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Statt an der Sigismundstraße könnte das Museum der Moderne (weiß, neben der Philharmonie) dort errichtet werden, wo sich heute die ungeliebte „Piazzetta“ befindet.

©  Kuehn Malvezzi

Debatte um Kulturforum: Was wird aus dem Lustgarten der Moderne?

Das Kulturforum ist seit Jahrzehnten Gegenstand von Debatten. Wie vollendet man das Areal in der Architektur des 21. Jahrhunderts? Ein Vorschlag.

Die Moderne war ein Irrweg: Dieses Verdikt über das Berliner Kulturforum hört man neuerdings hier und da. Aber ist das Kulturforum als Ort der Moderne tatsächlich gescheitert? Dass das moderne Gegenstück zur historischen Museumsinsel unfertig und vernachlässigt ist, darüber besteht Einigkeit. Ansonsten dreht sich die neu entbrannte Diskussion im Kreise. Wie der Kreisverkehr vor der Philharmonie im Entwurf von Stephan Braunfels. Der Opernliebhaber bespielt den Freiraum des Kulturforums als Opernbühne mit historischen Versatzstücken: barocker Kreisel mit Fontäne, Renaissance- Piazza mit Miniatur-Campanile, orientalische Treppenpyramide vor der Matthäikirche. Zuvor hat Hans Stimmann in einem „Abgesang auf die Insel der Objekte“ die freien Großarchitekturen des Kulturforums in kommerzielle Baublöcke verpacken lassen wie Großgeräte in Styropor. Und Matthias Sauerbruch beschwört die Rückkehr zu den Ursprüngen Scharouns.

Doch die Zeit ist nicht stillgestanden. Ende der 60er erweitert Rolf Gutbrod das Kulturforum durch Kunstgewerbemuseum, Kupferstichkabinett und Kunstbibliothek als Ensemble bewegter Klinkerbauten im „Brutalismus“ seiner Zeit. Zur Eingangshalle führt als steile Rampe aus groben Granitblöcken die schräge „Piazzetta“. In den 80ern folgt mit James Stirlings bunt gestreiftem Wissenschaftszentrum die Postmoderne, nach dem Mauerfall die Gemäldegalerie Alter Meister im altmeisterlichen Charme der Münchner Hilmer und Sattler. So präsentiert sich heute rund um die freie Mitte des Kulturforums eine Architekturausstellung des 20. Jahrhunderts. Hauptdarsteller auf der großen Freilichtbühne sind Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie, ein durch einen Sockel erhöhter Tempel klassischer Rationalität in Stahl und Glas, und Hans Scharouns frei bewegte Zeltarchitektur der Philharmonie. Diese Einheit der Gegensätze großer Architekturmonumente der Moderne ist eine weltweit einzigartige Konstellation. Zum Glück sind alle bisherigen Anläufe, ihr Zwiegespräch durch Bebauung der freien Bühne zu stören, erfolglos geblieben. Zum Dreiklang wird es durch Stülers St.-Matthäus-Kirche, die an die hier verortete Geschichte der Zerstörung erinnert.

Der Wiederaufbau Berlins als politische und kulturelle Hauptstadt vollzog sich überwiegend im historischen Zentrum. Es ging um die Wiedergewinnung des vertrauten Gesichts der Stadt, um Sanierung, Erneuerung, Denkmalschutz, Rekonstruktion und kritische Rekonstruktion. Heute, ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall, wächst die Stadt und wandelt sich in Geburtswehen zu einer kreativen europäischen Ost-West-Metropole. Auch in Städtebau und Architektur. Die Moderne kehrt zurück. Und der Berliner Westen.

Als Ende der fünfziger Jahre die Idee eines Kulturforums als Gegenüber zur Museumsinsel entstand, sollte es über die Mauer hinüber wirken als Forum freiheitlich-demokratischer Kultur des Westens. Scharouns Idee einer „Stadtlandschaft“ reagierte auf Monumentalität und diktatorische Achsen. Scharoun und Mies, Wegbereiter der Moderne, mussten in den Dreißigern in die innere oder äußere Emigration. Im West-Berlin des Kalten Krieges konnten sie mit Philharmonie und Neuer Nationalgalerie auf dem Kulturforum schließlich zwei Archetypen der Moderne realisieren, Architektur von Weltrang.

Die neue Kontroverse entspringt der Not der Unterbringung der Klassischen Moderne wie der in Aussicht gestellten Schenkung der Sammlung Pietzsch. Die einen sehen in einem Neubau die Chance für die Weiterentwicklung der „Museumsinsel der Moderne“, andere drängen zur baldigen Umsiedlung der Gemäldegalerie der Alten Meister zur Museumsinsel: Statt Alter Meister soll – „Galerie ist Galerie“ – die Gemäldegalerie am Kulturforum für die Moderne hergerichtet werden. Doch Galerie ist nicht Galerie. Die erst 1998 eröffnete, für die Alten Meister maßgeschneiderte Gemäldegalerie müsste, gerade einmal 16 Jahre alt, für die Großformate und Installationen zeitgenössischer Kunst im Inneren völlig neu gestaltet werden. Angesichts des finanziellen Engagements des Bundes für die Vielzahl teurer Kulturbaustellen der Hauptstadt ist es zweifelhaft, ob der Deutsche Bundestag die Mittel für Zerstörung und Umbau der neuen Gemäldegalerie und für teuren Ersatz an der Museumsinsel bewilligt.

Kulturforum und Potsdamer Platz sind Ausdruck zweier gegensätzlicher Stadtentwürfe. Im Wechselspiel liegt die Zukunft.

Statt an der Sigismundstraße könnte das Museum der Moderne (weiß, neben der Philharmonie) dort errichtet werden, wo sich heute die ungeliebte „Piazzetta“ befindet.
Statt an der Sigismundstraße könnte das Museum der Moderne (weiß, neben der Philharmonie) dort errichtet werden, wo sich heute die ungeliebte „Piazzetta“ befindet.

©  Kuehn Malvezzi

Der Masterplan zur Neuordnung des Sortiments alter und neuer Kunst an den zwei Standorten Museumsinsel und Kulturform ist, wenn überhaupt, ein Jahrhundertprojekt, keine Hau-ruck-Aktion. Der dringende Neubau für die wachsenden Sammlungen der Moderne könnte – naheliegend – hinter Mies’ Nationalgalerie an der Sigismundstraße erfolgen. So die Empfehlung eines Gutachtens des Bundesamtes für Bauwesen: eher eine Ergänzung als eine Erweiterung der Nationalgalerie. Eine Verbindung mit dem einzigartigen Baudenkmal trifft auf Bedenken des Landeskonservators; der solitäre Charakter des Tempelbaus wäre gefährdet. Als Zwischenlösung könnte ein in öffentlich-privater Partnerschaft finanzierter „Schöner Schuppen“ auf eben jenem Grundstück dienen, so der jüngste Vorschlag von Peter-Klaus Schuster, bis 2008 Generaldirektor der Staatlichen Museen. Die städtebauliche Misere des Kulturforums wäre mit einem Bau an der Sigismundstraße jedoch nicht behoben.

Zuallererst bedarf es der Aufwertung des verwahrlosten öffentlichen Raums, als Bühne für die Hauptdarsteller Nationalgalerie und Philharmonie wie als „Lustgarten der Moderne“. Es ist höchste Zeit für die von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher verfolgte Neuordnung des Verkehrs und Freiraums durch das Land Berlin. Stand die Planung Scharouns noch unter dem Primat der autogerechten Stadt, ist heute die Schließung der Herbert-von-Karajan-Straße mit ihrem Schleich- und Suchverkehr ebenso dringlich wie die Umwandlung des Auto-Parks der Philharmonie in einen Menschen-Park. Wenige Schritte entfernt ist eine öffentliche Tiefgarage. Die Pläne der im Wettbewerb siegreichen Landschaftsarchitektin Donata Valentien liegen fertig vor. Ihr grüner Freiraum mit Platz zum Entspannen und Feiern ist auch eine Antwort auf die neue Nachbarschaft.

Mit Kulturforum und Potsdamer Platz stehen sich zwei gegensätzliche Stadtentwürfe gegenüber. Hier Großarchitekturen im offenen Raum, dort Straßenfluchten, steinerne Plätze, Baublöcke und Torhochhäuser. Wie die Museumsinsel seit je eine „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ darstellt, ist das Kulturforum ein aus den Alltagsgeschäften herausgehobener sonntäglicher Ort. Diese Aura gilt es gegenüber dem Potsdamer Platz zu wahren: dort Musical-Theater und Kino-Center, Luxushotel und Spielcasino, Gastronomie und Shoppingmall, hier Symphonie- und Kammerkonzerte, Literatur, Wissenschaft und Kunst. In diesem Wechselspiel liegen Reiz und Chance der gemeinsamen Zukunft von Forum und Platz.

Testentwurf: Ein neues Museum der Moderne (rot) neben dem Kunstgewerbemuseum.
Testentwurf: Ein neues Museum der Moderne (rot) neben dem Kunstgewerbemuseum.

© Kuehn Malvezzi

Heute fällt der Blick aus der Achse Leipziger und Potsdamer Straße auf das Kulturforum ins Leere und verliert sich an einem Unort. Eine hässliche Schräge über einer als Möbellager genutzten Tiefgarage, beschönigend Piazzetta genannt, empfängt die Besucher aus aller Welt. Ein unwürdiger Zugang zu Sammlungen von Weltrang, ein öffentliches Ärgernis. Der entscheidende Schritt zur Vollendung des Kulturforums wäre die Verwandlung dieses Blickfangs in Steigerung und Höhepunkt des neuen „Lustgartens“. Hier könnte inmitten einer belebten Piazza mit ebenerdigem Zugang zu den dortigen Museen ein neues großartiges Museum der Moderne entstehen.

Unserem Vorschlag liegt eine Studie des Architekturbüros Kuehn Malvezzi zugrunde, die Wilfried Kühn mit erstellt hat. Sie demonstriert, dass der neue Freiraum zwischen Kupferstichkabinett und Kunstgewerbemuseum ausreichend Raum bietet – für einen herausragenden Museumsneubau wie für einen öffentlichen Platz. Der Testentwurf mit drei Obergeschossen und einem Untergeschoss gehorcht dem Prinzip hoher gestapelter Hallen mit größtmöglicher Nutzungsflexibilität. Das allseits zugängliche Erdgeschoss mit Museumsshop, Café und Veranstaltungsräumen verbindet sich als öffentlicher Innenraum mit dem urbanen Außenraum und den Nachbarmuseen. Die Studie will Anregung für erneutes Nachdenken sein, Warnung vor übereilten Schritten und Anstoß für einen internationalen Wettbewerb zur Vollendung des Kulturforums in der Architektur des 21. Jahrhunderts.

Wilfried Kühn ist Mitbegründer der Architektenbüros Kuehn Malvezzi Berlin. Florian Mausbach war von 1995 bis 2009 Präsident des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung.

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