ein angenehm beiläufig inszeniertes Paar

Und so laufen in der von Valerie Pachner hart und zart gespielten Lola bei jedem Bettelanruf der paranoiden Conny, sie doch aus der grausamen Psychiatrie zu befreien, die Traumen eines von den toten Eltern und der kranken großen Schwester verlassenen Mädchens ab. Seltsam nur, dass die Krankenschwester bei Lolas Rückrufen immer behauptet, dass Conny gar kein Telefon hat.

Nur verständlich, dass Lolas Teamleiterin Elise (Mavie Hörbiger), mit der sie eine heimliche Affäre hat, gleich anfängt, Fragen nach der familiären Vorbelastung zu stellen, als Lola ihr schließlich den Grund für ihr zunehmend gestresstes Verhalten offenbart.

Es ist einer der gelungenen Zwischentöne des von Unsicherheitsgefühlen durchfluteten Films, dass nicht klar wird, ob sie aus liebender Fürsorge fragt. Oder ob die Nachfrage nur strategische Gründe hat, weil eine von ihr zur Beförderung vorgeschlagene Leistungsträgerin absolut keinen Defekt haben darf. Zumindest keinen, der nicht mit dem Pillencocktail in Schach gehalten werden kann, der für erfahrene Consultants wie Elise zum Grundnahrungsmittel gehört.

Dass die beiden Frauen ein angenehm beiläufig inszeniertes Paar sind, verschafft Lola in Kreutzers zu plump beschriebenem Geschlechterkrieg übrigens keine Vorteile. Bedingungslose Loyalität scheint in diesem Berufsbild nicht vorgesehen, zu flüchtig sind Arbeitsorte und Bindungen, zu undurchsichtig das Räderwerk des Auf- und Abstiegs. Ihre Kämpfe gegen wahlweise intrigante oder anzügliche Platzhirsche muss Lola schon selber überstehen. Allein diese perfiden Attacken rechtfertigen jede Persönlichkeitszersetzung.

Kindheitsmuster unter Schwestern, Effizienz versus Krankheit, Frauenliebe, Männer gegen Frauen – Marie Kreutzer hat sich in ihrem naturalistischen Drama zu viel vorgenommen. Wobei die Szenen zwischen den Schwestern stimmig sind. Und Pia Hierzegger eine überzeugende, so gar nicht zur Sympathieträgerin taugende Schizophrene gibt. Im Kino bieten Blutsbande eben doch mehr Identifikation als Geldströme.

10.2., 9.30 Uhr und 18 Uhr (Friedrichstadtpalast), 21 Uhr (HdBF); 17.2., 13.30 Uhr (HdBF)

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