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Daniel Barenboim.

© Odd ANDERSEN/AFP

Debatte um Barenboim: Die Macht und die Herrlichkeit

Wie gehen künstlerische und menschliche Autorität zusammen? Die Debatte um Barenboim und die angebliche Demütigung von Musikern wirft grundsätzliche Fragen auf.

Es ist eine ikonographische Geste. Ein Dirigent, ein Regisseur, ein Choreograph oder auch mal eine Choreographin (Pina Bausch!) weisen mit weit ausgestrecktem Arm, oft noch bewaffnet mit Taktstock oder langem Zeigefinger ins auratisch Weite. In die Welt der Kunst und der auf solchen Bildern (und Buchcovern von Großkünstler-Biografien) oft nicht mehr sichtbaren anderen Menschen, den ihren Weisungen ergebenen Musikern, Schauspielern, Sängern, Tänzern.

Wir sprechen hier von Akteuren beiderlei und jederlei Geschlechts. Aber die in der Pose des richtungsweisenden Theater- und Opernherrschers, des Orchester-Maestros Abgebildeten sind zumeist Männer. Es sind ja auch Feldherrenposen, fast die letzten, die sich so erhalten haben: von den Karajans, Strehlers, Steins oder Castorfs – und natürlich auch vom Maestro Daniel Barenboim.

Wenige werden noch wissen, wer unmittelbar vor Herbert von Karajan die Berliner Philharmoniker geleitet hat. Es war der damals junge, aus Rumänien stammende Dirigent Sergiu Celibidache, der nach dem Krieg bis zum Jahr 1952 als Nachfolger des berühmten, durch seine Kollaboration mit den Nazis jedoch belasteten Wilhelm Furtwängler amtierte. Später war Celibidache, inzwischen selbst berühmt, zwei Jahrzehnte lang bis zu seinem Tod 1996 Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker.

Den damals umschwärmten „Celi“ hat der ebenfalls ziemlich berühmte Musikkritiker Joachim Kaiser im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ einmal unumwunden als „Arschloch“ bezeichnet. Kaiser hatte sogar Celibidaches gönnerhaftes Gehabe gegenüber jungen Talenten an einen abends seinen Schäferhund streichelnden „Diktator“ erinnert.

In Zeiten von MeToo ist Machtmissbrauch ein offeneres Thema geworden

Frühere Orchestermitglieder und Freunde des Stardirigenten haben diesem Urteil natürlich widersprochen. Andere schwiegen. So ist das meistens. Jetzt, in Zeiten des Internet und der MeToo-Debatte, ist der Machtmissbrauch ein offeneres Thema geworden. Mit Vorwürfen gegenüber etlichen Protagonisten der Kunst- und Kulturszene. Die Wortmeldungen einzelner Musiker, die Daniel Barenboim in Berlin nun Demütigungen auf Proben und Selbstherrlichkeit vorwerfen, betreffen jedoch nicht allein den künstlerischen Weltstar, sondern einen bald achtzigjährigen Menschen, der sich mit Wort und Tat weit über Konzertsäle und Opernhäuser hinaus für Menschenrechte und vor allem den Friedens- und Verständigungsprozess zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt. Sich also auch gegen den Missbrauch von Macht engagiert.

Ein Paradox? Tatsächlich gibt es in freiheitlichen Gesellschaften nur noch wenige Sphären, in denen so viel absolute Macht besteht wie im Bereich der schönen Künste. Alleinherrscher sind da zunächst die Künstler, die in den eigenen Wänden erstmal oder immerzu sich selbst ausgeliefert sind. Vor allem die Schriftsteller. Doch schon in der bildenden Kunst, im Verhältnis etwa zwischen Maler und Modell (oder Fotograf und Modell) spielen von jeher Situationen der Abhängigkeit und des Ausgeliefertseins, von Verehrung oder gar Hörigkeit eine Rolle.

Das gilt in übertragener Weise auch dort, wo in Gruppen, in Ensembles gemeinsam an einer Aufführung, an einer Inszenierung gearbeitet wird. Hinter den Kulissen gab und gibt es, selbst nach dem Weinstein-Skandal, die berüchtigte Besetzungscouch. Aber was passiert im Rampenlicht? Auch dort entscheidet Macht immer wieder über Ohnmacht, künstlerisch, menschlich, mit Folgen oft für das weitere Berufsleben.

Es ist ein besonderes Gewaltverhältnis, wie an der Schule

Vieles erscheint dabei schwer vermeidbar. Man denke an das Vorsprechen, Vorspielen, Vortanzen nicht bloß junger Künstlerinnen und Künstler. Es bewerben sich auf Jobsuche ebenso Ältere, und beim Casting für Filme werden mal Kinder, mal Greise gesucht. Das damit verbundene Bibbern, das Lampenfieber, die Nervenzusammenbrüche der Adepten, die Zynismen oder auch die Aufmerksamkeit der Prüfer sind häufig genug zum Filmstoff geworden. Ihnen haftet etwas Ähnliches an wie Gerichtsszenen, die Gespanntheit gilt dem zu fällenden Urteil. Mehr als auf der Leinwand je gezeigt, gibt es da im realen Künstlerleben immer wieder Fälle der unwillkürlichen Erniedrigung derer, die in solchen Momenten ein Stück weit real um ihr Leben spielen. Gibt es Fälle von tiefster Grausamkeit. Oder höchster Seligkeit.

Das ist freilich Teil des Berufs. Aus rein praktischen Gründen können hier Entscheidungen so wenig wie bei anderen Aufnahmeprüfungen mit den Betroffenen wirklich diskutiert werden. Später müssen sich Künstler, die ihre Seele und Körper existenziell zu Markt tragen, auch dem Publikum und den Kritikern aussetzen. Ja: aussetzen.

Es ist, wie in der Schule, ein besonderes Gewaltverhältnis. Vor einer Aufführung manifestiert es sich jedes Mal auf den Proben. Vor allem seit den 1960er Jahren haben Theater und andere künstlerische Kollektive es immer mal wieder mit vermeintlich demokratischen Formen der Mitbestimmung versucht. Spätestens bei den Proben sind diese Versuche gescheitert. Und im Prinzip ist die Macht der Regisseure, Dirigenten, Choreographen während des Inszenierens unangetastet geblieben. Allenfalls die äußeren Formen haben sich gewandelt, es wird mehr geduzt.

KArajan war ein Diktator, der zugleich von vielen Geförderten geliebt wurde

Doch die großen Namen sind beinahe ausnahmslos die Namen auch großer Diktatoren. Im Film sind die Schikanen und Marotten Legende, ob von Hitchcock, Kubrick, Fassbinder oder bis ins sexuell Ekelhafte („Der letzte Tango“) beim gerade verstorbenen Bernardo Bertolucci. Karajan war ein Diktator, der zugleich von vielen Geförderten geliebt wurde. Wie heute, sagen wir: Christian Thielemann. Ebenso Italiens Theaterkönig Giorgio Strehler, der Exilheimkehrer Fritz Kortner oder auch die Ausnahmeregisseurin Ariane Mnouchkine in ihrem einst revolutionären Pariser Théâtre du Soleil. Claus Peymann, Einar Schleef, Peter Zadek, Peter Stein, sie sind oder waren: große Autoritäre. Frank Castorf hatte in seinem Berliner Volksbühnenbüro ein Porträt eines großen Diktators hängen. Das Bild Stalins. Natürlich war das sarkastisch-provokativ gemeint. Obwohl, was hätte ein Kultursenator wohl zu einem öffentlich bestallten Intendanten gesagt, der sarkastisch-provokativ ein Bild von Hitler überm Schreibtisch gehabt hätte?

Es geht um Grenzbereiche. Um den Ernst des Spiels. Kunst, auch wenn sie neben allen Abgründen und Apokalypsen zugleich den Vorschein von Humanität, Freiheit, Demokratie spiegeln mag, sie entsteht nicht durch Mehrheitsentscheidungen. Ist nicht plural oder demokratisch und schon gar nicht politisch korrekt. Kunst, ob in Bild, Schrift oder Tönen, kann nicht völlig logisch gefasst, nicht empirisch ermessen werden, ihr haftet etwas jenseits von Aufklärung und Rationalität an. Was dennoch nicht heißt, dass eine innere Moralität nicht auch im Ästhetischen wirkt. Es existiert eben kein künstlerisch gelungenes Gedicht oder Gemälde, das Hitler, Stalin oder Kim Jong Un verherrlicht, das KZs und Gulags rechtfertigt.

Kunst hat ihre eigenen Gesetze, entsteht aber nicht außerirdisch. Regisseure wie Peter Brook oder George Tabori, die gewiss um ihre Macht über Schauspieler und speziell Schauspielerinnen wussten, haben das Spiel der Theatermächtigen ohne laute Drohungen oder erniedrigende Kritik an Mitgliedern ihrer Ensembles gespielt. Sie waren und sind – Brook feiert im März seinen 94. Geburtstag – als Künstler so etwas wie praktizierende Menschenfreunde. Diesen Ruf hat als Intendant und Regisseur seit Jahrzehnten auch Jürgen Flimm, zuletzt in der Berliner Staatsoper Barenboims Partner.

Autorität, die die eigene Machtposition mit refelektiert

Autoritär sind sie alle, soweit es die künstlerisch notwendige Letztentscheidung betrifft. Und noch viel autoritärer ist’s im Film, wo angesichts der Kosten jedes Drehtags sich Diskussionen auf dem Set ohnehin meist verbieten. Es geht freilich darum, dass die Autorität eines Dirigenten, Regisseurs oder Tanzmeisters, die von den Ensemblemitgliedern in der Regel sogar gewünscht wird („Sag mir bitte, was ich machen soll!“), sich nicht bloß künstlerisch ausweist, sondern im Ton, in der Argumentation die eigene Machtposition mit reflektiert. Und die untergebenen, die anvertrauten Mitarbeiter als gleichwertig achtet.

Die Spieler, ob auf der Bühne oder im Orchestergraben, dürfen gewiss keine Mimosen sein. Wenn vor einer Premiere die Nerven blank liegen und es beispielsweise technische oder künstlerische , einzelne Spielweisen betreffende Probleme gibt, werden sich cholerische Anfälle am Dirigenten- oder Regiepult nie ganz vermeiden lassen. Doch auch hier macht der Ton die Musik. Mehr Frauen an der Theater- und Opernmacht tragen gewiss dazu bei, das Machohafte, Neandertalerische vieler männlicher Bühnenberserker zu mindern. Ja, zivilisatorisch zu zähmen.

Die schon erwähnte Ariane Mnouchkine regiert freilich seit einer Ewigkeit in ihrem Soleil als Sonnenkönigin. Und vom Gebaren einer absoluten Königin erzählt gerade der Oscar-gekrönte „Favourite“. Trotzdem, die Zukunft ist weiblich. Wie die Macht. Wie die Hoffnung.

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