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Matthias Jahrmärker (Figaro), Tobias Hagg (Bartolo), Julian Rhode (Almaviva) und Andrea Chudak (Rosina).

© Christian Brachwitz

"Der Barbier von Sevilla" in Britz: Lieber mit Vokuhila

Den "Barbier von Sevilla“ kennt jeder - in der Vertonung durch Rossini. Das Festival Schloss Britz hat jetzt eine viel frühere Version von Giovanni Paisiello wiederentdeckt.

Sieht komisch aus. Ein riesiges Paket verdeckt die Bühne zur Hälfte, mit roter Schleife. Schon bald durchstoßen zarte Mädchenfinger das Papier. Es ist Rosina, von adeliger Herkunft, aber Waise, die bei ihrem Vormund Dr. Bartolo aufwächst. In Mozarts Oper „Le nozze di Figaro“ nach dem Stück von Beaumarchais wird eben diese Rosina, inzwischen Gräfin, herzzerreißend schön über die Untreue ihres gräflichen Gatten klagen.

Dies aber ist „Der Barbier von Sevilla“, die Vorgeschichte also, in der sich Graf und Gräfin überhaupt erst kennenlernen – aber nicht die Vertonung von Rossini, die heute jeder kennt, die allerdings Jahrzehnte nach Mozart entstanden ist. Sondern eine viel frühere von Giovanni Paisiello, uraufgeführt 1782 in Sankt Petersburg und danach unvorstellbar populär.

Rossinis Erfolgsoper von 1816 hat sie vollständig verdrängt. Das Festival Schloss Britz, das sich Wiederentdeckungen verschrieben hat, entreißt Paisiellos Oper jetzt im Kulturstall dem Vergessen (wieder am 23. sowie vom 28. bis 30. August). Regisseurin Tatjana Rese hat mit Bettina Bartz und Werner Hintze eine neue deutsche Textfassung erstellt.

Spielmacher ist, natürlich, Figaro, der dem Grafen Almaviva listig Zutritt zu Bartolos Haus verschafft. Die Marzahn-Hellersdorfer Prachtvokuhila von Matthias Jahrmärker darf durchaus als Kommentar auf Figaros Frisierkünste verstanden werden. Jahrmärker ist ein Meister der Mimik, großartig, wie er jede Szene bereichert, auch wenn er gar nichts zu tun hat. Arlecchino und die ganze Commedia- dell’-Arte-Tradition, die Paisiello und auch noch Mozart geprägt hat, leben in ihm wieder auf.

Die Inszenierung ist heiter und verspielt. Kostüme und Gesten zitieren historische Vorbilder und distanzieren sich zugleich ironisch. Mit präziser Zeichengebung dirigiert Stefan Kelber, engagierter Lehrer an der Musikschule Neukölln, das Orchester. Es ist aufgrund der Raumsituation hinter die Bühne verbannt und klingt deshalb etwas dumpf. Auch Andrea Chudak verschluckt viel von ihrer eigentlich schönen Stimme, was schade ist. Julian Rhode ist ein sehr junger, leicht trutschiger Graf Almaviva. An Tiefenschärfe wird seine letztlich doch recht schlichte Figur ausgestochen von Dr. Bartolo, Tobias Hagge singt ihn mit einem Bassbariton, der ins Mark fährt. Rosina kriegt er nicht und wird doch, auf lange Sicht, gewinnen. Die Revolution steht vor der Tür. Wer adlig ist, achtet besser auf seinen Kopf. Den Bürgern gehört die Zukunft.

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