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Haus der Angst. Günter Papendell und Nadja Mchantaf in „Pelleás et Melisande“ an der Komischen Oper Berlin. Barrie Koskys Inszenierung zeigt eine Familie, in der männliche Herrschaft und sexuelle Ausbeutung Gesetz sind.

© imago/Martin Müller

Debatte über sexualisierte Gewalt: Weinstein und der deutsche Kulturbetrieb

Was ist wichtiger? Die Aufklärung über Machtstrukturen und ihren Missbrauch oder die Bekenntnisse prominenter Opfer von sexueller Gewalt? Eine Umfrage zum Weinstein-Skandal.

Mélisande irrt im Wald umher, sie ist, panisch vor Angst. Fass mich nicht an, sagt sie zu dem Fremden, er ist ein Jäger, ein Prinz. Golaud tut es trotzdem, er sagt, ich tue dir nichts, und wie schön sie doch sei. Wer ihr denn etwas zuleide getan habe. „Alle, alle!“, singt Mélisande.

Wer dieser Tage in der Komischen Oper Barrie Koskys Neuinszenierung von Debussys „Pélleas et Mélisande“ sieht, kommt nicht umhin, an den Weinstein-Skandal und die Debatte um Sexismus und sexualisierte Gewalt zu denken. Kosky zeigt eine Frau in einer übergriffigen Männergesellschaft (weniger als wehrloses Opfer denn als Traumatisierte, die sich weiter vergeblich wehrt) und fördert zu Debussys irisierender Musik die Mechanismen des Machtmissbrauchs zutage, das verdrängte Begehren, die tabuisierte Sexualität, die Fürsorge und die daraus resultierende Gewalt und Bigotterie.

Und was ist dir mal passiert? So manche Schauspiel-Agentur kann sich kaum retten vor Anfragen. Bitte ein paar Fälle, bitte ein paar Stories, als habe die Öffentlichkeit ein Recht darauf, dass Frauen mal eben Persönlichstes preisgeben und von Situationen erzählen, in denen sie entwürdigt wurden. So wie sich in den letzten Wochen zahlreiche prominente Opfer des Independent-Moguls Harvey Weinstein geoutet haben, wegen Übergriffen, Missbrauch, Vergewaltigung. Die Agentinnen – in der Dienstleistungsbranche überwiegen die Frauen –, die solche Anfragen händeln, erleben sie oft als ähnlich übergriffig wie die fragliche sexuelle Belästigung.

„Ich würde jeder Schauspielerin davon abraten, etwas dazu zu sagen“, erklärt Petra Schwuchow. Ihre PR-Agentur LimeLight betreut unter anderem Jella Haase, Karoline Herfurth und Anne Ratte-Polle. Von der Wahl bis zu Weinstein sollen Schauspieler sich zu allen möglichen Gesellschaftsthemen äußern. Wahlgeheimnis, Privatsphäre, all das wird dann gerne vom Tisch gewischt, mit Verweis auf die Vorbildfunktion von Stars. Schwuchow wundert sich, warum immer noch wenig Männer sich äußern, vor allem Männer mit Macht in der Film- und Medienwelt. „Warum gibt es keinen WeKnewIt-Hashtag? Und immer noch wenig Männer, die sich hinstellen und sagen: Ich bin fassungslos, dass es so etwas wie den Fall Harvey Weinstein überhaupt gibt, dieser Mist muss endlich aufhören?“

Schauspielerin Onimar Âme: Es geht darum, zu gefallen

Nachfrage bei Stefan Arndt, Produzent bei der Berliner Firma X-Filme, einem der großen Player hierzulande. Arndt macht darauf aufmerksam, dass es sich bei der US-Branche um ein „weit härteres kapitalistisches, hierarchisches System“ handele. Es gehe dort nur um Aufstieg, alles werde eingesetzt, um Macht und Einfluss zu erlangen. „Ich mag naiv sein“, so Arndt, aber er habe Derartiges nur gerüchteweise „aus der vorletzten Generation der hiesigen Filmszene“ gehört. Garantiert gebe es auch heute solche Vorfälle, „nicht strukturell bedingt, sondern wegen der kranken Disposition einzelner.“ Man sei auf gutem Wege: Arndt verweist auf Initiativen wie Pro Quote Film und die breite Diskussion über Frauenbilder.

Kein Machtmissbrauch in Deutschland? Die Schauspielerin Onimar Âme, Mitinitiatorin von Pro Quote Bühne, ist skeptisch: „Als Schauspielerin hat man wenig Spielraum, die eigene Stimme gelten zu lassen. Es besteht immer ein großes Risiko, dass eine klare Aussage das Ende einer Karriere bedeutet,“ sagt sie. „Man bekommt als Schauspielerin sofort mit, dass man austauschbar ist. Es geht darum, schön zu sein, zu gefallen. Wir müssen unser eigenes Verhalten hinterfragen, um herauszufinden, wann und wie wir uns aus Angst, unsere Karriere aufgeben zu müssen, auf die dysfunktionalen Machtspiele einlassen.“ Frauen sollten sich dabei untereinander unterstützen und wertschätzen.

Produzent Stefan Arndt: Der unübliche Arbeitsrhythmus beim Film macht Frauen das Leben schwer

Jeder Betrieb, auch ein Theaterbetrieb, müsse hier unbedingt auf Transparenz setzen, sagt Susanne Moser, Geschäftsführerin der Komischen Oper. Im eigenen Hause sind ihr keine Vorfälle bekannt, aber „jede*r Mitarbeiter*in muss das Gefühl haben, sich im Fall eines Machtmissbrauchs beschweren zu können und zu dürfen“. Die Schreibweise mit dem Genderstar ist Usus in der Komischen Oper: ein kleines, deutliches Zeichen, ungewöhnlich für ein Staatstheater.

Stefan Arndt macht auf eine weitere Genderproblematik aufmerksam. X-Filme will mit möglichst vielen Regisseurinnen zusammenarbeiten. Aber das sei schwierig, weil „der absolut unübliche Arbeitsrhythmus speziell Frauen das Leben schwer macht“. Strukturell seien Männer immer noch extrem bevorzugt, „denn meist halten ihnen Frauen den Rücken frei, um diesen nahezu unplanbaren Job zu erfüllen“. Mehr Frauen in mächtigen Positionen wie Intendanz und Regie, das verändert auch die Machtverhältnisse.

Hashtag #MeToo: Immer mehr Frauen berichten über sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz, nicht nur prominente Schauspielerinnen aus Film und Fernsehen.
Hashtag #MeToo: Immer mehr Frauen berichten über sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz, nicht nur prominente Schauspielerinnen aus Film und Fernsehen.

© dpa/Britta Pedersen

Was ist wichtiger, und wirkungsvoller? Die Strukturen offenlegen, die den Missbrauch in den darstellenden Künsten, dieser auf Leib und Seele und den Mut zur Intimität basierenden Arbeit begünstigen, oder die Wucht hunderttausender #MeToo-Bekenntnisse? Heike-Melba Fendel von der Agentur Barbarella (Feo Aladag, Maria Furtwängler, Esther Schweins) hält die Debatte für verlogen. Es sei die Mischung aus Voyeurismus und Glamourfaktor, die das Thema auf die Titelseiten bringt, sagt sie am Telefon. In ihrem aktuellen „Zeit Online“-Blog schreibt sie: „Besoffen vom Quoten-Click- und Auflagen-Cocktail, gemixt aus je einem Drittel Sex, Promigeilheit und Betroffenheit, garniert mit einem Schuss Spekulation, strecken und verlängern sie den Skandal gemäß dem Motto: schlimm, aber sexy.“

Seltsam auch die Amnesie. Die Weinstein-Enthüllungen haben eine Empörungswelle ausgelöst, die die mehrjährige Missbrauchsdebatte anlässlich der in Jesuiten-Internaten und der Odenwaldschule begangenen Verbrechen kaum in Erinnerung ruft. Talkshows ohne Ende waren ab 2010 die Folge, Kino- und TV-Filme, Runde Tische, Beratungsstellen, Entschädigungsfonds. Unentwegt wurde sensibilisiert. Offenbar hat sich trotzdem so wenig geändert, dass es nun die Promis richten sollen. Haben nur prominente Opfer Aufmerksamkeit und Unterstützung verdient? Was ist mit denen in Flüchtlingsunterkünften?, fragt Fendel.

Players-Chefin Mechthild Holter: Frauen werden aufs Körperliche reduziert, schlimmer als früher

Mechthild Holter, Chefin der Berliner Schauspieler-Agentur Players (Nina Hoss, Christiane Paul, Jasmin Tabatabai), begrüßt die ausführliche Berichterstattung trotz alledem. Zwar hofft sie, dass die Welle der Selbstoffenbarungen abebbt, „außer bei Straftaten, die müssen geahndet werden“. Aber die neuerliche Sensibilisierung sei dringend notwendig. Nach ihrer Erfahrung gewöhnen sich gerade junge Frauen schnell an eine oft subtile Übergriffigkeit. „Es geht um den Mut im Kleinen, sich zu wehren, etwas zu sagen, schnell eine Sprache zu finden.“ Da helfe auch das Sichtbarwerden von Stars.

Nach Jahrzehnten als Agentin sorgt sie sich um ein anderes, unterschwelliges Phänomen: der Reduktion von Frauen auf ihre Körperlichkeit. „Sie dürfen nicht dick werden, sie dürfen nicht alt werden, das ist noch schlimmer als früher. Muss ich auch was machen, fragen selbst gestandene Schauspielerinnen, wenn sie sehen, wie sehr ideale Körpermaße und ein makelloses, jugendliches Aussehen Pflicht sind. Solche Selbstretuschen sind natürlich Blödsinn, das Altern und die Vielfalt der Körperformen müssen sichtbar bleiben.“ Players unterstützt seine Klientel deshalb auch darin, sich dem immer größeren Konformitätsdruck nicht zu beugen.

In "Pelléas et Mélisande" bleibt am Ende eine Schar Betroffener zurück. Und eine Tote.

(Mitarbeit: Anne-Sophie Schmidt)

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