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Ein Raum in Yad Vashem in Jerusalem, mit Oskar Schindlers Listen der Menschen, die er vor dem Holocaust retten konnte.

© dpa/J. Hollander

Debatte um Yad Vashem: Ein nationalistischer Eiferer

Im Streit um Effi Eitam, den designierten neuen Direktor der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, sollte auch Deutschland sich zu Wort melden. Ein Gastkommentar

Um den Begriff Sakrileg auf Hebräisch zu veranschaulichen, wird gerne die Sprachwendung „Götzenbild im Tempel“ verwendet. Auf Vorschlag des israelischen Ministers für höhere Erziehung wurde Effi Eitam als Nachfolger des zum Jahresende scheidenden Avner Shalev auf dem Direktorenposten der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem nominiert: der klare Fall eines Götzenbilds im Tempel.

Yad Vashem ist tatsächlich ein „Tempel“ der Erinnerung an den Holocaust geworden. Nun droht die Entscheidung der israelischen Regierung, die der Personalie noch zustimmen muss, diesen Status zu untergraben. Denn Effi Eitam war ein hoher Offizier des israelischen Militärs, der den Krieg als „erhabenes Erlebnis“ betrachtet und als Befehlshaber vor einem harschen Umgang mit palästinensischen Zivilisten mit Todesfolgen nicht zurückschreckte. Ab 2002 stand er als Politiker an der Spitze der nationalreligiösen rechtsradikalen Partei „Nationale Einheit“, die unter anderem die Annexion sämtlicher palästinensischer Gebiete anstrebt.

Aus seiner Haltung hat der heute 68Jährige nie einen Hehl gemacht. In der Knesset schrie er die arabischen Abgeordneten an: „Der Tag wird kommen und wir verscheuchen euch aus diesem Haus.“ Häufig sprach er von den israelischen Arabern pauschal als „Fünfte Kolonne“ oder „Krebsgeschwür“, als „tickende Bombe“ im Herzen der israelischen Demokratie. Er prophezeite die Vertreibung der Mehrheit der Palästinenser aus Israel und aus den besetzten (für ihn: befreiten) Gebieten. Für Eitam sind die universalen Lehren aus der Shoah nicht relevant. Das Foto des Kindes mit erhobenen Armen nach der Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto, das in seinem Büro hängt, enthält in seinen Augen nur die eine Botschaft: Israelische Kinder sollen nie wieder so die Arme heben müssen. In einem Interview plädierte er für die Hinrichtung von Palästinenserführer Jassir Arafat: „Was ist schon der Unterschied zwischen Arafat und Eichmann?“ Schon diese Frage disqualifiziert ihn für den Posten des Yad-Vashem-Direktors.

Eitams Kandidatur hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Hunderte Persönlichkeiten aus Israel wie aus dem Ausland, auch aus Deutschland, haben eine Petition gegen die geplante Regierungsentscheidung unterzeichnet. Wohlgemerkt: Es geht nicht um eine interne israelische Angelegenheit. Die Frage der kollektiven Erinnerung ist oft Gegenstand transnationaler Diskussionen. So wie das Vermächtnis des Holocaust in Deutschland, wie etwa der Umgang von Museen mit enteigneter Kunst und Restitution keine interne deutsche Sache ist, so wie die Geschichtsdarstellung in polnischen Museen auch außerhalb des Landes Diskussionen auslöst, so verdienen auch Entscheidungen über den Kurs von Yad Vashem internationale Aufmerksamkeit.

Denn es geht bei der Besetzung des Chefpostens in der Gedenkstätte um den Ruf dieser weltweit bedeutenden Institution, um die kollektive Erinnerung an die Shoah, mehr noch: um die drohende Unterwanderung von Israels Status als Gralshüter dieser Erinnerung.

Dabei setzt Yad Vashem seinen Ruf nicht zum ersten Mal aufs Spiel. Dies tat das Zentrum bereits, als es offizielle Besuche von rechtspopulistischen Politikern wie Roberto Duterte, Heinz-Christian Strache, Jair Bolsonaro oder Viktor Orbán unkommentiert hinnahm. Auch beim Begleitprogramm zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar dieses Jahres drohte die Gedenkstätte zum Instrument politischer Interessen zu werden, als ein von Russland vorbereiteter Film mit falschen historischen Details unzensiert den versammelten hohen Gästen gezeigt wurde, darunter der deutsche Bundespräsident.

Bislang zeigt sich die israelische Regierung von den Protesten gegen Eitams Nominierung eher unbeeindruckt. Den Widerspruch zwischen Person und Aufgabe scheinen auch die Mitarbeiter von Yad Vashem hinzunehmen, von dort erfolgte bisher ebenfalls kein Aufschrei.

Auch das offizielle Deutschland sollte – mit Blick auf seine Vergangenheit und aus Respekt vor der Holocaust-Erinnerung – signalisieren, dass es mit Eitams Ernennung nicht einverstanden ist. Die Ausrede, Deutsche dürften sich hier „nicht einmischen“, wäre fatal. Sie würde jenen Kräften in Deutschland erst recht Auftrieb verschaffen, die nach dem „Schlussstrich“ rufen und eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad anstreben.

Shimon Stein war Israels Botschafter (2001–2007) und ist Senior Fellow an der Universität Tel Aviv. Moshe Zimmermann ist Professor emeritus an der Hebräischen Universität in Jerusalem.

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