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Anfang 30 zu sein, ist gar nicht mal so einfach.

© imago/Westend61

Debüt „Auszeit“ von Hannah Lühmann: Die Last, der Generation Y anzugehören

Als Henriette nach einem Schwangerschaftsabbruch in ein Loch fällt, beordert ihre Freundin sie in ein Ferienhaus. Dort schwelgen sie zwischen Esoterik und Egozentrik dahin.

Henriette ist eine melancholisch-depressive thirtysomething-Jährige. Als sie nach einem Schwangerschaftsabbruch in ein Loch fällt, beordert ihre beste Freundin Paula sie in das Ferienhaus eines Bekannten in den Bayrischen Wald. Aufopferungsvoll versucht Paula dort, Henriette mit Yoga und Reiki aufzupäppeln, mit Kochabenden und Spaziergängen.

In inneren Monologen geht Henriette dann als Ich-Erzählerin ihre Vergangenheit durch. Sie berichtet von dem Abend, an dem sie schwanger wurde, von Tobias, einem Juristen, der nun Kaffeebohnenverkäufer ist. Er wollte nicht Vater werden, weil er schon ein Kind hat und mit einer Frau liiert ist, die er mag.

Die Autorin, Hannah Lühmann, ist selber Thirtysomething und stellvertretende Feuilleton-Chefin der Welt. „Auszeit“ ist ihr Debüt. Sie hat es geschrieben, während sie selber eine berufliche Auszeit nahm, rund um die Geburt ihres Kindes. Auf dem Klappentext steht, dass Lühmann „verführerisch und mit schmerzhafter Präzision“ die „Träume und Ängste einer Generation um die dreißig“ seziert, die alles zu haben scheint, aber der sich das Glück doch immer entzieht.

Eine Ankündigung, der Lühmann nicht gerecht wird. Zwar finden sich in beiden Protagonistinnen Charakterzüge wieder, die man den Millennials in Berlin-Mitte schon zuordnen kann. Aber sie verharren in Klischees ihrer selbst. Die perfekte Paula ist viel zu esoterisch, um greifbar zu sein, sagt Sachen wie: „Manchmal kommt Heilung auf ganz anderen Wegen, als man sie erwartet“. Und Henriette ist so selbstbezogen, dass sie eher wie eine Millennial-Persiflage wirkt.

Henriette ist kein fiktiver Einzelfall

Trotzdem: Lühmanns Sprache ist schön, ihre Erzählung dicht. Ein wenig sucht die Generation Y ja wirklich immer nach einer Ausflucht-Idylle, um sich zwischen hohen Baumkronen in der Schwere des eigenen Seins zu wiegen. Henriette ist da kein fiktiver Einzelfall.

Doch dann ist da noch Henriettes Bindung zu dem ungeborenen Kind. Diese wird im Laufe der Erzählung immer obsessiver und erschließt sich nicht recht. „Um das Kind kann ich in zweifacher Hinsicht nicht trauern: weil ich es getötet habe. Es wäre eine selbstgerechte Trauer, die das Betrauerte verlacht. Und, aber dieser Grund wiegt weniger schwer: weil ich es nicht kannte, das Kind. Ich hatte es nicht zu einem Punkt gelangen lassen, der es als Gegenstand eines Verlusts qualifizierte“.

Solchen Passagen folgen keine Relativierungen oder Reflexionen. Henriette bespricht diese Gedanken mit niemand, und so klingt sie mehr wie eine Abtreibungsgegnerin als wie eine woke Großstädterin, die sie ja eigentlich verkörpern soll. Als Paulas Freund Tom anreist, gerät die Freundschaft der Frauen aus den Fugen.

Sie kreisen um Tom, und eine seltsame Dynamik entwickelt sich. Aber warum? Alles endet in einem Fiasko, und die Erzählung knallt mit Tempo gegen eine Wand. Als Leserin ist man nach knapp 180 Seiten ganz schön baff, wie schnell sich alles ändern kann – und mag es gar nicht so ganz glauben. Hannah Lühmann: Auszeit. Roman. Hanser blau, Berlin 2021. 180 Seiten, 19 €.

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