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Ausnahmesängerin. Die 25-jährige Seinabo Sey.

©  Universal

Debütalbum von Seinabo Sey: Harte Zeiten, gute Lieder

Perfekter Pop aus Schweden: Die Ausnahmesängerin Seinabo Sey und ihr Debütalbum „Pretend“.

Wie begeistert man eine digital sozialisierte Generation für ein analoges Uraltmedium wie den Brief? Das dänisch- schwedische Postunternehmen Postnord hat sich dazu Anfang des Jahres etwas Schönes ausgedacht und eine Briefmarkenserie mit fünf schwedischen Popmusikern herausgebracht.

Wahrscheinlich haben die gezeichneten Porträts von Stars wie Robyn und Avicii keinen Philatelisten-Boom bei der schwedischen Jugend ausgelöst, doch zeigt die Postnord-Aktion, wie hoch der Stellenwert von Popmusik in Schweden ist und wie viele international konkurrenzfähige Musikerinnen und Musiker das Neun-Millionen-Einwohner-Land seit den Glanzzeiten von Abba weiter regelmäßig hervorbringt.

Die Newcomer waren in der Briefmarkenserie durch Seinabo Sey vertreten, die bis dahin gerade mal zwei EPs veröffentlicht hatte. Angesichts der Hit-Dichte dieser Minialben war diese Ehrung jedoch vollkommen angemessen. Stücke wie „Younger“ und „Hard Time“ wurden in den letzten beiden Jahren von Skandinavien bis zur Adria im Radio gespielt und stellten Streamingrekorde auf.

Die Sängerin trat in der renommierten BBC-Show „Later with ... Jools Holland“ auf und verzauberte vor einem Jahr bei einem Festivalauftritt im Berliner Lido den ganzen Saal. Nur ein Debütalbum ließ bis jetzt auf sich warten. Dieses Phänomen der unerklärlichen Verzögerung konnte man in den letzten Jahren auch bei Kolleginnen wie Angel Haze, Azealia Banks oder Haim beobachten. Hits, Hype, Ladehemmung – diese Dynamik zeugt von der abnehmenden Bedeutung des Albumformats, aber auch vom Perfektionismus der Musikerinnen.

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Ambition und Arbeitsmoral sind bei der 25-jährigen Seinabo Sey offenbar beträchtlich. Das lässt sich schon aus ihrem Hit „Younger“ heraushören, der nun auch das Album eröffnet. Auf dem mit Orgelakkorden startenden Stück treibt sie sich an, ihre Träume zu verwirklichen: „You might as well get it while you can, babe/ ’Cause you know you ain’t getting younger“. Das im Refrain dreimal wiederholte „younger“ wird dabei in kindliche Quäkhöhen hochgepitcht. Du wirst nicht jünger, also halt dich ran – ganz schön erwachsen für jemanden, der gerade im besten Mir-gehört-die-Welt-Alter ist.

Das Sound-Design des Albums ist schlank und klar

Seinabo Sey, Tochter einer Schwedin und eines Gambiers, hat es schon als Teenager eilig. Sie zieht mit 15 allein vom heimischen Halmstad nach Stockholm, um für drei Jahre eine Musikschule zu besuchen. Ihr Schwerpunkt liegt auf Soul, für den sie sich begeistert, seit sie als Kind Alicia Keys and Destiny’s Child im Fernsehen gesehen hat. Auch Lauryn Hill, Erykah Badu und Cee-Lo Green haben Sey beeinflusst. Diese Liebe für Soul und R’n’B ist auf ihrem Album „Pretend“ deutlich zu spüren, dennoch fällt es nicht in dieses Genre. Seinabo Sey macht zeitgemäßen Hochglanz-Pop, dessen größter Reiz ihre Ausnahmestimme ist. Sie ist variabel, ausdrucksstark und sofort wiedererkennbar.

Produzent Magnus Lidehäll, der schon mit Katy Perry, Britney Spears und Kylie Minogue gearbeitet und an allen „Pretend“-Songs mitgeschrieben hat, setzt deshalb auf ein schlankes, klares Sound-Design. Er stellt den Gesang nicht mit protzigen Beatgebäuden und Effekten zu, sondern lässt ihn im Scheinwerferlicht funkeln. So wird Sey etwa in „Word“ zunächst nur von schnell pulsierenden Streichern begleitet, später kommen noch Percussion und ein bisschen Klavier dazu – fertig. Ähnlich reduziert ist die anschließende Ballade „Sorry“, die ein bisschen nach Lana Del Reys Valium-Pop klingt. Natürlich werden auch immer mal wieder die Bumm-Tschak-Muskeln angespannt, und in ihren stärksten Momenten klingt die Platte sogar wie ein kraftvolles Update von Mobys Sound um die Jahrhundertwende herum. Seinabo Sey ist genau der Typ Sängerin, den der Amerikaner damals für seine Electro-Tracks eingeladen oder gesampelt hat. Besonders das von einem unverschämt eingängigen Refrain getragene „Hard Time“ dürfte ihn mit Neidgefühlen erfüllen.

Ihm absolut ebenbürtig ist der noch nicht von den EPs bekannte Titelsong, der das Zeug dazu hat, einer der Hits des Herbsts zu werden. Getragen von einem mächtigen, House-artigen Bass-Synthesizer und einem „Hahahaha“-Gesangsloop, entwickelt er einen dunkel grollenden Sog, der gut zu den zweifelnden Lyrics passt. „Someone just told me to leave all my sorrow/ If that is true I don’t know who to be“, singt Seinabo Sey. Doch die Sorgen überwältigen sie nicht, sondern werden in etwas Positives umgewandelt, die Musik: „Guess then these troubles are out of my hands/ Guess then I’m free to use them to clap and dance“, heißt es weiter. Klatschen und Tanzen bedeutet für Sey aber nicht Party: Der Refrain ist eine mantrahafte Selbstbeschwörung.

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„Pretend“ ist ein früher Höhepunkt dieser starken Platte, von der Seinabo Sey sagt, sie handele durchweg von ihrem Leben. Neben Herzschmerz-Angelegenheiten verarbeitet die Sängerin darauf auch den Tod ihres Vaters Maudo Sey, der Musiker war. Als seine Tochter klein war, lebte die Familie für einige Jahre im westafrikanischen Gambia, und Seinabo Sey war ständig umgeben von Musikern, die mit ihm spielten.

Seinabo Sey wäre eine gute Besetzung für einen Bond-Titelsong

Nun hat sie dem vor zwei Jahren verstorbenen Vater, dessen Bild auf der letzten Seite des Booklets abgedruckt ist, den Song „Burial“ gewidmet. Es ist ein Gospel-Popstück mit Orgel und jubilierendem Chor, das etwas zu pompös, fast schon kitschig wirkt. Statt der Trauer und der Erinnerung, die in den Strophen aufscheinen, wirklich Raum zu geben, löst sich im hymnischen Refrain alles in einer Beschwörung kommender Königreiche auf – eine etwas zu gewollte Wendung ins Optimistische.

Trotz kleiner Ausreißer dieser Art ist „Pretend“ eine Platte voller großartiger Pop-Momente, mit der sich Seinabo Sey endgültig vom Newcomer-Status emanzipiert. Sie könnte eine der wichtigsten europäischen Pop-Stimmen der kommenden Jahre werden. Und bei der Besetzung des nächsten Bond-Songs sollte man sie auf jeden Fall in die engere Wahl nehmen.

„Pretend“ ist bei Universal erschienen.

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