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Per Olov Enquist (Archivbild von 2010)

© dpa/EPA/Barbara Gindl

„Der Besuch des Leibarztes“ machte ihn berühmt: Der schwedische Schriftsteller Per Olov Enquist ist tot

Den Glauben wegstudieren, die Literatur verkünden: Der schwedische Schriftsteller Per Olov Enquist ist im Alter von 85 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Mit so einer Familiengeschichte kann man gar nichts anderes werden als Schriftsteller. So viel Stoff, der erzählt werden kann, ja, erzählt werden muss! Per Olov Enquist, 1934 im nordschwedischen Hjoggböle geboren, hatte eine Urgroßmutter, die sechs ihrer sieben Kinder an die Diphtherie verlor und dann versuchte, darüber verrückt geworden, ihr übrig gebliebenes siebentes Kind zu töten.

Enquists Großmutter war die fleißige Chronistin seines Heimatdorfs und der Provinz Vasterbötten, in der es liegt. Seinen Vater, von Beruf Stauer und Holzfäller, lernte er nicht kennen, dieser erlag einer seltenen Erbkrankheit, da war Enquist gerade ein halbes Jahr.

Sein Bruder starb gleich bei der Geburt, als Name war für ihn Per Ola vorgesehen. Und seine Mutter, eine streng gläubige, der Pfingstbewegung angehörende Lehrerin, hatte für ihn immer nur ein Berufsziel vor Augen: "Verkünder“ sollte er werden.

Enquist war ein politisch engagierter Schriftsteller

Doch mit der „Wärme in der Gemeinschaft des Glaubens“ konnte Per Olov Enquist sich nie anfreunden, wie er in seiner Romanautobiografie „Ein anderes Leben“ geschrieben hat. Er wurde eine andere Art Verkünder: Schriftsteller eben, nachdem er bis 1964 an der Universität in Uppsala Literaturwissenschaft studiert hatte, „um den Glauben wegzustudieren“.

Enquist trägt in Folge, angefangen mit seinem Debüt „Das Kristallauge“ und dem 1965 veröffentlichten Nachfolger „Das fünfte Auge des Magnetiseurs“ die Botschaften von Außenseitern, gebrochenen Existenzen, komischen historischen Gestalten und Weirdos in die Welt; er beschäftigt sich mit Musikanten, Kommunistenführern, gestürzten Engeln oder, wie in seinem 2004er Roman „Blanche und Marie“, mit Blanche Wittman, der bein- und armamputierten Assistentin der Radioaktivitätsentdeckerin Marie Curie.

Einerseits fühlte sich Enquist in den sechziger und siebziger Jahren einem literarischen Sozialrealismus verpflichtet, da galt er als politisch engagierter Schriftsteller. Er schrieb einen Roman wie „Die Ausgelieferten“, der von der Übergabe baltischer, nach Schweden geflüchteter Nazi-Kollaborateure an die Sowjetunion erzählt und viele Diskussionen auslöste. Oder mit „Der Sekundant“ 1971 über einen Hammerwerfer, der den Erfolg zum alleinigen Maßstab seines Handels macht.

"Ein anderes Leben" handelt von seinem Alkoholismus

Andererseits war Enquist literarisch stets seiner Herkunft verbunden, der harten, gottgläubigen Welt, der er entstammt. In Romanen wie „Kapitän Nemos Bibliothek“ oder „Auszug der Musikanten“ geht es immer auch um seine dörfliche, pietistisch geprägte Kindheit, um Gefühle der Schuld, um moralisches Versagen, in gleichermaßen spröder, sachlicher wie anziehender Prosa.

International bekannt wurde er 1999, häufig gar als Literaturnobelpreiskandidat gehandelt, mit dem historischen, der Aufklärung verpflichteten Roman „Der Besuch des Leibarztes“ über Aufstieg und Fall des deutschen Arztes Johann Friedrich Struensee; aber auch mit Theaterstücken und Kinderbüchern wie „Großvater und die Wölfe“ war Enquist erfolgreich.

Als er im vergangenen Jahrzehnt seine persönlichsten, autobiografischsten Bücher „Ein anderes Leben“ (im Zentrum hier die Überwindung des eigenen Alkoholismus) und „Das Buch der Gleichnisse“ veröffentlichte, schloss sich ein Kreis: „Man hofft ja immer wieder auf ein Wunder“ zitierte Enquist sich darin aus seinem „Nemo“-Roman. Dieses Wunder war bei diesem großartigen, geglückten Schriftstellerleben am Ende nur ein kleines, wenn überhaupt. Am Samstag ist Per Olov Enquist im Alter von 85 Jahren in der Nähe von Stockholm gestorben.

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